Der Ozean bedeckt mehr als zwei Drittel der Erdoberfläche, und ein Großteil davon liegt in großen Tiefen, die für den Menschen bisher größtenteils unerforscht geblieben sind. Der tiefe Meeresboden, definiert als jenseits der 200-Meter-Marke, ist ein riesiges Ökosystem, das nicht nur wichtige ökologische Funktionen erfüllt, sondern auch einen immensen Einfluss auf das Klima, die Biodiversität und die globalen Ressourcen hat. Trotz seiner Bedeutung hat die Menschheit bisher nur einen winzigen Bruchteil dieses Lebensraums visuell erforscht. Die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse zeigen, dass weniger als 0,001 Prozent der Tiefsee visuell erfasst wurden. Diese zugrunde liegende Erkenntnis wirft wichtige Fragen hinsichtlich unserer Wahrnehmung und unseres Verständnisses des tiefen Ozeans auf und verdeutlicht die dringende Notwendigkeit, unsere Erkundungen auszuweiten und systematischer zu gestalten.
Die tiefen Ozeane spielen eine essenzielle Rolle für das globale Ökosystem. Neben der Bereitstellung eines Lebensraums für eine immense Vielfalt an Organismen übernehmen sie Funktionen, die weit über die Meeresumwelt hinausgehen. So trägt das kalte, nährstoffreiche Wasser, das aus der Tiefe aufsteigt, maßgeblich zur Produktivität der Oberflächengewässer bei und ermöglicht das Wachstum von Phytoplankton, welches schätzungsweise 80 Prozent des weltweiten Sauerstoffs produziert. Darüber hinaus sind Tiefseeprozesse zentrale Bestandteile des Kohlenstoffkreislaufs, indem sie Kohlendioxid speichern und so zur Klimaregulation beitragen. Ein monetärer Wert des durch die Tiefsee unterstützten Kohlenstofftransports wird auf jährlich rund 159 Milliarden US-Dollar geschätzt.
Neben diesen ökologischen Diensten bietet der tiefe Meeresboden auch wirtschaftliche und medizinische Chancen. Die jährliche Fischerei aus dem Ozean liefert etwa 200 Millionen Tonnen Seefischerei- und Meeresfrüchteproduktion und sichert die Ernährung von circa 20 Prozent der Weltbevölkerung sowie Millionen von Arbeitsplätzen. Auch im Bereich der Medizin wurden vielfältige Verbindungen zwischen marinen Organismen und Heilmitteln gezogen – von antiviralen bis hin zu krebsbekämpfenden Substanzen, die aus Tiefseeschwämmen und anderen Organismen gewonnen werden.Trotz seiner enormen Bedeutung und vielfältigen Nutzen leidet das tiefe Meer unter dem zunehmenden Einfluss menschlicher Aktivitäten. Dies umfasst die Verschmutzung mit Müll und Schadstoffen, die Ausbeutung von biologischen und mineralischen Ressourcen sowie die Folgen des Klimawandels.
Die Ozeane haben bereits 90 Prozent der überschüssigen Wärme und 30 Prozent des vom Menschen verursachten Kohlendioxids aufgenommen, was zu einer Erwärmung, Sauerstoffverarmung und Versauerung der Meere führt. Diese Veränderungen wirken sich auf die Biodiversität und die Lebensbedingungen im tiefen Meer aus und könnten langfristig irreversible Schäden verursachen.Inmitten dieser ökologischen Herausforderungen ist die visualisierte Erforschung des tiefen Meeresbodens von zentraler Bedeutung. Die visuelle Beobachtung ermöglicht es, Lebensräume, geologische Strukturen und biologische Prozesse unmittelbar zu erfassen und besser zu verstehen. Zu den wichtigsten Entdeckungen, die durch Bildaufnahmen gemacht wurden, zählen die ersten hydrothermalen Quellen im Galápagos-Graben und der Einfluss von Ölverschmutzungen auf Korallenriffe, um nur einige zu nennen.
Solche visuellen Daten sind nicht nur wissenschaftlich wertvoll, sondern dienen auch der Öffentlichkeitsarbeit und fördern das Verständnis und die Wertschätzung der Meeresumwelt.Die heutigen Technologien für die visuelle Erkundung umfassen ein breites Spektrum von bemannten und unbemannten Fahrzeugen, die in der Lage sind, bis in große Tiefen vorzudringen. Dazu gehören bemannte Tauchboote, ferngesteuerte Fahrzeuge sowie autonome Unterwasserfahrzeuge, die jeweils unterschiedliche Vorteile und technische Herausforderungen mit sich bringen. Die dabei erfassten Bilddaten können über die reine Momentaufnahme hinaus vielseitig genutzt werden, zum Beispiel zur Artenbestimmung, Habitatbewertung oder zur Validierung von akustischen Messungen.Eine aktuelle umfassende Auswertung der verfügbaren Datensätze von über 43.
000 Tauchgängen im tiefen Meer zeigt dennoch, dass die visuelle Abdeckung dieser riesigen Region bisher stark limitiert ist. Die geschätzte abgedeckte Fläche beträgt nur etwa 2.130 bis 3.823 Quadratkilometer – verglichen mit der Gesamtfläche des tiefen Meeres von über 335 Millionen Quadratkilometern ein verschwindend geringer Wert. Das entspricht ungefähr einem Zehntel der Fläche Belgiens oder in Relation zu den Vereinigten Staaten etwa dem Bundesstaat Rhode Island.
Selbst wenn man nicht erfasste private oder militärische Datensätze mitberücksichtigen würde, bliebe der Anteil der visuell erforschten Tiefsee äußerst gering.Darüber hinaus ist die bisherige Erkundung stark verzerrt. Die meisten visuellen Beobachtungen konzentrieren sich in der Nähe von nur wenigen hochentwickelten Ländern. Über 65 Prozent aller Tauchgänge erfolgten in den ausschließlichen Wirtschaftsgebieten (Exclusive Economic Zones, EEZs) der USA, Japans und Neuseelands. Nur fünf Länder, darunter zusätzlich Frankreich und Deutschland, führen den Großteil der Erkundungen durch.
Die Tiefseeforschung im internationalen Hochseegebiet jenseits nationaler Gerichtsbarkeit macht nur einen kleinen Bruchteil der Aktivitäten aus, obwohl dieser weitaus größerer Teil der Ozeane ist. Zudem gibt es eine starke Beschränkung auf bestimmte Tiefenzonen und geologische Strukturen. Die Mehrheit der Tauchgänge fand in Gewässern mit Tiefen unter 2000 Metern statt, obwohl knapp 75 Prozent des Meeresbodens zwischen 2000 und 6000 Metern liegen. Bestimmte geomorphologische Strukturen wie Unterwasser-Canyons und steile Hänge sind überrepräsentiert, während weite Flachmeergebiete und abyssale Tiefseebenen vergleichsweise wenig beprobt wurden.Diese Umstände zeigen, wie ungleichmäßig und fragmentiert unsere aktuelle visuelle Kenntnis des tiefen Meeresbodens ist.
Ein so verzerrtes Bild erschwert nicht nur wissenschaftliche Aussagen über Biodiversität, Ökosystemfunktionen und Ressourcenverteilung, sondern wirkt sich auch negativ auf die internationale Meerespolitik und das nachhaltige Management der Ozeane aus. Beispielsweise ist die Debatte um die Regulierung von Tiefseebergbau und den Schutz mariner Lebensräume ohne eine repräsentative Datenbasis äußerst schwierig, was das Risiko von irreversiblen Umweltschäden erhöht.Eine bedeutende Herausforderung bei der Ausweitung der Tiefseerforschung sind die enormen Kosten und der technische Aufwand. Hochentwickelte Tauchfahrzeuge sind teuer in Anschaffung und Betrieb, ihre Einsätze erfordern umfangreiche logistische Vorbereitung sowie spezialisiertes Fachpersonal. Die Folge ist, dass nur eine begrenzte Anzahl von Nationen, Institutionen und Unternehmen Zugang zu diesen Technologien hat und eigene Forschungsprogramme durchführt.
Doch dieser Trend beginnt sich langsam zu verändern. Fortschritte in der Technik führen zu kleineren, kostengünstigeren und leistungsfähigen autonomen Plattformen, die zukünftig einer breiteren wissenschaftlichen Gemeinschaft zugänglich sein könnten. Ebenfalls zeigen sich erste Schritte, die Erkundung international stärker zu kooperieren und Ressourcen zu teilen.Neben der Steigerung der Anzahl von Einsätzen liegt eine große Chance darin, die Auswahl der Untersuchungsgebiete nach wissenschaftlichen Kriterien zu optimieren. Eine gezielte Auswahl von bislang unerforschten oder weniger erforschten Tiefenzonen, geomorphologischen Merkmalen und ökologischen Lebensräumen würde die Repräsentativität der Daten maßgeblich verbessern.
Damit könnten globale, belastbare Modelle zur Biodiversität und zu biogeografischen Mustern entstehen, die wiederum erforderlich sind, um effektive Schutzmaßnahmen und nachhaltige Nutzungsstrategien zu entwickeln.Die Bedeutung einer besseren Erfassung des tiefen Meeresbodens geht über die Wissenschaft hinaus. Die zunehmende öffentliche Aufmerksamkeit für die Ozeane und ihre Bedrohungen fordert eine stärkere, global abgestimmte Erforschung und Überwachung. Visuelle Daten wirken nicht nur als wichtige wissenschaftliche Grundlage, sie helfen auch, das Bewusstsein und die Wertschätzung der Bevölkerung, Politiker und Entscheidungsträger zu fördern. Hochwertige Bildaufnahmen vermitteln die Schönheit und Einzigartigkeit der Tiefsee und erzeugen eine emotionale Verbindung, die nachhaltigen Schutz fördern kann.