Seit einigen Jahren rückt die Region Xinjiang im Nordwesten Chinas zunehmend in den Fokus der globalen Aufmerksamkeit. Dort leben die Uiguren, eine ethnisch-muslimische Minderheit, die seit langem Ziel intensiver Überwachung, Unterdrückung und Menschenrechtsverletzungen geworden ist. Insbesondere die staatlichen Programme zur Masseninhaftierung und umfangreichen Überwachung der Uiguren fanden weltweit scharfe Kritik. Parallel zu diesen immenseren Menschenrechtsbedenken hat China ein neuartiges Arbeitsprogramm ins Leben gerufen, das zahllose Uiguren aus ihrer Heimat in produzierte Industriezonen quer durch das Land verlagert. Dabei stellt China offiziell den Ansatz als Armutsbekämpfung und Entwicklungshilfe dar.
Doch Recherchen von internationalen Investigativjournalisten werfen ein ganz anderes Licht auf das Thema: Von einer freiwilligen Beschäftigung kann kaum die Rede sein – vielmehr bestehen begründete Verdachtsmomente auf Zwangsarbeit, systematische Überwachung und soziale Kontrolle. Die Dimension und Komplexität des Phänomens beeinflussen sowohl globale Lieferketten namhafter Marken als auch politische Entscheidungen großer Wirtschaftsnationen. Die Ausgangslage in Xinjiang ist geprägt von massiven Restriktionen. Neben der populär gewordenen umstrittenen Inhaftierung von über einer Million Uiguren in sogenannten Umerziehungslagern existieren seit Jahren staatliche Maßnahmen, die unter dem Deckmantel der wirtschaftlichen Entwicklung und Stabilität die Bevölkerungsstruktur und Kontrolle verschärfen sollen. Ein zentrales Instrument ist dabei die sogenannte Arbeitsmigration, bei der tausende Uiguren umgesiedelt und in von der Regierung kontrollierten Fabriken beschäftigt werden.
Grundlage für diese Praxis sind landesweite Arbeitsvermittlungsprogramme, die mit Fließbandarbeit, Überwachung und systematischer Isolation gekoppelt sind. Die Uiguren verlassen dabei oft ihre Heimatregion Xinjiang, um in weit entfernten Provinzen wie Hubei, Jiangsu oder Liaoning zu arbeiten. Die Entfernung kann bis zu 2600 Kilometer betragen, was einer Entfernung zwischen etwa Berlin und Istanbul entspricht. In den Zielorten arbeiten sie in verschiedenen Industrien – vom Elektronik- und Fahrzeugbau über Schuhproduktion bis hin zur Lebensmittelverarbeitung. Neben staatlichen Quellen und sozialen Medien sind auch investigative Berichte von The New York Times, Der Spiegel und dem Bureau of Investigative Journalism wichtige Quellen, um die Verlagerung transparent zu machen.
Die Arbeitsbedingungen der uigurischen Beschäftigten sind vielfach intransparent. Offiziell sollen sie wie andere chinesische Arbeiter entlohnt werden, mit Durchschnittslöhnen in der Industrie. In der Realität jedoch berichten einige Beschäftigte von langen Arbeitszeiten, strengen Reglementierungen hinsichtlich Aufenthaltsorten, der Notwendigkeit von Genehmigungen für das Verlassen des Werksgeländes und permanenter Überwachung durch begleitende Aufseher aus der Heimatregion. Die soziale Trennung spiegelt sich auch in Wohnverhältnissen wider: Uiguren leben oft in getrennten Schlafsälen, isoliert von der Mehrheitsbevölkerung der Han-Chinesen. Diese Arbeitsmigration wird politisch auch als ein Mittel der Assimilation genutzt.
Durch den Zwang, fern der Heimat in Arbeitslagern unter ständiger Kontrolle zu arbeiten, sollen kulturelle Identitäten und religiöse Praktiken unterdrückt werden. Experten sehen darin eine Strategie, die ethnische Übersiedlung und Auflösung von Gemeinschaften zu forcieren, ähnlich der Demographiegaukelei, um den Widerstand gegen die herrschende Parteimacht zu brechen. Uiguren, die sich weigern, an den Programmen teilzunehmen, drohen Sanktionen – bis hin zu Repressionen und Stigmatisierung als „unzuverlässige“ Elemente. Für die internationalen Wirtschaftspartnerschaften wirft das einen Schatten auf zahlreiche bekannte Marken. Von Automobilkonzernen wie BMW, Mercedes-Benz und Tesla bis hin zu Elektronikherstellern wie Samsung und LG oder Lebensmittelriesen wie McDonald's und KFC: All diese Unternehmen sind Teil eines Lieferantennetzwerks, das mit Fabriken verbunden ist, in denen uigurische Arbeitskräfte eingesetzt werden.
Diese Verbindungen erschweren die Einhaltung von Importverboten gegen Waren, die unter Zwangsarbeit produziert wurden. Insbesondere Gesetze wie das Uyghur Forced Labor Prevention Act der Vereinigten Staaten und eine vergleichbare EU-Verordnung sollen verhindern, dass aus Xinjiang oder durch Umsiedlungsprogramme resultierende Produkte in westlichen Märkten Einzug halten. Doch die großflächige Verlagerung der Arbeitnehmer macht eine lückenlose Kontrolle der Lieferketten enorm schwierig. Die chinesische Regierung bestreitet kategorisch die Existenz von Zwangsarbeit in Xinjiang und verurteilt internationale Maßnahmen als Einmischung in innere Angelegenheiten. Gleichzeitig gibt sie offen zu, dass die Umsiedlungsprogramme beabsichtigen, die wirtschaftliche Entwicklung der als rückständig gebrandmarkten Region zu fördern und Armut zu reduzieren.
Die Regierung betont, dass die Teilnahme an den Programmen freiwillig sei und dass Arbeitsplätze im Binnenland wirtschaftliche Chancen eröffnen. Internationale Kritiker sehen jedoch in diesen Aussagen vorgeschobene Rechtfertigungen für eine umfassende Kontrolle und Unterdrückung der Minderheit. Die Folgen für die Uiguren selbst sind tiefgreifend. Der soziale Zusammenhalt in ihren Gemeinden wird untergraben, die Trennung von Familien ist häufig, und kulturelle Identitäten werden durch erzwungene Umgebungen und politische Indoktrination angegriffen. Zudem besteht das Risiko, dass Arbeit in einem entlegenen Teil des Landes in Wahrheit einem Gefängnis ähnelt, weil die Beschäftigten ihre Rechte kaum einfordern können und unter ständiger Überwachung stehen.
Im internationalen Kontext entwickelt sich die Situation zu einer Herausforderung für Unternehmen, Regierungen und Organisationen, die sich gegen Zwangsarbeit engagieren. Die Komplexität des Themas zeigt, dass reine Produktprüfungen oder Stichproben nicht ausreichen, um sicherzustellen, dass Produkte frei von Menschenrechtsverletzungen sind. Die globale Vernetzung von Produktionsketten und die undurchsichtigen Strukturierungen von Subunternehmern erschweren es, Transparenz zu schaffen. Zudem steht die Thematik im Brennpunkt der zunehmend angespannten Beziehungen zwischen China und westlichen Staaten. Handelsrestriktionen, politische Sanktionen sowie diplomatische Auseinandersetzungen verstärken die Debatte um Menschenrechte, Wirtschaftspolitik und globale Verantwortung.
Insbesondere die USA unternahmen mit dem Uyghur Forced Labor Prevention Act einen bedeutenden Schritt, um den Import von Produkten, die direkt oder indirekt mit Zwangsarbeit aus Xinjiang verbunden sind, zu unterbinden. Auch die EU plant, ähnliche Regelungen ab 2027 umzusetzen. Diese Maßnahmen unterstreichen den politischen Druck auf Unternehmen, ihre Lieferketten unabhängig zu überprüfen und gegebenenfalls neu auszurichten. Unternehmen stehen nun vor der Herausforderung, einerseits den großen chinesischen Markt nicht vollständig zu ignorieren, andererseits ihre Marke vor Imageverlusten und juristischen Konsequenzen zu schützen. Einige Hersteller bestreiten die direkte Verbindung zu den betroffenen Fabriken, verweisen auf Richtlinien gegen Zwangsarbeit und führen Audits durch.
Kritiker bemängeln aber häufig, dass diese Kontrollen unzureichend sind und systematische Probleme nicht erfasst werden. Für Verbraucher gewinnt das Bewusstsein um die Herkunft von Produkten an Bedeutung. Mit wachsendem Interesse an ethisch vertretbaren Einkaufsentscheidungen wächst auch die Erwartung an Unternehmen, verantwortungsvoll zu handeln und menschenrechtliche Standards einzuhalten. Dies schließt auch die Offenlegung von Lieferketten und die Vermeidung jeglicher Verbindung zu Zwangsarbeit ein. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Verlegung von uigurischen Arbeitern aus Xinjiang in Fabriken in ganz China ein vielschichtiges Phänomen ist.
Es verbindet die Dimensionen von Menschenrechtsverletzungen, wirtschaftlichen Interessen, geopolitischen Konflikten und ethischen Herausforderungen in der globalisierten Welt. Die Zukunft wird zeigen, wie effektiv internationale Regelungen zur Bekämpfung von Zwangsarbeit umgesetzt werden können und in welchem Maße Staaten, Unternehmen und die Gesellschaft bereit sind, ihre Verantwortung wahrzunehmen. Klar ist jedoch, dass das Schicksal der Uiguren nicht nur eine regionale Angelegenheit Chinas ist, sondern ein globaler Prüfstein für Menschenwürde und wirtschaftliche Gerechtigkeit.