Die Entwicklung der Computertechnik in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren war geprägt von enormen technischen Innovationen und einem rasanten Fortschritt in Hard- und Software. Eine besonders bedeutende Rolle spielte die Firma Seattle Computer Products (SCP), die mit ihrem 8086-basierten Computersystem eine der ersten Maschinen schufen, auf der das Betriebssystem DOS laufen konnte – und das ohne die spätere und berühmte 640kB Speicherbarriere, die viele IBM-PCs einschränkte. Diese Geschichte bietet faszinierende Einblicke in die Anfänge der PC-Ära und verdeutlicht, wie technische Entscheidungen von damals die moderne Computerwelt prägten. Im Oktober 1979 präsentierte SCP ihr 8086 16-Bit Computersystem, fast zwei Jahre vor dem Erscheinen des IBM PCs. Interessanterweise handelte es sich dabei nicht um einen herkömmlichen Computer im heutigen Sinne, sondern um ein Set von drei Steckkarten für den sogenannten S-100-Bus, einem damals weit verbreiteten Standard zur Verbindung von Computer-Hardware-Komponenten.
Die drei Karten bestanden aus dem 8086-CPU-Modul, einer CPU-Supportkarte und dem Arbeitsspeicher (RAM) in einem 8/16-Bit Format. Ein vollständiges Computersystem erforderte zusätzlich ein passendes Gehäuse mit einem S-100-Motherboard und eine Verbindung zu einem Computerterminal. Der S-100 Bus selbst war ein faszinierendes Konzept für die damalige Zeit. Im Gegensatz zu modernen Computern, die alle wichtigen Komponenten wie CPU, Speicher und Schnittstellen auf einem Motherboard vereinen, war das S-100-Motherboard ursprünglich eine reine Steckplatine mit 18 bis 22 Slots für einzelne Karten. Jede Karte hatte einen 100-poligen Steckverbinder und konnte unterschiedliche Funktionen erfüllen: CPU, Speicher, Festplattencontroller, Video, Serielle Schnittstellen und mehr.
Die Idee hinter diesem modularen System war größtmögliche Flexibilität und Erweiterbarkeit, angefangen vom Altair 8800 bis hin zur Standardisierung als IEEE-696. Die Herausforderung bei SCP bestand darin, die 16-Bit-Architektur des Intel 8086-Prozessors mit dem ursprünglich für 8-Bit-Prozessoren wie den Intel 8080 oder Zilog Z80 entwickelten S-100 Bus kompatibel zu machen. Das bedeutete, dass auf der CPU-Karte eine Vielzahl an zusätzlicher Logik verbaut werden musste, um die unterschiedlichen Signal- und Timing-Anforderungen zu erfüllen. Zudem musste sichergestellt werden, dass der Prozessor im sogenannten 8-Bit- oder 16-Bit-Modus arbeiten konnte. Im 8-Bit-Modus wurde die Geschwindigkeit durch zusätzliche Speicherzyklen verringert, während der 16-Bit-Modus volle Leistungsfähigkeit ermöglichte, sofern die angeschlossenen Speicherkarten dies unterstützten.
Besonders bemerkenswert war die Tatsache, dass die SCP 8086 CPU-Karte den Prozessor mit zwei möglichen Taktraten betreiben konnte: 4 MHz oder 8 MHz. Diese Wahlmöglichkeit war damals außergewöhnlich schnell, wenn man bedenkt, dass der IBM PC mit seinem 8088-Prozessor nur mit 4,77 MHz lief. Dies bedeutete, dass die SCP-Maschine beinahe das Dreifache der Rechenleistung des späteren IBM PCs erreichen konnte – was in den Anfangstagen der PC-Entwicklung einen enormen Geschwindigkeitsvorteil darstellte. Die CPU-Supportkarte war essentiell für den Betrieb der Maschine und beinhaltete unter anderem ein Boot-ROM mit einem eingebauten Debugger, eine serielle Schnittstelle für die Verbindung zu Terminals sowie eine Echtzeituhr. Das RAM-Modul kam erstmals mit 16 Kilobyte Arbeitsspeicher, was damals als ausreichend galt.
Später wurden diese Karten auf 64 Kilobyte erweitert, eine Größe, die für Systeme dieser Generation als komfortabel galt. Die Softwareentwicklung war hingegen eine ganz besondere Herausforderung. Da es Anfang 1979 noch keine fertigen 8086-Assembler oder andere Entwicklungstools gab, die auf echten Prozessoren liefen, entwickelte der Chefentwickler bei SCP kurzerhand selbst einen 8086-Assembler als Z80-Programm unter CP/M. Parallel entstand ein Debugger, der in den begrenzten 2 KB des ROMs der Supportkarte passte. Diese Eigeninitiative ermöglichte es, überhaupt erste Programme für die neue Maschine zu schreiben und deren Funktionalität zu testen.
Ein entscheidender Meilenstein war die Zusammenarbeit mit Microsoft. Im Mai 1979 begann SCP gemeinsam mit Microsoft die Portierung von Microsoft Stand-Alone Disk BASIC auf die 8086-Plattform, ein Prozess, der in enger Zusammenarbeit vor Ort realisiert wurde. Trotz der fehlenden realen Hardware hatte Microsoft bereits 8086-Prozessoren simuliert, sodass BASIC bei der Präsentation auf dem National Computer Conference 1979 in New York nahezu funktionsfähig war. Diese Kooperation war für die frühe Softwareentwicklung essentiell und bildet eine wichtige Verbindung zur späteren Dominanz von MS-DOS auf dem Markt. Ein weiterer Vorteil des SCP-Systems war das Fehlen der sogenannten 640 Kilobyte Speicherbarriere.
Diese Beschränkung wurde allgemein als „DOS 640k Barrier“ bekannt, war aber tatsächlich ein Ergebnis der Hardware-Architektur des IBM PCs. Dort reservierten Video-Speicherbereiche und System-ROMs einen Teil des möglichen Speicheradressesraums, so dass tatsächlich nur 640 Kilobyte für den Haupt-RAM übrig blieben. SCP hatte dieses Problem durch ein geschicktes Design vermieden: Die Boot-ROM konnte nach dem Start deaktiviert werden, und die Nutzung eines externen Terminals statt einer Video-Karte erlaubte eine volle Adressierung des vollen 1 Megabyte Speichers, den der 8086 adressieren konnte. So konnte das SCP-System tatsächlich mit der gesamten verfügbaren Speichergröße operieren, ohne Einschränkungen in Kauf nehmen zu müssen. Diese Eigenschaft machte die SCP-Computer zu besonders attraktiven Workstations für intensive Software-Entwicklungsaufgaben – so nutzte Microsoft die Maschinen noch Jahre nach SCPs Ende für komplexe Operationen wie das „Linking“ von großen Softwareprojekten, weil dort einfach mehr Speicher zur Verfügung stand.
Erst das Aufkommen von 32-Bit-Prozessoren wie dem Intel 386 ermöglichte es, auch auf neueren Maschinen performant mit großen Speichermengen umzugehen. Neben der CPU und dem Speichersystem bot SCP später Unterstützung für den Intel 8087 Coprozessor, der spezialisierte Gleitkomma-Rechenoperationen übernahm und spezielle Adapterkarten erlaubte, damit auf dem 8086 CPU-Modul verbaut wurde. Dies erhöhte die Rechenleistung speziell für wissenschaftliche und technische Anwendungen erheblich. Im Vergleich zum IBM PC war das SCP-System seinem Konkurrenten also in mehreren Aspekten überlegen. Die höhere Taktrate, der modulare und flexible S-100 Bus, sowie die Umgehung der 640kB Speicherbarriere stellten wichtige Vorteile dar.
IBM führte den PC 1981 mit dem 8088-Prozessor ein, der technisch zwar auf der Architektur des 8086 basierte, aber auf eine 8-Bit-Datenbus-Schnittstelle setzte, um Kosten zu reduzieren. Dadurch mussten Speichervorgänge meist in mehreren Zyklen erfolgen, was die Gesamtleistung reduzierte. Zusätzlich waren die Speicheranschlüsse begrenzt, was langfristig den Eindruck einer technischen Einschränkung („640kB Grenze“) hinterließ. Die Geschichte von SCP und ihrem 8086-basierten System zeigt exemplarisch, wie technische Innovationen oft abseits großindustrieller Produktionen vorangetrieben wurden und welch bedeutende Rolle kleine Firmen und engagierte Ingenieure in der Entwicklung von heute als selbstverständlich angesehenen Technologiestandards spielten. Das SCP-System war dabei nicht nur eine der ersten Maschinen mit DOS, sondern auch ein System, das viele der Limitierungen der späteren IBM-PC-Architektur verstand und umging.
Heute, fast vier Jahrzehnte später, bietet die Betrachtung des SCP-Systems nicht nur eine faszinierende historische Perspektive, sondern liefert auch wertvolle Erkenntnisse darüber, wie leistungsfähige Hard- und Softwarearchitekturen durch kluge Designentscheidungen und die gezielte Zusammenarbeit von Entwicklern und Herstellern entstehen. Die Überwindung der technischen Grenzen, wie beispielweise der 640kB-Barriere, hat somit wesentlich zum Fortschreiten der Computergeschichte beigetragen und zeigt, dass Innovationen oft an den Rändern der etablierten Standards erfolgen.