Als Kind glaubte ich, bereits viel zu wissen. Mein Gedächtnis war scharf und selbst wenn ich nicht alle Details kannte, wusste ich meist, wo ich danach suchen musste. Damals gab es weder Google noch das moderne World Wide Web, wie wir es heute kennen. Informationen zu sammeln bedeutete, jemanden zu fragen oder ein gedrucktes Werk zu konsultieren – eine völlig andere Welt als die heutige digitale Informationsflut. Schon damals war ich nicht zurückhaltend damit, einzugestehen, wenn ich etwas nicht wusste.
Ein schlichtes „Ich weiß es nicht“ oder „Ich kann das für dich herausfinden“ waren für mich ehrlich und offen. Meine Überzeugung war stets, dass jemand, der mich fragt, in der Regel annimmt, ich hätte schon eine gewisse Ahnung vom Thema. Doch als ich meine Frau kennenlernte, die Lehrerin ist, wurde mir eine ganz andere Herangehensweise an Wissen und den Umgang mit Unwissenheit bewusst. Sie brachte mir einen Satz bei, der mir zuerst befremdlich erschien: „Ich weiß es nicht, aber wie wäre es, wenn wir es gemeinsam herausfinden?“ Für Erwachsene mag das banal erscheinen, aber in der pädagogischen Praxis ist es ein wesentlicher Baustein. Denn im Unterschied zu mir, der dachte, man wüsste etwas oder eben nicht, betrachtete sie Wissenserwerb als gemeinsamen Prozess.
Zusammen zu forschen, bedeutet nicht nur, eine Antwort zu finden, sondern vor allem den Weg zur Antwort zu verstehen. Lernen ist mehr als das Aneignen von Fakten – es ist das Erlernen des Prozesses des Entdeckens. Diese Vorstellung ließ mich tiefer über die Rolle von Bildung und Kommunikation nachdenken. Das Konzept des „gemeinsamen Findens“ ähnelt der alten Technik des sokratischen Dialogs, die ich durch meine Lektüre von Platons Werken besser verstand. Bei dieser Methode stellt der Lehrer gezielte Fragen und widerlegt oberflächliche Antworten, um das Gegenüber dazu zu bringen, selbst zu tieferen Einsichten zu gelangen.
Sokrates selbst gab vor, nichts zu wissen, um seine Gesprächspartner auf die Suche nach den wahren Antworten zu animieren. Diese Technik richtet das Lernen auf die aktive Mitwirkung und das Hinterfragen und macht den Lernenden zum Hauptakteur seines eigenen Erkenntnisprozesses. Im Laufe meiner Karriere habe ich diese Herangehensweise häufig angewandt, insbesondere in meiner Arbeit mit anderen. Nicht einfach lediglich zu erklären, was getan wird, sondern gemeinsam mit anderen die Prinzipien hinter den Praktiken zu erfassen, stärkt das Verständnis nachhaltig. Es ist eine Einladung, sich in den Prozess des Denkens zu vertiefen und den Grund für bestimmte Methoden besser zu begreifen.
Diese offene Haltung zum Lernen fördert auch die Bereitschaft, neue oder bessere Lösungen zu akzeptieren, wenn sie einem begegnen – die Flexibilität, die wir im modernen Berufsalltag dringend brauchen. Warum ist diese Methode so effektiv? Zum einen ermöglicht sie dem Fragesteller, selbst Lösungen zu erarbeiten – eine Erfahrung, die weit nachhaltiger ist als das bloße Auswendiglernen von Antworten. Das Gefühl, selbst zum Ergebnis gekommen zu sein, stärkt das Selbstvertrauen und die Motivation, Probleme zukünftig eigenständig anzugehen. Darüber hinaus fördert das gemeinsame Erkunden die Zusammenarbeit und das gegenseitige Verständnis. Gerade diese Teamarbeit ist eine Fähigkeit, die vielen – mir eingeschlossen – schwerfällt, aber unentbehrlich ist.
Jede Gelegenheit, diese soziale Kompetenz zu üben, zahlt sich langfristig in besseren Arbeitsbeziehungen und einer angenehmeren Atmosphäre aus. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass das Angebot, bei einer Fragestellung zu helfen, selbst wenn man die Antwort nicht kennt, Mitgefühl und Wertschätzung signalisiert. Gerade im Arbeitsumfeld kann dies das Vertrauensverhältnis verbessern und nützliches "Beziehungs-Kapital" aufbauen. Wer sich unterstützt fühlt, ist eher bereit, künftig wieder um Hilfe zu bitten, was gerade in hierarchischen Strukturen eine bedeutende Rolle spielt, wenn jemand zu seinem „Vorgesetzten“ aufsieht. Indem man gemeinsam an einer Lösung arbeitet, signalisiert man zudem Offenheit für unterschiedliche Perspektiven und alternative Herangehensweisen.
Oft birgt ein Problem verborgene Facetten, die erst durch Dialog und kritische Reflexion sichtbar werden. Solche Erkenntnisse können die eigene ursprüngliche Sichtweise fragwürdig machen oder sogar ganz neue, bessere Lösungen hervorbringen. Dies führt zu einer dynamischen und kreativen Lernumgebung, in der Starre und dogmatisches Verhalten keinen Platz haben. Neben diesen zwischenmenschlichen Vorteilen ist Lernen zusammen auch deshalb wertvoll, weil es reine Arbeit mit Wissen in ein soziales Ereignis verwandelt. Menschen sind soziale Wesen.
Gemeinsam zu entdecken macht nicht nur mehr Freude, es schafft auch bleibende Erinnerungen und wertvolle gemeinsame Erlebnisse. Das gibt dem Wissen eine emotionale Komponente, die das Behalten und Verstehen fördert – etwas, das isoliertes Lernen kaum erreicht. Zuletzt fördert das gemeinsame Vorgehen auch die lebenslange Lernfähigkeit. In einer Welt, die von ständiger Veränderung geprägt ist, ist die Fähigkeit und Bereitschaft, sich ständig neues Wissen anzueignen, entscheidend. Wer sich daran gewöhnt, Fragen nicht einfach abzuwürgen, sondern mit Neugier und Offenheit an die Klärung heranzugehen, bleibt flexibel und anpassungsfähig.
Natürlich ist es wichtig, ehrlich zu sein und manchmal auch schlicht „Ich weiß es nicht“ zu sagen. Aber damit eine Frage einfach abzutun, ist wenig hilfreich. Es wirkt oft arrogant, selbst wenn das nicht beabsichtigt ist. Vielmehr lohnt sich ein Ansatz, der signalisiert: Wir finden die Antwort zusammen, denn auch ich bin stets Lernender. Die Technik des gemeinsamen Find-Outs ist nicht nur eine bessere Alternative zu schnellem Antworten oder Ablehnen.
Sie ist eine Einladung zu tieferem Verständnis, besserer Zusammenarbeit und menschlicher Verbundenheit. Sie lehrt uns, dass Unwissenheit kein Makel, sondern Ausgangspunkt für Entdeckung sein kann – eine Haltung, die gerade in einer komplexen und schnelllebigen Welt kaum wertvoller sein könnte. Wer bereit ist, diesen Weg mit anderen zu gehen und die Freude am gemeinsamen Entdecken zu teilen, öffnet nicht nur Türen zu neuem Wissen, sondern auch zu besseren Beziehungen und persönlicher Weiterentwicklung. Die Welt des Find-Outs lädt uns ein, Neugier zu leben, Zusammenhalt zu stärken und Lernen als Abenteuer zu erleben.