Die Welt der Farben ist so vielfältig und komplex, dass es oft schwierig ist, präzise Bezeichnungen für bestimmte Farbtöne zu finden. Seit Jahrhunderten suchen Künstler, Wissenschaftler und Naturforscher nach einem System, das Farben genau beschreibt und eine gemeinsame Sprache schafft. Eine der bedeutendsten Errungenschaften in diesem Bereich ist die von Abraham Werner entwickelte „Nomenklatur der Farben“, die später von Patrick Syme im frühen 19. Jahrhundert überarbeitet und erweitert wurde. Dieses Werk bietet eine systematische Farbklassifikation, die nicht nur Künstlern, sondern auch Naturwissenschaftlern eine verlässliche Grundlage zur präzisen Farbbestimmung lieferte.
Abraham Werner, ein deutscher Mineraloge des späten 18. Jahrhunderts, erkannte, wie wichtig eine einheitliche Farbbeschreibung für die Wissenschaft ist. Besonders in der Mineralogie, seinem Fachgebiet, entstand der Bedarf, Farben der Mineralien genau zu bestimmen und zu benennen. Seine Nomenklatur umfasste 79 Farbtöne, die anhand von Tieren, Pflanzen und mineralischen Beispielen definiert wurden. Das Ziel war es, Farbbeschreibungen vergleichbar zu machen und Missverständnisse zu vermeiden, die bei der reinen Wortbeschreibung von Farben häufig vorkommen.
Im Jahr 1814 veröffentlichte der schottische Künstler und Lehrer Patrick Syme eine erweiterte Version von Werners System mit 110 Farbtönen. Syme ergänzte Werner’s Werk um sorgfältig gemalte Farbmuster, die es ermöglichten, Farben nicht nur theoretisch zu beschreiben, sondern auch visuell zu erfassen. Diese handgefertigten Farbmuster verankerten die abstrakten Farbbegriffe in der Realität und erleichterten so die Anwendung in unterschiedlichsten Fachbereichen. Syme ordnete jeder Farbe passende Beispiele aus dem Tier-, Pflanzen- und Mineralreich zu. Dadurch wurde der Bezug zur natürlichen Welt hergestellt, was insbesondere für Naturforscher von unschätzbarem Wert war.
Ein herausragendes Merkmal von Werner’s Nomenklatur war die Berücksichtigung von Farbabstufungen. Das System ermöglichte es, Farbtöne nicht nur zu benennen, sondern auch deren Nuancen und Mischverhältnisse eindeutig zu beschreiben. So konnte etwa ein Farbton, der zwischen Grün und Gelb liegt, als „Neigung zu Gelb“ bezeichnet werden oder als „zwischen Grün und Gelb liegend“. Dadurch ließen sich etliche Farbabstufungen präzise erfassen, was für etwa die Dokumentation biologischer Beobachtungen von großer Bedeutung war. Besonders bekannt ist Werner’s System auch deshalb, weil der berühmte Naturforscher Charles Darwin während seiner Reise mit der HMS Beagle auf diesen Leitfaden zurückgriff.
Anhand von Syme’s kolorierter Ausgabe konnte Darwin Pflanzen, Tiere und Gesteine exakt in ihren Farbtönen beschreiben, was die wissenschaftliche Dokumentation seiner Beobachtungen wesentlich erleichterte. Durch die Genauigkeit der Nomenklatur wurde die Kommunikation zwischen Forschern deutlich verbessert, und gemeinsame Standards halfen, Missverständnisse zu vermeiden. Die farbliche Klassifikation in Werners und Symes Werk gliedert sich in Hauptgruppen wie Weiß, Grau, Schwarz, Blau, Purpur, Grün, Gelb, Orange, Rot und Braun. Jede dieser Gruppen enthält zahlreiche Nuancen mit detaillierten Beschreibungen und Zuordnungen. Die Farben werden stets mit Beispielen aus der Natur illustriert, was die Farbvorstellung lebendig werden lässt.
So kann zum Beispiel „Schneeweiß“ mit dem Bauch der Schwarzkopf-Möwe verglichen werden oder „Ultramarinblau“ mit dem Schmetterlingsflügel einer kleinblauen Heide. Die Bedeutung der Nomenklatur liegt nicht nur in der Farbklassifizierung, sondern auch in der Etablierung eines verbindlichen Standards. Oft werden Farbnamen unterschiedlich interpretiert, und ohne eine solche Referenz ist eine genaue Beschreibung kaum möglich. Werner’s System trug wesentlich dazu bei, in den Naturwissenschaften ein einheitliches Verständnis von Farbvariationen zu schaffen. Dabei spiegelt sich in der Beschreibung auch die Beobachtung naturwissenschaftlicher Details wider, etwa Krankheiten bei Pflanzen und Tieren oder mineralische Eigenheiten.
Neben der Verwendung in der Wissenschaft fand die Nomenklatur auch in der Kunst Anwendung. Künstler konnten mit Werner’s Farbpalette gezielter und systematischer arbeiten, da genaue Farbbezeichnungen und Farbmischungen bereits klar definiert waren. Dies förderte präzise Farbmischtechniken und eine systematische Herangehensweise an die Farbgestaltung, was besonders im 19. Jahrhundert, einer Zeit des wissenschaftlichen Fortschritts und gesteigerten Interesses an Naturstudien, große Bedeutung hatte. Die Originalausgabe von Patrick Syme wurde wiederholt reproduziert und ist heute für Historiker, Künstler und Wissenschaftler gleichermaßen von Interesse.
Moderne Projekte, wie die von Nicholas Rougeux initiierte Online-Rekonstruktion, ermöglichen es, das historische Werk neu zu entdecken. Farbtafeln, Animationen und fotografische Beispiele erleichtern es, die historische Farbklassifikation zu verstehen und vermitteln zugleich einen Einblick in die Farbwahrnehmung des frühen 19. Jahrhunderts. Werner’s und Syme’s Einfluss erstreckt sich auch auf heutige Farbsysteme. Die klare Trennung in Grundfarben sowie deren Abstufungen und Mischungen bilden eine Grundlage, auf der moderne Farbnomenklaturen wie die Pantone-Farbpalette oder digitale Farbmodelle wie RGB und CMYK aufbauen.
Obwohl diese zeitgenössischen Systeme technisch deutlich weiterentwickelt sind, bleibt die Idee eines verbindlichen Standards zur Kommunikation von Farbe ein Erbe von Werner. Heute dient Werner’s Nomenklatur nicht nur der historischen Orientierung, sondern inspiriert auch Künstler und Wissenschaftler, die über die Farbklassifikation nachdenken. Zudem wird sie in musealen Kontexten und naturkundlichen Sammlungen genutzt, um Farbbeschreibungen von Objekten aus dieser Zeit zu übersetzen oder verstehen zu können. Die detaillierten Beschreibungen bieten weiterhin eine anschauliche Veranschaulichung früherer naturwissenschaftlicher Beobachtungsverfahren. Wer sich für Farben, Kunstgeschichte und naturwissenschaftliche Methodik interessiert, findet in Werner’s Nomenklatur der Farben ein faszinierendes Werkzeug und gleichzeitig ein wertvolles kulturelles Erbe.