Die Berichterstattung über die Aktienmärkte beeinflusst die Wahrnehmung vieler Anleger und der Öffentlichkeit maßgeblich. Doch so faszinierend und mitreißend große Kursschwankungen auch für Medien und Publikum sein mögen, sie vermitteln oft nur einen Teil der Wirklichkeit. Ein Team von Forschern der Universität Mannheim und des Max-Planck-Instituts für kollektive Güter hat untersucht, wie die Medien über Aktienmarktentwicklungen berichten und welche Auswirkungen diese Berichterstattung auf das Verständnis der Marktperformance hat. Die Analyse bezieht sich auf den Zeitraum von 2017 bis 2024 und umfasst die wichtigsten nationalen Börsenindizes der Vereinigten Staaten sowie der fünf größten europäischen Volkswirtschaften. Dabei zeigt sich eine bemerkenswerte Diskrepanz zwischen der tatsächlichen Entwicklung der Indizes und der Wahrnehmung, die durch die Medien vermittelt wird.
Während die Hauptindizes im Durchschnitt über die Jahre eine positive Entwicklung aufwiesen, wird diese positive Entwicklung durch die Medienberichterstattung teilweise in ihr Gegenteil verkehrt. Dies lässt sich gut am Beispiel des deutschen Leitindex DAX beobachten. Im Untersuchungszeitraum stieg der DAX durchschnittlich um mehr als vier Punkte an den Tagen, an denen er nicht im Fernsehen thematisiert wurde. Allerdings zeigten sich an den Tagen, an denen der DAX in der meistgesehenen Nachrichtensendung Deutschlands erwähnt wurde, oftmals Kursverluste von mehr als zehn Punkten. Diese Beobachtung wird in der Studie als „No News is Good News“-Effekt bezeichnet: Wenn keine Berichterstattung stattfindet, überwiegt tendenziell ein positiver Markttrend.
Dieser Effekt scheint darauf hinzuweisen, dass Medien nicht in jedem Fall die Gesamtentwicklung des Marktes abbilden, sondern vor allem dann berichten, wenn es große, meist negative oder volatile Veränderungen gibt. Ein wesentlicher Grund für diese verzerrte Berichterstattung liegt in der sogenannten Big-News-Bias. Medien fokussieren sich häufig auf große und spektakuläre Kursbewegungen. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Bewegungen nach oben oder unten gehen – die Meldung wird trotzdem starker betont. Zudem haben die Analysten der Studie herausgefunden, dass die täglichen Kursveränderungen eines Index in der Regel negativ verzerrt sind, das bedeutet, dass größere Kursstürze häufiger vorkommen oder stärker ins Gewicht fallen als Kursgewinne.
Diese Kombination aus der Medienpräferenz für große Nachrichten und einer negativen Tendenz der Tagesentwicklung führt dazu, dass die Berichterstattung insgesamt negativer und volatiler erscheint als die tatsächliche Marktentwicklung. Was bedeutet das für Anleger und Beobachter der Börse? Die Folge ist eine kognitive Verzerrung, die das Risiko und das Marktklima pessimistischer erscheinen lässt als sie tatsächlich sind. Vielfach entsteht der Eindruck eines unruhigen Marktes, der von Unsicherheiten und Rückschlägen geprägt wird, obwohl sich die Aktienmärkte langfristig seit Jahren positiv entwickeln. Für Anleger kann dieses verzerrte Bild langfristige Auswirkungen auf ihr Verhalten haben. Zu stark negative oder übertriebene Berichte können zu irrationalen Entscheidungen führen, wie überhastetem Ausstieg oder verpassten Gelegenheiten bei niedrigen Kursständen.
Auch die medial verstärkte Fokussierung auf kurzfristige Schwankungen lenkt von den fundamentalen Faktoren ab, die den Wert von Unternehmen und somit von Aktien bestimmen. Neben Deutschland lassen sich ähnliche Muster auch in den Nachrichtenberichten anderer großer Volkswirtschaften beobachten. Die Medien aus den Vereinigten Staaten, Frankreich, Italien, Spanien und dem Vereinigten Königreich haben ähnliche Präferenzen, insbesondere den Fokus auf beeindruckende Entwicklungen auf Tagesbasis. Dies unterstreicht, dass die Big-News-Bias kein nationales Phänomen ist, sondern ein internationales Muster in der Börsenberichterstattung. Für Unternehmen, Finanzberater und Medien selbst eröffnet die Erkenntnis wichtige Ansatzpunkte für eine verantwortungsvollere Kommunikation.
Es wäre wünschenswert, die Berichterstattung ausgewogener zu gestalten und auch längerfristige Entwicklungen und Trends ins Blickfeld zu rücken. Finanznachrichten könnten durch die Integration fundierter Analysen und Kontextinformationen eine realistischere Einschätzung der Märkte vermitteln. Darüber hinaus können Medien durch die bewusste Vermeidung einer einseitigen Darstellung der Börsenentwicklung das Vertrauen der Anleger stärken und zur finanziellen Bildung beitragen. Anhand dieser Studie wird deutlich, dass es wichtig ist, bei der Beobachtung von Aktienmarktberichten kritisch zu bleiben und sich nicht ausschließlich von Schlagzeilen und kurzfristigen Schwankungen leiten zu lassen. Die Börse ist ein komplexes System, in dem sich hinter großen Tagesschwankungen oft größere, stabile Trends verbergen.