Das Entwickeln von Software ist traditionell eng mit leistungsstarken Laptops oder Desktop-Computern verbunden. Doch wie sieht es aus, wenn man den Laptop zu Hause lässt und sich stattdessen auf ein mobiles Setup mit einem Smartphone, AR-Brille und einem minimalistischen Keyboard verlässt? Genau das hat ein Entwickler gewagt und zwei Wochen lang ein alternatives Arbeitsumfeld ausprobiert, das einen spannenden Ausblick auf die Zukunft des mobilen Programmierens gibt. Im Kern dieses innovativen Experiments steht ein modernes Smartphone mit Linux in einem chroot-Container, ergänzt durch eine faltbare Bluetooth-Tastatur und eine Augmented Reality-Brille, die als visuelles Ausgabegerät dient. Die Kombination verspricht maximale Portabilität und dennoch eine erstaunliche Leistung, die man von einem klassischen Laptop erwartet. Der Schlüssel zu diesem Setup liegt in der Fähigkeit, eine komplette Linux-Desktop-Umgebung direkt auf einem Android-Smartphone auszuführen.
Dabei wird kein herkömmlicher virtueller Rechner, keine komplette OS-Alternative wie Ubuntu Touch, sondern eine native arm64-Linux-Distribution genutzt. Diese läuft innerhalb eines chroot-Containers, der das Linux-System isoliert vom Android-OS auf dem gleichen Gerät ausführt. Die Vorteile dieser Methode sind bemerkenswert: schnelle Startzeiten, flüssige Benutzeroberfläche mit i3 Window Manager, und native Unterstützung von Anwendungen wie Firefox, inklusive Video und Audio-Ausgabe. Selbst auf einem relativ kleinen Gerät wie einem Smartphone sind komplexe Desktop-Programme ohne merkliche Leistungseinbußen anwendbar. Zu Beginn dieses Pionierprojekts stand die Frage im Raum: „Warum überhaupt ohne Laptop arbeiten?“ Die Antwort offenbarte sich während einer zweiwöchigen Reise, die Raum für flexible und ungebundene Arbeit ermöglichte.
Mit einem klappbaren Bluetooth-Keyboard, das in jede Hosentasche passt, und den kompakten AR-Brillen, die das Display direkt vor das Auge projizieren, konnte der Entwickler fast überall produktiv sein. Ob im Flugzeug, in Cafés, im Park oder bei Familienbesuchen – überall ließen sich komplexe Entwicklungsaufgaben erledigen. Die AR-Brille fungierte dabei als virtueller Monitor mit einer Auflösung von 1080p und einem ausreichend großen Sichtfeld, um das Arbeiten angenehm zu gestalten. Das Gesamtsetup spiegelte eine Kombination aus praktischer Hardware und optimierter Software wider, die zusammen ein erstaunlich mobil-flexibles Arbeitsumfeld schufen. Das Herzstück ist ein gebrauchtes Google Pixel 8 Pro Smartphone, das mit etwa 350 Dollar vergleichsweise günstig war, aber über DisplayPort Alt Mode verfügt, eine unverzichtbare Fähigkeit für die Ausgabe an die AR-Brille.
Die Augmented Reality-Brille Xreal Air 2 Pro kostete rund 260 Dollar und überzeugte durch ihr OLED-Display mit guter Helligkeit und Farbdarstellung. Die verwendete faltbare Tastatur schlug mit knapp 18 Dollar zu Buche, genügte aber trotz kleiner Schwächen den Anforderungen eines mobilen Keyboards. Die Kombination verkörpert mehr als nur günstige Hardware. Sie zeigt die grundlegende Freiheit, die mobilen Entwicklern heute geboten wird. Das Setup lässt sich komplett in Hosentaschen verstauen und arbeitet unabhängig von WiFi-Verbindungen, da das Smartphone mobilitätsbedingt mit einem eigenen Mobilfunkmodem ausgestattet ist.
In engen, beengten Umgebungen wie Flugzeugen oder kleinen Cafés bot das System deutlich mehr Komfort als ein aufgeklappter Laptop. Die Helligkeit des OLED-Displays der AR-Brille machte das Arbeiten auch unter grellem Tageslicht möglich, was bei herkömmlichen Laptops oft zur Herausforderung wird. Die Software-Konfiguration jedoch stellte die eigentliche messbare Herausforderung dar. Die Wahl der passenden Linux-Distribution und der richtigen Virtualisierungsebene war ausschlaggebend für den Erfolg. Herkömmliche Emulatoren und virtuelle Maschinen erwiesen sich als zu langsam und ressourcenhungrig.
Termux, ein bekannter Terminal-Emulator für Android, wäre zwar eine leichtgewichtige Alternative gewesen, ermöglichte aber keine uneingeschränkte Nutzung von Desktopprogrammen aufgrund systembedingter Einschränkungen. Nach intensiven Tests entschied sich der Entwickler für eine chroot-Umgebung auf einem gerooteten Gerät, die native arm64 ARM-Binaries ausführt ohne wesentliche Performanzprobleme. Die Auswahl der Linux-Distribution fiel auf eine glibc-basierte Edition von Void Linux für aarch64. Diese erfüllte alle Anforderungen: geringe Größe, keine Abhängigkeit zu systemd, gute Kompatibilität mit ARM, und vor allem das Laufen unter chroot. Kolektive Erfahrungen zeigten, dass andere beliebte Distributionen wie Arch Linux ARM oder Alpine Linux wegen spezieller Systemlib-Abhängigkeiten oder fehlender Supportschichten nicht ideal waren.
Als Fenstermanager diente i3, ein schlanker, keyboard-zentrierter Tiling WM, der auf einem kleinen Bildschirm bestens zurechtkommt und effizientes Multitasking ermöglicht. Die AR-Brille brachte eine weitere interessante Komponente ins Spiel. Dabei handelt es sich weniger um klassische Augmented Reality im Sinne von 3D-Codierung oder überlagerten virtuellen Welten, sondern vielmehr um ein mikroskopisch kleines 1080p-OLED-Display, das direkt vor dem Auge positioniert wird. Die Bildqualität ist überraschend hoch, aber mit einem einzigartigen Effekt: Schwarze Bildpunkte erscheinen glatt transparent, sodass der Eindruck entsteht, als würde der Inhalt in der Luft schweben. Diese Art „visuelle Schwerelosigkeit“ ermöglichte, neben der Nutzung als Bildschirm, auch weiterhin die Wahrnehmung der Umgebung samt Tageslicht.
Das Modell ist zudem mit elektrochromischer Verdunkelung ausgestattet, die es erlaubt, die Umgebungshelligkeit bei Bedarf auszublenden und die Lesbarkeit auch unter starker Sonneneinstrahlung zu gewährleisten. Die Bedienung mit der kleinen Bluetooth-Tastatur stellte sich als ambivalent heraus. Zwar war sie leicht und transportabel, aber die Eingabequalität ließ zu wünschen übrig. Die Tastatur wirkte klapprig, unhandlich in der Nutzung auf dem Schoß und bot nur begrenzte ergonomische Eigenschaften. Die Suche nach einem idealen faltbaren Keyboard blieb daher ein wichtiges Anliegen.
Ein Hardware-Upgrade könnte die Produktivität weiterhin deutlich erhöhen. Trotzdem genügte die Tastatur für grundlegende Programmierarbeiten und Kommandos, vor allem in Kombination mit i3 Window Manager und dem Termux-X11-Client, der via Touchpad-Funktionalität auch eine Art Maussteuerung bereitstellt. Erstaunlich positiv fielen die Performance-Werte des Systems aus. Beispielhaft wurde die Kompilierung der Programmiersprache Nim von Quellcode getestet. Auf schnellen Desktop-Rechnern dauerte dieser Vorgang mehrere Minuten, auf dem Pixel 8 Pro lag die Zeit bei knapp über 11 Minuten, was den Laptop eines älteren Thinkpads klar übertraf, aber hinter modernsten Geräten zurückblieb.
Für das Arbeiten im Alltag war die Leistung mehr als ausreichend, auch wenn bei ressourcenintensiven Projekten ein gewisses Maß an Geduld erforderlich ist. Auch die Akkulaufzeit erwies sich als bemerkenswert. Selbst bei eingeschalteter AR-Brille und gedimmtem Smartphone-Display wurde der Energiebedarf auf durchschnittlich wenige Watt begrenzt. Täglich waren auf diese Weise vier bis fünf Stunden intensiver Nutzung möglich, bevor ein erneutes Aufladen angeraten war. Das entspricht in etwa der Laufzeit einiger herkömmlicher Laptops bei mobilen Einsätzen, wenngleich die AR-Komponente für sich selbst ein gewisses Limit in der Dauer der Nutzung darstellt, da das Tragen der Brille über längere Zeit durchaus ermüdend sein kann.
Abschließend lässt sich festhalten, dass der Verzicht auf einen Laptop bei gleichzeitiger Nutzung von Smartphone, AR-Brille und Linux nicht nur technologisch visionär ist, sondern auch den Alltag modular und frei gestaltet. Die Flexibilität, spontan an wechselnden Orten arbeiten zu können, ohne schweres Gerät mit sich führen zu müssen, ist ein wichtiger Gewinn für alle, die viel unterwegs sind. Dabei muss keine Kompromisse bei der Werkzeugvielfalt eingegangen werden, denn der komplette Linux-Stack mit modernsten Development-Tools ist weiterhin einsatzfähig. Gleichzeitig zeigt das Experiment auch, wo noch Verbesserungen nötig sind. Die Tastatur braucht ein durchdachtes Redesign, die AR-Displays könnten von einem größeren Sichtfeld und höherer Auflösung profitieren, und die Software-Unterstützung für nicht gerootete Geräte bleibt ein offener Punkt.