Globale Hochschulrankings haben sich in den letzten Jahrzehnten als eine der wichtigsten Referenzen für akademische Exzellenz etabliert. Studierende, Forschende, Förderinstitutionen und politische Entscheidungsträger orientieren sich zunehmend an diesen Rankings, um die Qualität von Universitäten zu bewerten und darauf aufbauend Entscheidungen zu treffen. Doch so einflussreich und populär diese Ranglisten auch sind, sie sind nicht frei von Kritik. Insbesondere das Phänomen des „Gaming der Metriken“ – also strategisches Verhalten von Institutionen, um ihre Platzierung zu verbessern – führt zu einer tiefgreifenden Integritätskrise, die das Vertrauen in diese Bewertungssysteme gefährdet. Im Zentrum dieser Diskussion stehen bibliometrische Anomalien, die sich nicht nur in auffälligen Publikationszahlen zeigen, sondern auch in der Art und Weise, wie Forschungsergebnisse produziert, zitiert und ausgewertet werden.
Bibliometrie, nämlich die quantitative Analyse von wissenschaftlichen Publikationen und Zitierungen, ist der Kern der meisten Rankingsysteme. Solche Metriken umfassen Publikationsanzahlen, Zitationsraten oder den Impact-Faktor der genutzten Fachzeitschriften. Obwohl diese Kennzahlen auf den ersten Blick objektiv wirken, bergen sie eine hohe Anfälligkeit für Manipulation. Universitäten und Forschende können durch strategisches Verhalten ihre ausgewiesenen Werte künstlich steigern, ohne dass es zu einem tatsächlichen Qualitätssprung in der Forschung kommt. Diese Taktiken sind heutzutage weitreichend und raffiniert, was zu einer Verzerrung der akademischen Landschaft beiträgt.
Eine aktuelle Untersuchung, die 18 Universitäten in Schwellenländern wie Indien, Libanon, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten beleuchtet, zeigt exemplarisch die Dimensionen des Problems. Diese Hochschulen sind aus verschiedenen Gründen im Fokus: Sie zählen zu den weltweit 1000 Institutionen mit den höchsten Publikationszahlen und offenbaren gleichzeitig teils dramatische Veränderungen – von explosivem Wachstum bis hin zu starkem Rückgang von Autorenpositionen, die für wissenschaftliche Reputation besonders bedeutsam sind. Die Studie zeigt unter anderem, dass einige dieser Universitäten Wachstumsraten der Veröffentlichungen von bis zu 965 Prozent aufweisen. Solch ein massives Wachstum innerhalb kurzer Zeit ist ungewöhnlich und wirft Fragen zur Authentizität und Qualität auf. Die Ursachen für solche bibliometrischen Anomalien sind vielschichtig.
Zum einen stehen finanzielle Anreize und der internationale Wettbewerbsdruck im Raum. Universitäten sind zunehmend davon abhängig, in Rankings aufzusteigen, um Fördermittel zu sichern, hochqualifizierte Wissenschaftler anzuziehen oder internationale Kooperationen zu fördern. Dies erzeugt einen starken Druck, durch schnelle Publikationszahlen und hohe Zitierungen zu punkten. Zum anderen spielen die institutionelle Kultur und die Organisationsstruktur eine Rolle. Praktiken wie dicht verflochtene Ko-Autorenschaften innerhalb eines Netzwerks oder sogar gegenseitige Zitierungen („Reciprocal Citation“) können dazu führen, dass die bibliometrischen Werte künstlich aufgeblasen werden, ohne dass dies einem echten Wissenszuwachs entspricht.
Ein weiteres besorgniserregendes Element sind vermehrte Publikationen in sogenannten delisteten Zeitschriften, also solchen, die aus anerkannten Datenbanken entfernt wurden, oftmals wegen Qualitätsmängeln oder fragwürdiger Verfahrensweisen. Die systematische Nutzung solcher Publikationskanäle degradiert die wissenschaftliche Exzellenz und erschwert das Herausfiltern relevanter Forschungsbeiträge. Hinzu kommt ein Anstieg der Rückrufquoten („Retraction Rates“) bei Publikationen einiger dieser Institutionen, was einen weiteren Indikator für die Verminderung der Forschungsqualität und der Integrität darstellt. Das Phänomen kann unter anderem mit Goodharts Gesetz erklärt werden, das besagt: „Wenn ein Maß zu einem Ziel wird, hört es auf, ein gutes Maß zu sein.“ Sobald Indikatoren wie Publikationszahlen und Zitationen zu harten Zielen in akademischen Systemen werden, verändern sich die Verhaltensweisen der Akteure, um diese Zahlen zu manipulieren statt durch echte Leistung glänzen zu können.
Gleichzeitig findet sich auch das Konzept der institutionellen Isomorphie wieder, bei dem Organisationen ähnliche Strukturen und Praktiken übernehmen, um intern legitimiert zu werden und extern konkurrenzfähig zu bleiben. Dies führt zu einem Teufelskreis, in dem die systemische Verzerrung durch Metriken institutionalisiert wird. Um dieser Problematik systematisch zu begegnen, wurde jüngst der sogenannte Research Integrity Risk Index (RI2) eingeführt. Dieses Composite-Index verwendet Indikatoren wie Rückrufquoten und die Abhängigkeit von Publikationen in delisteten Zeitschriften, um Institutionen mit potenziell problematischen bibliometrischen Profilen zu identifizieren. Der RI2 Index besitzt hohes Potenzial, mit einem integritätsorientierten Blick auf die Datenanalyse für mehr Transparenz zu sorgen und die Glaubwürdigkeit und Aussagekraft von Rankings zu verbessern.
Die Verbreitung und kontinuierliche Anwendung solcher Instrumente könnte helfen, die akademische Integrität zu stärken und Fehlentwicklungen frühzeitig entgegenzuwirken. Natürlich ist der Einsatz von Metriken für die Bewertung von Forschungsergebnissen an sich nicht nur zu kritisieren. Metriken können wertvolle Orientierung geben, wenn sie sinnvoll angewandt werden und qualitative Bewertungen ergänzen. Problematisch wird es, wenn Rankings und finanzielle Anreize allein an quantitativen Leistungen festgemacht werden. Bessere wissenschaftliche Qualität lässt sich daher nur durch eine ausgewogene Betrachtung verschiedener Faktoren erreichen, die nicht ausschließlich auf Zahlen beruhen.
Hier müssen alle Akteure aus Hochschulen, Förderorganisationen und Rankingsystemen an einem Strang ziehen, um die Integritätskrise zu meistern. Dazu gehört die Förderung einer Forschungskultur, die Qualität, Transparenz und ethische Standards in den Mittelpunkt stellt. Bewertungsmethoden sollten weiterentwickelt werden, um Missbrauchsmöglichkeiten zu minimieren. Die Rolle von Peer-Review-Verfahren, Open Science und unabhängiger Qualitätskontrolle wird somit wichtiger denn je. Abschließend ist festzuhalten, dass die Integritätskrise bei globalen Hochschulrankings kein regional begrenztes Problem ist, sondern eine globale Herausforderung darstellt.