Seit den ersten erfolgreichen Flügen der Brüder Wright vor mehr als 100 Jahren fasziniert die Menschheit die Frage, wie Flugzeuge überhaupt in der Luft bleiben können. Trotz aller technologischen Fortschritte und wissenschaftlichen Erkenntnisse gibt es bis heute keine allgemein akzeptierte, einfache Erklärung für das Phänomen des Auftriebs – jener Kraft, die Flugzeuge gegen die Schwerkraft hebt und ihnen das Fliegen ermöglicht. Dieses ungelöste Rätsel wirft fundamentale Fragen über unsere Wahrnehmung von Aerodynamik und Physik auf und zeigt, dass die Erklärung für den Flug weit komplexer ist als sie auf den ersten Blick erscheint.Die Komplexität der Erklärung für den Auftrieb beruht auf zwei unterschiedlichen Arten von Theorien: technische, mathematisch fundierte Modelle und nichttechnische, verständliche Beschreibungen, die oft in Lehrbüchern, populärwissenschaftlichen Texten oder Videos zu finden sind. Während die mathematischen Modelle – basierend auf Gleichungen wie den Navier-Stokes-Gleichungen – klare und exakte Vorhersagen über Druckverteilungen und Geschwindigkeiten in der Luft liefern, fehlt hier häufig eine verständliche Erklärung dessen, was physikalisch tatsächlich vor sich geht.
Die nichttechnischen Erklärungen hingegen versuchen, die Phänomene anschaulich verständlich zu machen, stoßen aber auf Widersprüche, Interpretationsprobleme und verschiedene Streitigkeiten.Die populärste Erklärung für den Auftrieb stützt sich auf das Bernoulli-Prinzip, entdeckt vom Schweizer Mathematiker Daniel Bernoulli im Jahr 1738. Das Prinzip beschreibt eine Beziehung zwischen Geschwindigkeit und Druck in einem strömenden Fluid: Steigt die Geschwindigkeit, sinkt der Druck, und umgekehrt. Diese Erkenntnis wird oft verwendet, um zu erklären, warum die Luft über einer gewölbten Tragflächenoberseite schneller strömt als unter der flachen Unterseite, wodurch ein Unterdruck erzeugt wird, der die Tragfläche nach oben zieht. Doch dieses einfache Bild hat Schwächen.
Die „Gleichzeitige Ankunftszeit“-These, die behauptet, dass Luftpakete an Vorderkante und Hinterkante des Flügels gleichzeitig ankommen müssen, wurde experimentell widerlegt. Weiterhin erklärt Bernoullis Theorie nicht selbst, warum die Luft auf der Oberseite schneller wird – sie beschreibt lediglich den Zusammenhang von Geschwindigkeit und Druck, aber nicht die Ursache der höheren Geschwindigkeit.Noch dazu gibt es Flugzeuge, die auch mit symmetrischen oder sogar senkrecht geflogenen Tragflächen fliegen können, was dem Bernoulli-Ansatz widerspricht, der auf der Form der Tragfläche basieren würde. In solchen Fällen muss der Auftrieb anders erklärt werden.Eine alternative Theorie begründet den Auftrieb über Newtons drittes Gesetz, das Prinzip von Aktion und Reaktion.
Nach dieser Erklärung wird die Luft durch die Tragfläche nach unten gedrückt, woraus eine Gegenkraft nach oben entsteht, die den Auftrieb bewirkt. Dieses Prinzip ist intuitiv verständlich und lässt sich bei einfachen Experimenten leicht nachvollziehen. Dennoch ist auch diese Erklärung alleine unvollständig. Der wichtige Bereich des Unterdrucks über der Flügeloberseite wird durch Newtons drittes Gesetz nicht hinreichend erklärt.Die Diskrepanz zwischen diesen beiden Theorien hat im Laufe der Jahrzehnte zu intensiven Debatten unter Aerodynamikern, Ingenieuren und Wissenschaftlern geführt.
Die Realität erweist sich als weitaus komplexer und verbindet Aspekte beider Theorien zu einem komplexen physikalischen System. Neue Erkenntnisse und moderne Methoden wie Computational Fluid Dynamics (CFD) erlauben heute präzise Berechnungen und Simulationen, die Auftrieb, Strömungsverhalten und Druckverteilungen realitätsnah abbilden. Dennoch fehlt bislang eine allgemein verständliche Erklärung, die alle physikalischen Zusammenhänge anschaulich und vollständig darstellt.Eine besonders innovative Sichtweise bietet der Aerodynamik-Experte Doug McLean, ehemaliger Entwicklungsingenieur bei Boeing. McLean schlägt vor, dass vier zentrale Elemente zusammen den Auftrieb erzeugen: die Abwärtslenkung der Luftströmung durch den Flügel, die erhöhte Geschwindigkeit der Luft über dem Flügel, der niedrigere Druck auf der Oberseite und der höhere Druck an der Flügelunterseite.
Entscheidend ist dabei laut McLean, dass diese Faktoren nicht unabhängig voneinander existieren, sondern in eine gegenseitige Wechselwirkung eintreten. Sie entstehen und erhalten sich durch ein „wechselseitiges Ursache-Wirkungs-Verhältnis“, ähnlich einem Bootstrapping-Prozess – jedes Element unterstützt und erzeugt das nächste. Diese Kopplung der Phänomene ist es, die den Auftrieb realisiert und aufrechterhält.Der Vorgang ist dennoch schwer zu begreifen. Wie schafft es die Luft, der Flügelkontur exakt zu folgen, insbesondere oben, wo die Luft eine nach unten gebogene Bahn fliegen muss? Der MIT-Professor Mark Drela liefert eine Erklärung: Die Luft haftet an der Flügeloberfläche, weil andernfalls ein Vakuum unter den Luftpartikeln entstehen würde, welches diese wieder nach unten ziehen würde.
Diese Haftung und der dadurch entstehende Unterdruck erzeugen die für den Auftrieb notwendige Druckverteilung.Selbst in wissenschaftlichen Kreisen ist diese Erklärung umstritten, da es Fälle gibt, in denen die Strömung von der Oberfläche abreißt und dennoch Auftrieb erzeugt wird. Somit ist auch das Phänomen der Strömungsablösung ein komplexes Teil des Problems und kann nicht einfach vernachlässigt werden.Historisch gesehen haben bereits große Wissenschaftler wie Albert Einstein sich mit dem Problem des Auftriebs beschäftigt. Einstein veröffentlichte zu Beginn des 20.
Jahrhunderts eine theoretische Untersuchung, die sich an idealisierte, reibungsfreie Flüssigkeiten anlehnte. Die Ergebnisse waren zwar mathematisch interessant, brachten jedoch keine praktikable aerodynamische Lösung für Flugzeugtragflächen hervor.Die andauernde Unvollständigkeit der Erklärung zeigt, wie schwierig es ist, komplexe Fluidmechanik verständlich zu erklären. Fluidströmungen sind dynamische Systeme mit vielen Einflüssen wie Viskosität, Turbulenz und Kompressibilität, deren Verhalten sich nur mathematisch beziehungsweise über Computersimulationen präzise beschreiben lässt.Die Erkenntnisse aus verschiedenen Methoden und Theorien zeigen jedoch, dass niemandem ein simpler Satz wirklich gerecht wird, um das Phänomen des Fliegens vollständig zu beschreiben.
Sowohl Bernoulli als auch Newton sind Teil der Wahrheit, ebenso wie die moderne Strömungsdynamik.Die Frage, warum Flugzeuge in der Luft bleiben, ist damit nicht nur eine technische Herausforderung, sondern bleibt vor allem ein faszinierendes wissenschaftliches Rätsel, das zum Nachdenken einlädt. Die Tatsache, dass keine einfache, universelle Erklärung existiert, lädt dazu ein, weiter zu forschen und die Geheimnisse der Aerodynamik noch gründlicher zu ergründen.Somit ist das Fliegen auch im 21. Jahrhundert ein Beispiel dafür, dass Wissenschaft ein fortlaufender Prozess ist, bei dem bestehende Theorien weiter hinterfragt und verfeinert werden müssen.
Es zeigt die Vielschichtigkeit der Naturgesetze und eröffnet dem Wissensdurst neue Horizonte, über einfache Antworten hinauszudenken und komplexe Zusammenhänge zu schätzen.