In einer Welt, die von wachsendem Ressourcenverbrauch, ökologischen Krisen und sozialen Ungleichheiten geprägt ist, stellt sich eine immer drängendere Frage: Könnte weniger tatsächlich mehr sein – auch im Geschäftsleben? Das Konzept des „Weniger, aber besser“ gewinnt zunehmend an Bedeutung und fordert das bislang vorherrschende Wirtschaftswachstumsparadigma heraus. Statt unbegrenztem Wachstum und Maximierung der Produktionszahlen tritt die Qualität, Nachhaltigkeit und gesellschaftliche Verantwortung in den Mittelpunkt. Doch was bedeutet dies konkret für Unternehmen, wie lässt sich diese Philosophie im Alltag umsetzen und welche Chancen ergeben sich daraus für die Wirtschaft von morgen? Das Streben nach mehr hat die moderne Wirtschaft jahrzehntelang geprägt und war gleichbedeutend mit Erfolg. Umsatz, Gewinn, Marktanteile und Expansion galten als Gradmesser für unternehmerische Leistung. Doch genau dieses Wachstum um jeden Preis stößt an ökologische und soziale Grenzen.
Die globalen Ressourcen sind endlich, die planetaren Belastungsgrenzen werden massiv überschritten und gesellschaftliche Ungleichheiten nehmen zu. Vor diesem Hintergrund gewinnt die Degrowth-Bewegung an Relevanz. Sie kritisiert das Dogma des unendlichen Wachstums als unverhältnismäßig und plädiert für eine demokratisch geplante, sozial gerechte Reduktion von Produktion und Konsum. Im Kern zielt Degrowth darauf ab, das Wirtschaften so zu gestalten, dass die Bedürfnisse aller Menschen gedeckt werden, ohne die Stabilität der natürlichen Umwelt zu gefährden. Für Unternehmen bedeutet das nicht nur eine Herausforderung, sondern auch eine Chance, tiefgreifende Veränderungen anzustoßen.
Weniger Produkte, weniger Ressourcenverbrauch und einfachere Lieferketten können durch gezielte Innovationen durch Qualität und Langlebigkeit kompensiert werden. Dies entspricht auch dem Prinzip der Kreislaufwirtschaft, in der Materialien möglichst lange in Nutzung gehalten werden, etwa durch Reparatur, Wiederverwendung und Recycling. Unternehmen, die diese Konzepte frühzeitig integrieren, profitieren von Kosteneinsparungen, erhöhter Resilienz sowie einer höheren Akzeptanz bei bewussten Konsumenten. Die Idee „Weniger, aber besser“ findet sich auch im Bereich der Arbeitsorganisation wieder. In einer Zeit, in der ständige Erreichbarkeit und Überlastung häufig zu Stress und sinkender Produktivität führen, zeigt sich, dass konzentriertes Arbeiten an weniger Aufgaben mit höherer Qualität und Sinnhaftigkeit effektiver ist.
Konzepte wie die Vier-Tage-Woche gewinnen an Aufmerksamkeit, denn sie ermöglichen es Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, fokussierter zu arbeiten und zugleich mehr Zeit für Erholung und persönliche Projekte zu haben. Weniger, aber besser gilt hier gleichermaßen für individuelle Arbeitsbelastung und unternehmerische Zielsetzungen. Unternehmen stehen jedoch oft vor der Schwierigkeit, diese neue Denkweise bei Geschäftsführern und Führungskräften zu verankern. Viele verbinden Wachstum noch immer automatisch mit Profit und Erfolg und scheuen vor radikalen Neuausrichtungen zurück. Dabei ist es essenziell, den Sinn und Zweck des Unternehmens klar zu definieren – das sogenannte „Why“ – das weit über reine Gewinnerzielung hinausgeht.
Unternehmen, die einen klaren gesellschaftlichen oder ökologischen Auftrag verfolgen, können sich langfristig besser positionieren und ihre Innovationskraft gezielter entfalten. Dies belegt beispielhaft der Wandel von Familienunternehmen wie der Viessmann-Gruppe, die ihre strategische Ausrichtung zunehmend auf Verantwortung für zukünftige Generationen und nachhaltige Lösungen für den Wohnraum fokussiert. Das Prinzip der Reduktion fordert auch eine kritische Reflexion darüber, was Produkte und Dienstleistungen tatsächlich leisten müssen. Statt ständig neue Features oder Varianten zu entwickeln, lohnt es, sich auf den Kernnutzen zu konzentrieren und diesen bestmöglich zu erfüllen. Qualitätsmerkmale wie Langlebigkeit, Reparierbarkeit und Energieeffizienz gewinnen dadurch an Bedeutung.
Gleichzeitig führt dies zu einer Veränderung im Verhältnis zwischen Konsumenten und Unternehmen. Die Nachfrage verschiebt sich hin zu bewussterem und nachhaltigerem Konsum, was die Entwicklung von Geschäftsmodellen wie Sharing Economy, Leihen statt Kaufen oder Produkt-as-a-Service fördert. Ein weiterer Aspekt, der oft übersehen wird, ist die Innovation durch Beschränkungen. Zwar klingt weniger auf den ersten Blick wie ein Verzicht, doch gerade durch das Einführen von Begrenzungen können Unternehmen kreative Lösungen finden, die ganz neue Geschäftsbereiche erschließen. Die Pandemie hat eindrücklich gezeigt, wie rasch viele Unternehmen umdenken und sich neu orientieren konnten, wenn äußere Zwänge sie dazu zwangen.
Dieser kreative Umgang mit Ressourcenknappheit und Unsicherheit kann als Inspiration dienen, auch freiwillig Beschränkungen als Innovationsmotor zu nutzen. Im Kontext der sozialen Gerechtigkeit öffnet die Reduktion zudem den Blick auf die Verteilung von Arbeit und Wohlstand. Ein System, in dem das Überleben für die meisten Menschen von wilder Erwerbsarbeit abhängt, ist zugleich ungerecht und instabil. Weniger Arbeit bei gleichzeitig besserer Qualität würde in einer Gesellschaft mit entsprechenden sozialen Sicherungen zu mehr Freiheit und Selbstverwirklichung führen. Vorschläge wie das bedingungslose Grundeinkommen könnten hier eine wichtige Rolle spielen und Unternehmen sowie Individuen von existenzsichernden Zwängen entlasten.
Vor allem aber lädt das Prinzip „Weniger, aber besser“ zu einer grundsätzlichen Neugestaltung von Wirtschafts- und Gesellschaftssystemen ein. Die bisher dominierenden Strukturen wurden über lange Zeiträume unbewusst gestaltet, sie sind keine naturgegebenen Tatsachen. Diese Erkenntnis gibt Hoffnung und Handlungsfreiheit: Wir können unsere Systeme überdenken, neu entwerfen und anpassen. Werkzeuge wie das Doughnut-Modell der Ökonomin Kate Raworth bieten Leitlinien, wie eine Wirtschaft aussehen kann, die innerhalb ökologischer Grenzen bleibt und soziale Grundlagen sichert. Die Transformation hin zu einem „Weniger, aber besser“ erfordert Mut, Visionen und die Bereitschaft, gewohnte Pfade zu verlassen.
Dabei steht nicht der Verzicht im Vordergrund, sondern die Verbesserung der Lebensqualität durch nachhaltigere, gerechtere und sinnvollere Formen des Wirtschaftens. Unternehmen haben hier eine Schlüsselrolle als Treiber von Innovationen und gesellschaftlichem Wandel. Indem sie ihre Strategien darauf ausrichten, nicht mehr zu produzieren, sondern besser, schaffen sie Mehrwert, der über den kurzfristigen Profit hinausgeht. Für Führungskräfte und Manager ist es entscheidend, neue Erfolgsmaße zu entwickeln. Weg von kurzfristigen Gewinnkennzahlen hin zu Indikatoren, die ökologische Wirkungen, soziale Teilhabe und die Qualität der Produkte und Dienstleistungen erfassen.
Ein Unternehmen misst Erfolg dann daran, wie es zum Wohlergehen der Gesellschaft und zum Schutz der Umwelt beiträgt und wie es sich an wechselnde Rahmenbedingungen anpasst. Der Wandel ist kein leichter Weg, aber die Notwendigkeit wird immer offensichtlicher. „Weniger, aber besser“ ist kein simples Rezept, sondern eine Einladung zu tiefer Reflexion und Neugestaltung, zu einer Wirtschaft, die sich an den Bedürfnissen von Menschen und Planet orientiert. Es geht darum, Wachstum durch Wertschöpfung mit Sinn zu ersetzen und Erfolg nicht mehr allein in Zahlen zu denken, sondern in der Qualität der Wirkung. Zukunftsfähigkeit von Unternehmen wird zunehmend davon abhängen, inwieweit sie bereit sind, diesen Pfad mitzugehen.
Die Welt verändert sich fundamental und bietet die Chance, unsere Wirtschaftsweise zukunftsfähig, gerecht und nachhaltig zu gestalten. Weniger, aber besser kann hierbei als Leitsatz dienen, der das bislang „Mehr, mehr, mehr“ hinterfragt und eine Alternative anbietet, die den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht wird. Indem wir Qualität über Quantität stellen, Ressourcen sinnvoll nutzen und den gesellschaftlichen Zweck ins Zentrum rücken, legen wir den Grundstein für eine lebenswerte Zukunft – für Unternehmen, Gesellschaft und Umwelt gleichermaßen.