Bordeaux gilt als eine der beständigsten Städte des 18. Jahrhunderts in Europa und fasziniert Besucher mit seinem harmonischen Stadtbild, das auf die Zeit des Aufschwungs und wirtschaftlichen Wachstums zurückgeht. Vor allem im 18. Jahrhundert erlebte die Stadt dank besonderer Handelsprivilegien und ihres reichhaltigen Beteiligens am transatlantischen Handel, inklusive der dunklen Epoche des Sklavenhandels, eine außerordentliche Blüte. Die von zentralen Plätzen ausgehenden Straßen, die sich sternförmig erstrecken, sowie beeindruckende Monumente wie die Girondins-Statue verleihen Bordeaux ein charakteristisches architektonisches Erbe, welches die Spuren dieser Epoche eindrucksvoll sichtbar macht.
Für historisch Interessierte stellt das Zentrum der Stadt damit einen Ort dar, der weit über das bloß Schöne hinaus eine Geschichte erzählt, die Holprigkeiten und Glanz gleichermaßen reflektiert. Bordeaux steckt voller geschichtlicher Facetten, die oft erst bei genauerem Hinsehen wahrgenommen werden. Allerdings sollte man auch die vielfältigen Eindrücke jenseits des Stadtzentrums schätzen lernen, denn Bordeaux besitzt eine Reihe von Stadtvierteln mit ganz eigenem Charme und Charakter. Die verschiedenen Quartiere wirken lebendig und abwechslungsreich, vom geschäftigen Chartrons bis zu aufstrebenden Bereichen wie den Bassins à Flot. Diese Mischung macht die Stadt trotz mancher kritischer Stimmen lebenswert und interessant zum Erkunden.
Gerade für Reisende, die das Authentische und Alltägliche abseits der Touristenrouten erleben möchten, bietet Bordeaux Überraschungen. Wer sich mit Bordeaux beschäftigt, wird auch schnell feststellen, dass die Stadt keineswegs nur ein Relikt vergangener Glanzzeiten ist. Die moderne Architektur an den Flussufern etwa sorgt für einen unerwarteten Kontrast. Besonders die Brücken, die die Ufer der Garonne miteinander verbinden, überraschen mit einem innovativen und teilweise brutalistischen Stil, der in deutlichem Widerspruch zur traditionellen klassizistischen Bauweise steht. Solche Bauten ziehen bewundernde Blicke auf sich und bringen Dynamik in das Stadtbild.
Damit hat Bordeaux gleichzeitig seinen Blick nach vorne gerichtet, ohne seine Tradition zu leugnen. Ein Highlight für Weinliebhaber ist zweifellos die berühmte Cité du Vin – ein modernes Weinerlebniszentrum, das sich thematisch und architektonisch von sonstigen Museen abhebt. Hier taucht man digital und interaktiv in die Geschichte des Weines ein, lernt alles über Weinproduktion auf der ganzen Welt und kann sogar diverse Weinaromen erleben. Dieses Zentrum hat sich zu einer der wichtigsten Attraktionen der Stadt gemausert, auch für Besucher, die selbst keinen großen Weinkenner haben. In der Tat gehört Bordeaux, relativ betrachtet, zu den globalen Wein-Hauptstädten, was sich in vielen facettenreichen Weingütern und landwirtschaftlichen Anwesen in der nahen Umgebung widerspiegelt.
Die zahlreichen Châteaux in der Region laden zum Verweilen ein und bieten neben erstklassigen Weinen häufig auch gastronomische Höhepunkte. Für Genießer sind diese ländlichen Michelin-Restaurants ein Muss, denn sie präsentieren die kulinarische Tradition der Region in ihrer besten Form – auch wenn die klassische französische Küche in den städtischen Bistros oftmals nicht mehr die gleiche Qualität erreicht wie früher. Allgemein wird beobachtet, dass traditionelle französische Esskultur sich vor allem auf die ländlichen Regionen und weniger auf die Städte konzentriert. Wer herkömmliches französisches Essen in Bordeauxs Innenstadt sucht, wird häufig von durchschnittlicher Qualität enttäuscht sein. Dies mag daran liegen, dass sich die französische Esskultur gewandelt hat und viele Einflüsse sich vermischen, gleichzeitig aber auch der Fokus auf internationalere Angebote und schnelle Gastronomie wächst.
Von kultureller Seite aus werden die Menschen in Bordeaux als vergleichsweise offen und amerikanisiert wahrgenommen. Englischkenntnisse sind in der Regel gut ausgeprägt, besonders unter der jüngeren Generation, was den Austausch für internationale Besucher deutlich erleichtert. Die vermeintlichen Klischees über die „typisch französischen“ Verhaltensweisen verlieren an Bedeutung, ebenso wie die Wahrnehmung von Alltagskultur als besonders fremd oder unzugänglich. Bordeaux erscheint heute als eine Stadt, die relativ normal und für sich gesehen sogar recht bodenständig wirkt – eine Eigenschaft, die sowohl positiv als auch negativ interpretiert wird. Trotz dieser vermeintlichen Normalität ist die Stadt keineswegs unspannend.
Im Gegenteil: Die französische Metropole besitzt zahlreiche kleine Schmuckstücke, die nur dem aufmerksamen Besucher offenbart werden. Von den vielen Buchhandlungen, insbesondere der berühmten Librairie Mollat, der größten unabhängigen Buchhandlung Frankreichs, bis zu versteckten Märkten und den lebendigen Wochenmärkten ist das kulturelle Angebot vielfältig und lohnt die Zeit. Für Literatur- und Kunstliebhaber bieten solche Orte eine angenehme Alternative zu den großen und leider oft überlaufenen Museen in Paris. Apropos Museen: Während die Hauptmuseen der Stadt mitunter zurückhaltend bewertet werden, gibt es dennoch besondere Erlebnisorte zu entdecken. Die Beaux-Arts etwa birgt einige bemerkenswerte Impressionisten und kubistische Werke, und das Bassin des Lumières, ein ehemaliger U-Boot-Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg, wurde in eine beeindruckende Projektionserlebnisstätte umgewandelt.
Wer Interesse an Geschichte besitzt, wird zudem in Bordeaux auf Spuren der Römer treffen – etwa in Form eines fast unbekannten römischen Amphitheaters, das eine faszinierende Verbindung in die Antike darstellt. Die Stadt ist zudem älter und vielschichtiger, als ihr auf den ersten Blick entnommen werden kann. Zu ihren historischen Verbündeten gehörten großartige Persönlichkeiten wie Montesquieu und Montaigne, deren Gedanken bis heute nachwirken. Bordeaux war unter anderem lange Zeit eine englische Besitzung und hat daher eine besondere, manchmal liberalere Prägung, die sich auch in der Mentalität einiger Bewohner widerspiegelt. Die Stadt hat ein studentisches Flair, unter anderem dank der Universität, die zahlreiche junge Menschen anzieht und ihr lebendiges Antlitz prägt.
Dieses studentische Milieu trägt zu einer dynamischen Atmosphäre bei, die die andere Seite der vermeintlichen „Eintönigkeit“ widerspiegelt und den Kosmopolitismus fördert. Auch sportlich hat Bordeaux einiges zu bieten: Fahrradwege entlang der Flussufer laden zu ausgedehnten Touren und zum Erkunden der Stadt sowie ihrer Umgebung ein. Für Natur- und Aktivurlauber sind die nahen Landschaften des Périgord oder das Bassin d’Arcachon hervorragende Ausflugsziele, die zwischen Stränden, Wäldern und historischen Dörfern eine atemberaubende Vielfalt zeigen. Wer in Bordeaux eher Ruhe und authentische ländliche Idylle sucht, sollte unbedingt auch Zeit für die Besuche kleiner Dörfer und Sehenswürdigkeiten in der Umgebung einplanen. Trotz aller Vielfalt gibt es auch kritische Stimmen, die Bordeaux als recht unspektakulär und schlicht bezeichnen.
Manch einer findet, dass die Stadt hinter anderen südfranzösischen Großstädten wie Toulouse oder Montpellier zurückbleibe, weil das reine touristische Angebot nicht besonders spektakulär ausfalle. Doch gerade das macht für viele den Reiz aus, fernab des Massentourismus diese eher ruhige und bodenständige Stadt zu erfahren. Bordeaux hat auch eine saubere, sichere und angenehme Ausstrahlung, die vielen französischen Großstädten, darunter Paris, in nicht jedem Viertel gelingt. Abgesehen vom Zentrum lohnt sich also das Erkunden der verschiedenen Viertel und der Nachbarregionen, die mehr und mehr zu zeitgemäßen Zielen werden. Bordeaux steht stellvertretend für viele Veränderungen, die Frankreich derzeit durchmacht.
Die Verschiebung traditioneller Esskultur in die ländlichen Nischen, die zunehmende Internationalität seiner Einwohner, die spannende Kombination aus alten Denkmälern und moderner Architektur – all das zeigt eine Stadt im Wandel. Für Reisende, die mit offenen Augen hingehen und nicht zwangsläufig die spektakulärsten Sehenswürdigkeiten suchen, bietet Bordeaux mit seiner Mischung aus Geschichte, Kultur, Wein und Leben einen besonderen Reiz. Bordeaux fordert dazu auf, nicht mit zu hohen Erwartungen zu kommen, sondern sich auf kleine Entdeckungen einzulassen und die Stadt und ihre Umgebung aktiv und zu Fuß oder per Rad zu erkunden. Dann erschließt sich die Schönheit dieser historischen französischen Stadt, die viel mehr ist als nur die berühmte Weinhauptstadt.