In den letzten Jahren hat die Forschung verstärkt darauf hingewiesen, dass die Art und Weise, wie Stellenanzeigen formuliert sind, einen erheblichen Einfluss darauf hat, welche Persönlichkeiten sich angesprochen fühlen und letztlich bewerben. Besonders auffällig ist, dass narzisstische Personen durch bestimmte Sprachmuster in Jobangeboten besonders stark angezogen werden. Diese Erkenntnisse werfen ein neues Licht auf die Rekrutierungsstrategien von Unternehmen und die Art, wie Positionen ausgeschrieben werden. Der Begriff "narzisstisch" steht dabei für einen Persönlichkeitstyp, der typischerweise übermäßiges Selbstbewusstsein, ein Bedürfnis nach Bewunderung und oft eine geringe Bereitschaft, Regeln strikt zu befolgen, aufweist. Diese Eigenschaften können im beruflichen Kontext sowohl positive, etwa hinsichtlich Führungsanspruch und Selbstvertrauen, als auch negative Konsequenzen haben, insbesondere wenn es um ethisches Verhalten und Teamarbeit geht.
Eine wichtige Voraussetzung für das Verständnis dieses Phänomens liefert die Unterscheidung in sogenannte "Rule-Bender"- und "Rule-Follower"-Kandidaten. Während Rule-Follower starke Anhänger von festgelegten Unternehmensrichtlinien und ethischen Standards sind, zeichnen sich Rule-Bender durch eine flexiblere, manchmal auch grenzwertige Haltung gegenüber den Regeln aus. Die Sprache in Stellenanzeigen, die gezielt oder unbewusst Begriffe verwendet, die Rule-Bender ansprechen, kann somit dazu führen, dass mehr narzisstische Bewerber in den Auswahlprozess gelangen. Forscher konnten durch umfangreiche Studien belegen, dass solche Formulierungen häufig in Anzeigen für höher qualifizierte oder leitende Positionen zu finden sind, insbesondere in Branchen, die durch rasches Wachstum, Innovationsdruck und aggressive Strategien gekennzeichnet sind. Begriffe, die als Rule-Bender gelten, umfassen beispielsweise Wörter wie "proaktiv", "eigenständig anpassen", "Grenzen überschreiten" oder "strategisch herausfordernd".
Diese Ausdrücke vermitteln indirekt, dass es akzeptabel oder sogar erwünscht ist, standardisierte Vorgehensweisen flexibel zu interpretieren oder zu umgehen. Für narzisstische Bewerber sind solche Signale besonders anziehend, da sie ihre Fähigkeit betonen, sich durchzusetzen, Regeln zu beugen und sichtbare Erfolge zu erzielen. Im Gegensatz dazu bevorzugen Rule-Follower eine Sprache, die Orientierung und klare Vorgaben kommuniziert, wie etwa "strikte Einhaltung von Richtlinien", "teamorientiertes Arbeiten" und "Transparenz". Die Folgen, wenn die Rekrutierung vermehrt auf Rule-Bender oder gar narzisstische Persönlichkeiten ausgerichtet ist, sind ambivalent. Einerseits können diese Mitarbeiter innovative Impulse setzen, Konventionen hinterfragen und schnelle Entscheidungen treffen.
Dies ist besonders in dynamischen Branchen mit hohem Wettbewerbsdruck wertvoll. Andererseits steigt das Risiko für problematisches Verhalten innerhalb der Organisation, wie beispielsweise unangemessene Opportunitäten, ethische Verfehlungen und ein toxisches Betriebsklima. Die Studien zeigen ferner, dass Unternehmen mit solchen Stellenanzeigen öfter eine höhere Bereitschaft zu aggressivem Earnings Management zeigen, was die finanzielle Berichterstattung betrifft. Interessanterweise scheinen viele Personalverantwortliche sich der Wirkung ihrer sprachlichen Gestaltung nicht vollends bewusst zu sein. Die Platzierung von Rule-Bender-Termini in Jobbeschreibungen erfolgt oft mit dem Ziel, besonders kompetente und anpassungsfähige Kandidaten anzuziehen, ohne die potenziellen Nebeneffekte einzuplanen.
Die Herausforderung für Unternehmen besteht deshalb darin, eine Balance zu finden. Moderne Personalarbeit sollte darauf abzielen, durch klare, ethisch fundierte und zugleich attraktive Sprache Kandidaten anzusprechen, die sowohl innovativ als auch zuverlässig sind und die Unternehmenswerte respektieren. Aktuelle Forschungen zeigen außerdem, dass der Kontext des Unternehmens eine große Rolle spielt. Firmen in Wachstumsphasen oder mit starken Innovationszielen tendieren dazu, eher Rule-Bender-Sprachmuster zu verwenden, um die Art von Mitarbeitern zu gewinnen, die unkonventionelle Lösungen finden. Hingegen etablierte und konservative Unternehmen bevorzugen häufig deutliche, regelkonforme Formulierungen, die ein stabiles, vorhersehbares Verhalten fördern.
Dieses Spannungsfeld macht deutlich, wie eng Unternehmensstrategie und Rekrutierungsstil verknüpft sind. Eine wichtige Implikation für Bewerber ergibt sich daraus ebenfalls. Personen, die sich ihrer eigenen Persönlichkeit bewusst sind, können anhand der gewählten Sprache in Stellenanzeigen besser abschätzen, ob eine Position und Unternehmenskultur zu ihnen passt. Für narzisstisch geprägte Kandidaten sind konfrontative und flexible Begrifflichkeiten ein Signal, dass sie in der ausgeschriebenen Rolle willkommen sind. Für Kandidaten, die Wert auf klare Strukturen sowie ethische Standards legen, sind solche Anzeigen hingegen Warnzeichen.
In der Praxis sollten Unternehmen daher in Erwägung ziehen, die Sprache in ihren Stellenanzeigen sorgfältig zu reflektieren und gegebenenfalls auf Formulierungen zu verzichten, die unangemessene Verhaltensweisen fördern. Schulungen und Leitfäden für Recruiting-Teams können helfen, die Wirkung der Wortwahl besser einzuschätzen und das Risiko ungewollter Nebenwirkungen zu minimieren. Darüber hinaus bieten neue Technologien, wie KI-unterstützte Textanalysen, Chancen, Stellenanzeigen vor der Veröffentlichung auf verborgene Signale hin zu überprüfen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass verführerische Sprache in Stellenanzeigen keineswegs nur ein rhetorisches Stilmittel ist, sondern eine tiefgreifende Wirkung auf den Charakter und die Motivation der Bewerber hat. Das Verständnis dieser Dynamiken erlaubt es Unternehmen, gezielter und verantwortungsbewusster auszuschreiben und zu rekrutieren.
Gleichzeitig erstreckt sich das Thema in seiner Bedeutung über reine HR-Prozesse hinaus und berührt die gesamte Unternehmenskultur und langfristige Entwicklung. Angesichts des zunehmenden Wettbewerbs um qualifizierte Talente wird die bewusste Gestaltung von sprachlichen Inhalten in Jobangeboten künftig an Bedeutung weiter gewinnen und ein entscheidender Faktor für nachhaltigen Erfolg sein.