Die NBA-Draft-Lotterie von 1985 stellt bis heute einen Wendepunkt in der Geschichte der National Basketball Association dar. Es war die erste Lotterie dieser Art, die eingeführt wurde, um das System der Draft-Pick-Auswahl fairer zu gestalten und vor allem die Manipulation der Spielstände, auch als „Tanking“ bekannt, zu verhindern. Doch noch Jahrzehnte später ranken sich hartnäckige Gerüchte und Verschwörungstheorien um die Veranstaltung. Haben die Verantwortlichen damals tatsächlich das Ergebnis zugunsten der New York Knicks, welche den sensationellen Center Patrick Ewing aus Georgetown auswählten, manipuliert? Oder handelt es sich nur um eine Legende, die im Laufe der Jahre immer weiter ausgeschmückt wurde? Diese Fragen werden bis heute diskutiert. In den frühen 1980er Jahren war die NBA von einem System geprägt, das eine einfache, aber problematische Methode zur Vergabe der ersten Draft-Picks nutzte: Inverse Platzierung der Teams während der regulären Saison.
Dabei hatten die schlechtesten Teams die besten Chancen, als erstes einen jungen Talentstar für ihre Franchise zu gewinnen. Dies führte jedoch zu offenem und teilweise extremer Spielertankung - eine Praxis, bei der Mannschaften absichtlich schwächer spielen, um bessere Chancen im Draft zu erhalten. Die San Diego Clippers, damals im Besitz des umstrittenen Unternehmers Donald Sterling, machten sich diesen Trend besonders zu Nutze und erklärten offen, dass man absichtlich Spiele verlieren müsse, um sich Talente zu sichern. Diese Situation erzürnte viele Teambesitzer und die Liga, die unter der Leitung des damals relativ neuen Commissioners David Stern stand. Stern war erst seit 1984 im Amt, als der Druck wuchs, die Liga vor weiteren Schäden zu schützen und das öffentliche Vertrauen wiederherzustellen.
So wurde für die Draft 1985 die erste Lotterie eingeführt. Ziel war es, durch ein zufälliges Auswahlverfahren die Ungerechtigkeiten zu minimieren und die Anreize für Tanking zu verringern. Die sieben Teams außerhalb der Playoffs hatten je eine gleich hohe Chance von 14,3 Prozent, den begehrten ersten Pick zu gewinnen - und damit das Recht, den Superstar Patrick Ewing zu verpflichten. Die große Besonderheit der Lotterie lag in der Inszenierung. Anstatt anonym und hinter verschlossenen Türen ausgewertet zu werden, entschied man sich zu einem live im Fernsehen übertragenen Event, das Spannung und Unterhaltung mit sportlicher Integrität verbinden sollte.
Vor einem großen Publikum versammelten sich Vertreter der beteiligten Teams im Starlight Roof des Waldorf Astoria in New York und beobachteten gespannt, wie Commissioner Stern in eine transparente Trommel mit sieben großformatigen Umschlägen griff. Jeder Umschlag repräsentierte ein Team und enthielt dessen Logo. Stern zog schließlich den Umschlag mit der leicht sichtbaren, geknickten Ecke, welcher das Los für die New York Knicks bedeutete. Sofort brach in New York ein rauschendes Fest aus; Fans und Medien waren euphorisch, denn Ewing galt als eine Zukunftsikone, ein Spieler, der den angeschlagenen Knicks neues Leben einhauchen konnte. Es war ein Hoffnungszeichen für eine Liga, die sich zu dieser Zeit mit sinkenden Zuschauerzahlen, einem schlechten TV-Deal und zahlreichen Skandalen um Drogen und Wettbewerbskraftgruppe auseinandersetzen musste.
Aber genau hier begann das Unheil für den Ruf der Lotterie. Schon kurz nach der Ziehung tauchten erste Hinweise auf, dass die Lotterie möglicherweise manipuliert gewesen sein könnte. Auffällig war vor allem die geknickte Ecke des Umschlags, die einige Beobachter später als Hinweis auf eine gezielte Platzierung werteten. Es kursierten Spekulationen, dass der Umschlag mit dem Knicks-Logo möglicherweise eingefroren worden sei, um ihn leichter ertastbar zu machen. Weitere Anschuldigungen beinhalteten, dass das Wirtschaftsprüfungsunternehmen Ernst & Whinney, das die Lotterie beaufsichtigte, gleichzeitig für die Eigentümer des Knicks-Teams tätig war, was objektive Zweifel an der Unabhängigkeit der Verlosung aufkommen ließ.
Viele hochrangige Persönlichkeiten der Liga gaben in den Folgejahren unterschiedliche Einschätzungen zu dem Geschehen ab. Stan Kasten, damals General Manager der Atlanta Hawks, erinnerte sich daran, dass es vor der Lotterie in Fachkreisen bereits ein sicheres Wissen gab, dass Ewing zu den Knicks gehen würde. Pat Williams, damaliger Manager der Philadelphia 76ers, fand solche Theorien eher belustigend, betonte aber zugleich, wie schwierig es sei, das Ereignis endgültig aus der Welt zu schaffen. David Stern selbst reagierte auf wiederholte Fragen nach einer möglichen Manipulation oft gereizt bis humorvoll, keineswegs eindeutig, aber stets abweisend. Die Debatte wird auch durch die Tatsache befeuert, dass das damalige Verfahren mit großen Umschlägen in einer Trommel, anders als heutige Zufallsziehungssysteme mit nummerierten Ping-Pong-Bällen, anfällig für Unregelmäßigkeiten gewirkt hat.
Diese Umschläge rollten aufgrund ihrer Form nicht besonders gut, was die Einschätzung, sie könnten gezielt präpariert worden sein, zu befeuern schien. Trotz aller Spekulationen konnte keine bewiesene Manipulation nachgewiesen werden. Nach eingehender Prüfung und jahrelangem öffentlichen Interesse gilt die Lotterie von 1985 im Kern als legitim. Das Ereignis veränderte jedoch nachhaltig die Art und Weise, wie Draft-Lotterien durchgeführt werden. Die NBA entwickelte im Laufe der Jahre ausgeklügeltere Systeme, um Betrugsversuchen vorzubeugen und die Glaubwürdigkeit zu sichern.
Heute erfolgen die Ziehungen in einem komplexen System mit nummerierten Bällen, die mehrfach gezogen werden, um alle Möglichkeiten abzudecken, zudem überwachen Journalisten und unabhängige Beobachter die Prozedur. Die kulturelle und finanzielle Wirkung der „Ewing-Lotterie“ war jedoch enorm. Die Knicks konnten durch den Neuzugang Ewing ihre sportliche Zukunft aufbauen und hatten in den Folgejahren mehrere erfolgreiche Playoff-Teilnahmen. Für die NBA bedeutete die Lotterie einen wichtigen Schritt zu mehr Fairness und Transparenz sowie zu einer neuen Form des Marketings. Das Event katapultierte die Draft-Lotterie ins Rampenlicht und machte sie zu einem festen Bestandteil der Liga-Identität.
Zugleich wies das Ereignis auf die Fragilität und die menschlichen Emotionen im Sport hin. Auf dem Podium voller Funktionäre und Journalisten wurden echte Hoffnungen zerstört oder lebendig, was bis heute eine Quelle für Spekulationen und Faszination darstellt. Es wurde zu einem Mythos, der neben sportlicher Leistung und wirtschaftlichen Interessen auch eine Geschichte von Macht, Vertrauen und Intrigen verkörpert. Die Diskussion um die „Ewing-Verschwörung“ ist ein Paradebeispiel für die Verbindung von Sport, Showbusiness und öffentlicher Wahrnehmung. Sie zeigt, wie Sportveranstaltungen zu Kulturerzählungen werden, deren Wahrheitsgehalt weniger wichtig ist als ihre Wirkung auf Fans und Medien.
Die Mischung aus Skepsis und Bewunderung, die diese Lotterie bis heute umgibt, hat ihr einen legendären Status verliehen und die NBA in den folgenden Jahrzehnten zu einem der erfolgreichsten Sportunternehmen der Welt gemacht. Ob die Ziehung nun manipuliert war oder nicht – der Mythos lebt weiter und beeinflusst die Wahrnehmung von Fairness und Zufall im Profibasketball. Es bleibt spannend, ob eine endgültige Klärung jemals erfolgen wird, oder ob David Sterns hintergründiges Zitat stimmt, dass gerade das Rätsel und die Legende die Lotterie so fesselnd machen. Letztlich erinnert uns die Geschichte der Ewing-Lotterie daran, dass im Sport nicht nur Technik und Taktik zählen, sondern auch Geschichten, Mythen und die unvorhersehbaren Wendungen des Schicksals.