In den frühen 1980er Jahren war die Welt der Computer noch eine ganz andere als heute. Monochrome Bildschirme mit rein textbasierten Ausgaben dominierten den Markt, und Grafikfähigkeiten waren meist rudimentär oder gar nicht vorhanden. In dieser Zeit brachte Apple 1984 den Macintosh auf den Markt – ein Meilenstein. Mit einer Bildschirmauflösung von 512 x 342 Pixel und einem Programm namens MacPaint war es erstmals möglich, interaktiv mit dem Computer zu zeichnen. Obwohl technisch begrenzt auf Schwarzweiß und relativ kleine Auflösung, öffnete MacPaint die Türen zu visuellen Interaktionen am heimischen Computer.
Doch der Macintosh war teuer, nicht für jedermann erschwinglich. Andere Nutzer, vor allem jene, die sich keinen solchen Rechner leisten konnten, mussten sich mit einfachen Systemen wie dem Kaypro begnügen. Doch genau hier setzte SCS-Draw an – ein Programm, das einen Meilenstein in der Computergeschichte setzte und dem Kaypro II Grafikfähigkeiten verlieh, die zuvor undenkbar schienen. Der Kaypro II, eine sogenannte „tragbare“ Maschine, war 1984 alles andere als leicht. Mit seinen 29 Pfund bildete er einen recht robusten Laptop-ähnlichen Computer seiner Zeit.
An Bord waren zwei 5,25-Zoll-Diskettenlaufwerke mit relativ kleinem Speicherplatz von jeweils 191 Kilobyte, ein grüner monochromer CRT-Bildschirm mit 9-Zoll-Diagonale, samt einem Zilog Z80 Prozessor, der mit 2,5 Megahertz getaktet war. Das Betriebssystem war CP/M, das in Fachkreisen wegen seiner Stabilität geschätzt wurde. Das Gerät wurde mit Textverarbeitungsprogrammen wie WordStar und einer Variante von BASIC namens SBASIC ausgeliefert – letzteres ermöglichte strukturierte Programmierung mit Anleihen bei Fortran 77. Doch die wahre Magie hinter SCS-Draw entstand nicht durch Verwendung dieser einfachen Werkzeuge. Der Entwickler, Doug Mahugh, wollte die Grenzen des Möglichen austesten und entschied sich, in die Tiefen der Assemblersprache für den Z80 Prozessor einzutauchen.
Assemblersprache erlaubte den direkten Zugriff auf die Hardware und sorgte damit für maximale Performance – ein kritischer Faktor angesichts der begrenzten Rechenleistung und Speicherkapazität dieses Computers. Diese Herausforderung war der Ausgangspunkt für ein gefeiertes Programm, das dem Kaypro eine Grafikfunktionalität verlieh, die viele andere Computer seiner Zeit nicht hatten. Die Art von Grafik, die der Kaypro unterstützte, war keineswegs vergleichbar mit heutigen pixelgenauen Darstellungen. Stattdessen nutzte das System den bekannten Textmodus, der 25 Zeilen mit jeweils 80 Zeichen zeigte. Jedes dieser Zeichen bestand jedoch aus einem Raster von 2 mal 4 Pixeln, was bedeutet, dass Pixel durch spezielle Zeichen in einem Zeichensatz dargestellt wurden.
Diese Zeichen wurden durch einzelne Bytes im Speicher repräsentiert. Die Kunst bestand darin, einzelne Pixel gezielt ein- und auszuschalten, indem man Bits in diesen Bytes manipulierte. Hierzu musste das Programm wissen, welches Byte welchem Charakterblock auf dem Bildschirm entsprach und wie man die Bitmuster so veränderte, dass das gewünschte Pixel sichtbar wurde. Die Dokumentation von sogenannten Skookum-Pete war dabei eine wichtige Ressource, die heute noch nostalgische Programmierer begeistert. Eine der größten Herausforderungen bestand darin, Linien auf dem Bildschirm zu zeichnen, ohne dabei auf aufwendige Floating Point Berechnungen zurückzugreifen.
Denn der Kaypro besaß keine spezielle mathematische Co-Prozessor-Hardware. Stattdessen musste alles mit einfachen Ganzzahloperationen gelöst werden. Dies führte Doug Mahugh dazu, den Bresenham-Algorithmus zu implementieren, eine clevere Methode, die nur auf ganzzahligen Additionen, Subtraktionen und Bitshift-Operationen basiert, um die linearste Linie zwischen zwei Punkten auf einem Raster zu zeichnen. Der fertige Algorithmen-Code beanspruchte weniger als ein Kilobyte Speicher, was seine Eleganz und Effizienz besonders in der damals knappen Ressourcenlandschaft unterstreicht. Das Programm SCS-Draw war somit nicht nur ein Experiment, sondern ein visionäres Werkzeug, das es ermöglichte, grafische Darstellungen auf einem Gerät zu erzeugen, bei dem man sich zuvor ganz auf Text verlassen hatte.
Die Möglichkeit, Linien, Kreise und Musterfüllungen zu zeichnen, ebenso wie Text in rudimentären Schriftarten hinzuzufügen und sogar Vergrößerungen und Blockoperationen zu verwenden, machten SCS-Draw zu einem praktischen und innovativen Tool für Nutzer, die mit dem Kaypro arbeiteten. Doch Grafik auf dem Bildschirm allein war nicht genug. Wer seine Werke ausdrucken wollte, musste sich mit einer Vielzahl von Druckern auseinandersetzen, darunter Dot-Matrix-Drucker, Tintenstrahldrucker und sogar jene mechanischen Typendrucker mit Präzisions-Typenrädern wie den Diablo 630 oder Juki 6100. Für alle diese Modelle galt es, individuelle Druckertreiber zu entwickeln, die den Druckern jeweils die passenden Steuersequenzen senden konnten. Vor allem bei Geräten ohne echte Grafikunterstützung war dies eine große technische Hürde.
So wurde beispielsweise bei sogenannten Daisy-Wheel-Druckern die Grafik über winzige Bewegungsschritte des Druckkopfs erzeugt. Ein einziges Pixel wurde mit einem Punktzeichen ('.') gedruckt, und das äußerst langsame Verfahren führte häufig zu beschleunigtem Verschleiß der typischen Druckelemente. Doug Mahugh schrieb die Druckertreiber direkt in Z80 Assembler und entwickelte eine universelle Drucker-Engine, die mit einer Datenstruktur arbeitete, in der für jeden unterstützten Drucker spezifische Steuercodeblöcke hinterlegt waren. Diese Flexibilität erlaubte es dem Programm, verschiedenste Modelle anzusteuern und grafische Werke mit allerlei Spezialeffekten wie Vergrößerung und Spiegelung auf Papier zu bringen – eine echte Innovation für die CP/M-Welt.
Der Weg von SCS-Draw zum Markt war geprägt von einem klassischen 1980er-Jahre Softwarevertrieb ohne Online-Shops oder digitale Downloads. Nach der Fertigstellung dauerte es mehrere Monate intensiver Arbeit, bis die Software ausgeliefert werden konnte. Die Verpackung wurde von Freunden gestaltet, gedruckt wurde auf professionellen Druckmaschinen, und die Handbücher wurden ebenfalls professionell gesetzt. Das Verschicken von Bestellungen erfolgte per Briefpost. Technischer Support lief ebenso über „Snail Mail“ und Telefonate waren eher selten und meist teuer.
Es gab keine Hotline mit 0800-Nummer. Zudem verkaufte Doug zusätzlich passende Joysticks, die der Nutzer für eine komfortablere Bedienung selber noch zusammenschrauben musste. Marketing war eine Herausforderung. Zunächst wurden kleine Anzeigen in Fachzeitschriften platziert, welche die begrenzte, aber einschlägige Zielgruppe gut erreichten. Dank positiver Rezensionen, wie jener von „Profiles Magazine“, die SCS-Draw als „fabelhaftes Programm“ lobten, erfuhr das Produkt einen großen Popularitätsschub.
Selbst ohne Messestand auf großen Computerfachmessen gelang es Doug über Pressemitteilungen und Mundpropaganda, eine ordentliche Anzahl an Verkäufen zu erzielen. Die Software wurde mit einem Image Extractor ergänzt, einem Zusatzprogramm, das erlaubte, Grafiken aus der beliebten PrintMaster-Clipart-Datenbank zu übernehmen und so dem Nutzer einen noch größeren kreativen Spielraum zu bieten. Doch trotz des Erfolges verlief die Blütezeit von SCS-Draw in einem relativ engen Zeitfenster. Ab Ende der 1980er Jahre gingen CP/M und die damit verbundenen Systeme immer mehr zurück. Der Wechsel zu DOS-basierten Systemen vollzog sich rasant und brachte neue Möglichkeiten und Herausforderungen mit sich.
Doch für Nutzer, die damals mit ihren Kaypros und SCS-Draw programmierten und gestalteten, hat das Programm bis heute Kultstatus. Zahlreiche Anwender erinnern sich bis heute mit großer Dankbarkeit und Nostalgie an das magische Gefühl, einem scheinbar rein textbasierten Computer eine Grafikfunktion beizubringen. Heutzutage lebt SCS-Draw als Open-Source-Projekt auf GitHub weiter und ist als Freeware verfügbar. Dadurch haben Enthusiasten die Möglichkeit, den Quellcode zu studieren, nachzuvollziehen und vielleicht sogar eigene Modifikationen vorzunehmen. Zusätzlich sorgt ein Emulator wie MAME dafür, dass das Programm auf modernen Systemen läuft und die Faszination dieser technischen Meisterleistung erhalten bleibt.
Was macht SCS-Draw also so besonders? Zum einen die ungewöhnliche Kombination aus technischen Herausforderungen und kreativer Lösung – ein Softwarestück, das mitten in der Textmodus-Ära Grafik auf eine ungewöhnliche, fast magische Art erschuf. Zum anderen die Persönlichkeit und Leidenschaft des Entwicklers Doug Mahugh, der als Pionier mit Einfallsreichtum und technischem Können eine Nische füllte, die zu jener Zeit kaum bedient wurde. Seine Arbeit gibt auch Einblick in eine Ära, in der Programmieren noch handwerklich und experimentell war – eine Zeit, die heutigen Programmierern nur noch schwer vorstellbar ist. Die Geschichte von SCS-Draw ist auch eine Erinnerung daran, wie weit die Computertechnologie inzwischen gekommen ist. Heute erwarten Nutzer sofortige, hochauflösende Grafiken und komplexe Benutzeroberflächen.
Doch vor vier Jahrzehnten bedeutete allein die Darstellung eines Punktes auf einem grünen Bildschirm eine technologische Herausforderung. SCS-Draw ist ein Zeugnis für die Kreativität und Beharrlichkeit von Entwicklern jener Zeit, die mit begrenzten Mitteln Großes schufen. Wer sich heute mit Retro-Computing beschäftigt, findet in SCS-Draw ein faszinierendes Stück Computergeschichte, das von Entdeckerfreude, technischer Raffinesse und dem Aufbruch in die grafische Ära der Heimcomputer erzählt.