In den vergangenen Jahren hat das Thema ESG, das für Umwelt, Soziales und Unternehmensführung steht, einen beispiellosen Aufschwung in der Finanzwelt erlebt. Banken, Vermögensverwalter und andere Finanzinstitute veranstalteten regelrechte Einstellungsbooms, um ihre Teams mit Spezialisten zu verstärken, die Nachhaltigkeitsziele und soziale Verantwortung in den Mittelpunkt rücken sollten. Doch nunmehr erleben Finanzvorstände, die in der ESG-Ära stark investierten, eine Art „Käuferreue“. Die hohen Erwartungen an die neu eingestellten ESG-Experten treffen zunehmend auf die Realität einer sich verändernden Finanzlandschaft, die die Deutung und Priorität von ESG neu austariert. Die Gründe für diese Umorientierung sind vielschichtig und spiegeln sowohl wirtschaftliche als auch politische Entwicklungen wider.
Die ursprüngliche ESG-Euphorie war eng verbunden mit einer Phase sehr niedriger Zinsen und der Hoffnung auf nachhaltige Renditen durch grüne Investments. In dieser Periode schien ein Fokus auf soziale und ökologische Ziele nicht nur ethisch wünschenswert, sondern auch wirtschaftlich profitabel. Finanzunternehmen suchten in großem Stil nach ESG-Spezialisten, oft aus den Bereichen Klimawissenschaft, Umweltschutz und sozialer Gerechtigkeit. Es entstand eine regelrechte Welle von Neueinstellungen, die sich nicht immer in die traditionellen Finanzmodelle einfügten. Diese Experten brachten zwar tiefes Wissen und Engagement für Nachhaltigkeit mit, jedoch zeigten sich zunehmend Schwierigkeiten, ihre Perspektiven mit den primären Profitinteressen der Institute dauerhaft zu vereinen.
Mit der wachsenden Skepsis gegenüber ESG, verstärkt durch eine Veränderung des wirtschaftlichen Umfelds, kehrten sich viele Finanzchefs von ihrer früheren Überoptimierung ab. Der Anstieg der Zinsen und eine weniger freundliche Marktstimmung für grüne Anlagen ließen die grünen Investitionsstrategien an Attraktivität verlieren. Gleichzeitig verschärfte sich die politische Debatte, speziell in den USA, wo konservative Politiker ESG vielfach als ideologisch motiviert und als Gefahr für den Kapitalismus brandmarkten. Dies führte zu einem regelrechten politischen Gegenwind, der sich negativ auf die Akzeptanz und Umsetzung von ESG-Initiativen auswirkte. Vor allem im US-Markt verloren Begriffe wie ESG und DEI (Diversity, Equity & Inclusion) an Popularität und wurden von zahlreichen Unternehmen zunehmend aus ihren Berichten gestrichen.
Daten untermauern diesen Trend eindrucksvoll: Während im Jahr 2023 noch rund 40 Prozent der S&P 100-Unternehmen Berichte mit dem ESG-Begriff im Titel veröffentlichten, sank diese Zahl im Folgejahr auf 25 Prozent und in den ersten Monaten von 2025 sogar auf nur noch sechs Prozent. Das zeigt den erheblichen Wandel in der Wahrnehmung und kommunikativen Priorisierung von ESG. In Europa dagegen, wo die Regulierung im Bereich Nachhaltigkeit deutlich ausgeprägter ist, ist die Reaktion gemischter. Zwar gibt es dort weniger politischen Gegenwind, doch auch europäische Politik hat mittlerweile Bedenken geäußert, dass übermäßige ESG-Anforderungen die Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigen könnten. Daraus folgten Anpassungen und eine Deeskalation in der Umsetzung von ESG-Berichterstattungsstandards.
Für Finanzunternehmen bedeutet dies einen strategischen Wandel. Die anfängliche Bereitschaft, „überzuhiren“ und vermehrt ESG-orientierte Fachkräfte einzustellen, gibt es nun nicht mehr in diesem Ausmaß. Stattdessen erfolgt eine Rückbesinnung auf finanzielle Kernziele, was für viele der zuvor eingestellten Klimaaktivisten und ESG-Spezialisten eine Herausforderung darstellt. Diese Mitarbeiter kämpfen oftmals damit, ihre Überzeugungen mit der neuen Unternehmensrealität in Einklang zu bringen, bei der kurzfristige Profitabilität wieder dominanter wird. Die Erkenntnisse führender Recruiter, wie Tom Strelczak von Madison Hunt, verdeutlichen diesen Wandel.
Er berichtet von einer ESG-Einstellung, die in der Vergangenheit teils „evangelisch und philosophisch“ motiviert war, nun aber einer nüchternen Korrektur zwischen finanziellen Zielen und nachhaltigen Idealen weichen muss. Der Markt bewegt sich weg von einer romantischen Vorstellung, dass nachhaltige Werte automatisch die besten finanzwirtschaftlichen Ergebnisse erzielen. Stattdessen finden Unternehmen einen Mittelweg, bei dem ESG-Aspekte berücksichtigt werden, aber nicht mehr überdimensionale Bedeutung besitzen. Diese Entwicklung hat weitreichende Auswirkungen auf die Finanzbranche und deren Arbeitsmarkt. Die ESG-Jobs, die einst boomten, verzeichnen eine Verlangsamung.
Spezialisierte Fachkräfte müssen neue Kompetenzen aufbauen oder sich auf traditionelle Finanzthemen konzentrieren, um weiterhin gefragt zu sein. Für Nachwuchskräfte und Karrierestarter bedeutet dies, dass die Möglichkeit, ausschließlich im ESG-Bereich Fuß zu fassen, schwieriger geworden ist und ein breiteres Know-how gefragt ist. Zudem zeigt das Beispiel von ESG eine grundlegende Lektion für Unternehmen: Hypes und modische Trends im Personalmanagement können Risiken bergen, wenn sie nicht eng mit der Unternehmensstrategie verzahnt sind und wirtschaftlich sinnvoll bleiben. Die Finanzwirtschaft, die traditionell ergebnisorientiert ist, verlangt eine klare Verbindung zwischen Investmentstrategien und Profitabilität. Nachhaltigkeit und gesellschaftliche Verantwortung bleiben zwar wichtig, ihre Integration muss jedoch pragmatisch und messbar erfolgen.
Ein weiterer Aspekt ist die geopolitische Dimension des ESG-Themas. Die globale Wirtschaft ist zunehmend von politischen Spannungen und Ideologiekonflikten geprägt, die sich auch auf Finanzmärkte und regulatorische Rahmenbedingungen auswirken. Während Europa ESG-Standards weitgehend erhalten hat und sogar weiterentwickelt, erlebt die USA eine starke anti-ESG-Bewegung, die Unternehmen zur Zurückhaltung zwingt. Dieser Gegensatz zwischen den Regionen sorgt für Unsicherheit und erschwert eine einheitliche globale ESG-Strategie. Unternehmen und Finanzchefs müssen daher künftig mit größerer Vorsicht bei der Personaleinstellung im ESG-Bereich agieren.
Es gilt, den Bedarf realistisch einzuschätzen und darauf zu achten, dass neue Mitarbeiter gut in die bestehende Unternehmenskultur passen und zur langfristigen Erreichung von Geschäfts- und Nachhaltigkeitszielen beitragen. Eine starke Kommunikation und ein klares Verständnis der eigenen ESG-Strategie sind essenziell, um Überschneidungen und Frustrationen zu vermeiden. Darüber hinaus könnten hybride Profile und interdisziplinäre Kompetenzen künftig verstärkt gefragt sein. ESG-Experten, die sowohl Expertise in Nachhaltigkeit als auch fundierte finanzwirtschaftliche Kenntnisse mitbringen, haben bessere Chancen, sich im veränderten Umfeld zu behaupten. Gleichzeitig wird der Dialog zwischen den verschiedenen Fachabteilungen wichtiger, um die oft komplexen ESG-Herausforderungen effektiv zu bewältigen.