Südkorea steht vor einer wichtigen politischen und wirtschaftlichen Weichenstellung, da der führende Präsidentschaftskandidat Lee Jae-myung im Vorfeld der anstehenden Wahlen eine umfassende Reformagenda präsentiert hat, die insbesondere die Überwindung des sogenannten „Korea Discount“ in den Mittelpunkt stellt. Dieser Begriff beschreibt das Phänomen, dass südkoreanische Unternehmen am Kapitalmarkt regelmäßig mit niedrigeren Bewertungen kursieren als vergleichbare Firmen aus anderen Ländern. Diese „Abwertung“ ist ein komplexes Problem, das tief in der Unternehmensstruktur und Wirtschaftskultur Südkoreas verwurzelt ist. Lee Jae-myung will dem entgegenwirken, indem er weitreichende Änderungen an der kommerziellen Gesetzgebung und den Leitlinien für Unternehmensführung vorantreibt. Die Bedeutung dieser Initiative geht über Südkorea hinaus, da sie Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit von südkoreanischen Unternehmen auf den globalen Kapitalmärkten hat.
Das Problem des Korea Discount hat historische und strukturelle Ursachen. In Südkorea dominieren große Familienkonzerne, sogenannte Chaebols, die den Wirtschaftsmotor des Landes über Jahrzehnte hinweg geprägt haben. Während diese Unternehmensstrukturen Wachstum und Innovation gefördert haben, sind sie zugleich kritisiert worden, weil sie oft die Interessen der Familienbesitzer über die anderer Aktionäre stellen. Dies führt zu Transparenzproblemen, mangelnder Mitbestimmung von Minderheitsaktionären und einem potenziellen Interessenskonflikt innerhalb der Unternehmensführung. Investoren bewerten diese Unsicherheiten häufig mit Abschlägen am Aktienmarkt, was sich in einer niedrigeren Unternehmensbewertung widerspiegelt – eben dem Korea Discount.
Diese Bewertungsabschläge beeinträchtigen nicht nur die Kapitalaufnahme der Unternehmen, sondern auch das Vertrauen internationaler Investoren in den südkoreanischen Markt. Lee Jae-myung, ein prominenter Politiker der liberalen Demokratischen Partei, hat reagiert, indem er die Reform des Handelsgesetzes und die Stärkung der Corporate Governance zum Kernpunkt seines Programms erklärt hat. Er fordert, dass die treuhänderische Pflicht von Vorstandsmitgliedern gegenüber allen Aktionären – insbesondere den Minderheitsaktionären – klarer definiert und gesetzlich verankert wird. Diese Erweiterung der Verantwortlichkeiten soll sicherstellen, dass Unternehmensentscheidungen nicht nur der Führungselite dienen, sondern den Interessen einer breiteren Aktienbasis gerecht werden. Ein wichtiges aktuelles Beispiel ist die im März verabschiedete Gesetzesvorlage im südkoreanischen Parlament, die diese Ausweitung der Treuepflicht der Vorstandsmitglieder beinhaltete.
Diese Initiative wurde zwar vom damaligen amtierenden Präsidenten Han Duck-soo per Veto gestoppt, weil sie seiner Ansicht nach die Managementautonomie einschränken und Verwirrung stiften könnte, doch der vorpolitische Konsens um die Notwendigkeit von Veränderungen wächst. Die internationale Gemeinschaft beobachtet diese Entwicklungen mit großem Interesse. Südkoreas wirtschaftliche Bedeutung auf globaler Ebene, als führender Hersteller in den Bereichen Elektronik, Automobilbranche und Hightech, macht einen vertrauenswürdigen und transparenten Kapitalmarkt essenziell. Investoren weltweit fordern zunehmend höhere Standards in Sachen Unternehmensführung und Nachhaltigkeit. Werden diese Bedingungen erfüllt, könnte Südkorea dringend benötigtes Kapital anziehen und seine Position als attraktive Investitionsdestination stärken.
Gleichzeitig ist es ein Signal für eine modernisierte Wirtschaftspolitik, die soziale Gerechtigkeit und Transparenz mit wirtschaftlicher Dynamik verbinden möchte. Die Ambitionen von Lee Jae-myung passen in den größeren Kontext einer sich wandelnden südkoreanischen Gesellschaft. Die jüngere Generation fordert mehr Mitsprache und setzt sich für eine demokratischere Wirtschaft ein. Die Reform des Wirtschaftssystems wird als Teil der Antwort wahrgenommen, um Missstände zu beseitigen, die Perzeption der südkoreanischen Wirtschaft weltweit zu verbessern und nicht zuletzt die Zukunftsfähigkeit des Landes zu sichern. Dabei ist die Rede nicht nur von Kapitalmarktreformen, sondern auch von der Förderung von Innovationen, Stärkung kleiner und mittelständischer Unternehmen sowie einer stärkeren Integration von Nachhaltigkeitsprinzipien in Unternehmenspraktiken.
Experten sehen in der Bekämpfung des Korea Discount daher eine Gelegenheit für Südkorea, langfristig Wettbewerbsfähigkeit und Wachstumspotenzial zu steigern. Die Herausforderung liegt allerdings nicht nur in der Gesetzgebung, sondern auch im Umdenken der Unternehmensleitungen und –kultur. Das Zusammenspiel von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft wird entscheidend sein, um nachhaltige Veränderungen umzusetzen. Lee Jae-myungs Ankündigung, das Thema Korea Discount offensiv anzugehen und den Schutz der Minderheitsaktionäre gesetzlich zu stärken, signalisiert Entschlossenheit und Weitblick. Sollte es ihm gelingen, die politische Unterstützung für seine Reformagenda zu bündeln und diese auch gegen Widerstände durchzusetzen, könnten die tief verwurzelten Probleme der Wirtschaftsstruktur Südkoreas durchbrochen werden.