Die digitale Welt befindet sich inmitten einer tiefgreifenden Umwälzung, die von manchen als „digitaler Putsch“ beschrieben wird. Hinter diesem Begriff steckt die Idee, dass seit zwei Jahrzehnten große Technologiekonzerne mittels Kapitalmacht, Werbeausgaben und zentralisierten Plattformen faktisch die Kontrolle über unsere digitale Kommunikation, Meinungsbildung und Kultur erlangen. Diese Entwicklung hat zur Folge, dass viele Nutzerinnen und Nutzer glauben, nur über diese Big Tech-Dienste sichtbar zu werden oder mit ihren Inhalten Wirkung zu erzielen. Doch diese Sichtweise ist trügerisch und bietet einen Nährboden für die sogenannte „Enshittification“ – ein Zustand, in dem ehemals freie und offene Plattformen zunehmend entwertet, monopolisiert und kommerzialisiert werden. Wie der Widerstand gegen diesen digitalen Putsch aussieht und welche Alternativen es gibt, beleuchtet der folgende Text am Beispiel von Akteuren, Plattformen und Bewegungen, die für digitale Souveränität kämpfen.
Der Begriff „digitaler Putsch“ wurde in jüngerer Zeit populär, unter anderem durch die eindringliche TED-Talk-Präsentation von Carole Cadwalladr, die das Problem der sogenannten „Broligarchie“ beschreibt – eine Verschmelzung von Technologiefirmen („Bros“) und Oligarchen, die die digitale Öffentlichkeit kontrollieren und manipulieren. Sie macht deutlich, wie diese Machtkonzentration demokratische Prozesse bedroht und die digitale Öffentlichkeit zunehmend undurchsichtig und unfrei macht. Obwohl Cadwalladr selbst mit Plattformen wie Bluesky und Substack sichtbar ist, die von Risikokapitalgesellschaften und fragwürdigen Akteuren finanziert werden, ruft ihr Impuls dennoch dazu auf, alternative Wege abseits dieser zentralisierten Machtstrukturen zu finden. Diese Diskrepanz zwischen der kritischen Haltung und der Wahl der technischen Infrastruktur illustriert eine der zentralen Herausforderungen im Widerstand gegen den digitalen Putsch: viele Medienschaffende und Meinungsführerinnen sehen sich gezwungen, auf profitorientierten, VC-finanzierten Angeboten zu bleiben, da dort vermeintlich die größte Reichweite und damit der härteste Impact möglich scheint. Doch diese Annahme ist eine Illusion, die von den Projekten selbst am Leben erhalten wird, um die Vormachtstellung von Big Tech zu zementieren.
Eine zentrale Stellschraube in diesem System ist die Plattform Substack, die als Beispiel für eine VC-finanzierte Newsletter-Plattform steht, die von zahlreichen kritischen Stimmen scharf verurteilt wird. Seit Ende 2023 gibt es immer mehr Kritik an Substack wegen seiner mangelnden Moderation von Nazi-Inhalten, Hassreden und Falschinformationen. Die Plattform verdient an diesen problematischen Inhalten mit, da sie eine Provision von 10% auf Einnahmen aus bezahlten Abonnements zieht. Dieses Geschäftsmodell schafft zudem eine Kluft zwischen ethischen und ökonomischen Interessen vieler Autorinnen und Autoren, die ihren Leser*innen ein sicheres und glaubwürdiges Umfeld bieten wollen, sich aber vor der finanziellen Dimension nicht verschließen können. Als Gegenentwurf zu Substack gewinnen freie, Open-Source-gestützte Newsletter- und Blog-Plattformen an Bedeutung.
Besonders hervorzuheben sind Ghost und Beehiiv, die es ermöglichen, große Reichweiten zu erzielen, ohne an zentrale VC-gesteuerte Unternehmen gebunden zu sein. Ghost beispielsweise bietet sogar die Möglichkeit zur einfachen Migration von bestehenden Abonnements und Content an, um den Umstieg zu erleichtern. Zahlreiche namhafte Journalistinnen und Medienunternehmen, wie The Lever, Platformer oder Citation Needed, setzen bereits auf diese Alternativen und zeigen, dass ein nachhaltiges Publishing-Modell außerhalb der Substack-Blase funktioniert. Finanzielle Aspekte spielen dabei eine nicht zu unterschätzende Rolle. Im Vergleich zu Substack, das 10% seiner Einnahmen einbehält, sind die Hosting-Kosten bei Ghost deutlich geringer, insbesondere bei größeren Abonnentenzahlen.
Diese Kostenersparnis bedeutet nicht nur mehr Einnahmen für die Autorinnen, sondern auch eine geringere Abhängigkeit von problematischen Investoren und Geschäftsmodellen. Damit ist der Umstieg auf solche freien Plattformen nicht nur ein ethischer, sondern auch ein finanziell kluger Weg. Neben der Publishing-Infrastruktur wird deutlich, dass der soziale Austausch und die gesellschaftliche Vernetzung auf alternativen Plattformen stattfinden müssen, um den Einfluss der Big Tech-Monopole zu verringern. Hier spielt das Fediverse eine zentrale Rolle – ein Verbund von dezentralen, offenen Netzwerken, die auf dem ActivityPub-Protokoll basieren und so einen interoperablen Raum für soziale Medien, Microblogging, Fotoplattformen und mehr schaffen. Beispiele hierfür sind Mastodon, PixelFed, Friendica, GoToSocial oder Kirdock.
Anders als bei zentralisierten Plattformen besitzen beim Fediverse die Nutzerinnen selbst die Kontrolle über ihre Daten und Beiträge. Die Verantwortung liegt beim einzelnen Betreiber der jeweiligen Instanz, wodurch Zensur und monetäre Ausbeutung weitgehend minimiert werden können. Über Brücken und Crossposting-Tools können Inhalte zusätzlich auf weiteren Plattformen geteilt werden, ohne die eigene Unabhängigkeit aufzugeben. So wird eine neue Form des digitalen Widerstands zum Alltag, der zeigt, dass Sichtbarkeit nicht zwangsläufig mit der Nutzung von Big Tech einhergehen muss. Dieser Widerstand hat auch eine politische Dimension.
Die Fragmentierung und Zentralisierung der digitalen Öffentlichkeit beeinflusst nicht nur die Verteilung von Aufmerksamkeit, sondern auch demokratische Prozesse insgesamt. Technologische Plattformen sind heute nicht neutral, sondern politisch und wirtschaftlich stark verankert. Daher ist die bewusste Wahl einer kritischen Tech-Infrastruktur ein Akt von politischem Aktivismus und digitaler Selbstbestimmung. Stimmen wie die von Elena Rossini, einer italienischen Aktivistin und Filmemacherin, ermutigen Journalistinnen und Medienschaffende, den eigenen Tech-Stack offenzulegen und aktiv Plattformen zu nutzen, die frei, offen und ethisch vertretbar sind. Rossini selbst hat alle ihre kommerziellen sozialen Konten gelöscht und nutzt bevorzugt Mastodon und GoToSocial, betreibt einen eigenen Blog auf Ghost und kommuniziert über verschlüsselte Messenger wie Signal.
Sie engagiert sich zudem dafür, weniger technikaffine Personen bei der Einrichtung von Fediverse-Accounts zu unterstützen, um die Bewegung zu breitenwirksamer Nutzung zu führen. Ihr Konzept #AdoptAWriter dient als Einladung, sich gegenseitig zu empowern und gemeinsam eine digitale Gegenöffentlichkeit zu schaffen, die nicht von kapitalistischen Zwängen bestimmt wird. Eine weitere wichtige Perspektive auf das Thema ist die kritische Reflexion des Nutzerverhaltens und der bestehenden Barrieren. Warum nutzen nicht mehr Menschen diese dezentralen und freien Plattformen? Sind sie zu kompliziert oder zu wenig bekannt? Oder wirken die Netzwerkeffekte der etablierten Plattformen so stark, dass es vermeintlich keine realistische Alternative gibt? Erkenntnisse aus der Szene zeigen, dass die Hürden geringer sind als oft angenommen, wenn Unterstützung und Aufklärung vorhanden sind. Die Initiativen für bessere Usability und Migrationstools sorgen zusätzlich für niedrigere Einstiegshürden.
Letztlich zeigt der Widerstand gegen den digitalen Putsch, dass es möglich ist, Einfluss und Sichtbarkeit in der digitalen Welt zu erlangen, ohne sich den Machtzentren von Big Tech zu unterwerfen. Die Kombination aus ethisch vertretbaren Publishing-Plattformen, dezentralen Netzwerken und einer bewussten Tech-Politik ist der Schlüssel für eine digitale Souveränität, die Demokratie, Privatheit und Vielfalt schützt. Dieses Bewusstsein wächst und bildet eine wachsende Bewegung von Journalistinnen, Bloggerinnen, Aktivistinnen und Nutzerinnen, die konsequent mit gutem Beispiel vorangehen. Die Zukunft der digitalen Kommunikation wird nicht über zentralisierte Monopole entschieden. Sie liegt in der Hand der Gemeinschaften, die freie, offene und faire Technologien leben und gestalten.
Jeder Beitrag, sei es ein Blogpost, ein Newsletter oder ein Beitrag im Fediverse, ist ein kleiner Akt des Widerstands und eine Botschaft an die Welt: Eine andere digitale Welt ist möglich. Ein „digitaler Putsch“ mag derzeit noch in vollem Gange sein, doch der Widerstand formiert sich und nimmt Fahrt auf. Wer sich dieser Bewegung anschließt, trägt aktiv dazu bei, die offene digitale Gesellschaft zu bewahren und weiterzuentwickeln.