Inmitten der rasanten Fortschritte im Bereich der künstlichen Intelligenz (KI) und der zunehmenden Automatisierung von Kommunikationsprozessen hat ein aktueller Fall aus Schottland für viel Aufsehen gesorgt. Die renommierte britische Synchronsprecherin Gayanne Potter, deren Stimme vielfach für bekannte Marken wie Estee Lauder, Apple, LBC Radio und B&Q genutzt wird, hat öffentlich gefordert, dass ScotRail, das staatliche Bahnnetzwerk Schottlands, die Verwendung ihrer KI-generierten Stimme bei Durchsagen auf den Zügen einstellt. Die sogenannte KI-Ansagerin mit dem Spitznamen „Iona“ basiert auf einer synthetischen Version von Potters Stimme, deren Nutzung sie vehement bestreitet und als Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte empfindet. Diese Kontroverse wirft nicht nur ein Schlaglicht auf die veränderten Bedingungen in der Medien- und Werbebranche, sondern auch auf weitreichende ethische, juristische und wirtschaftliche Fragestellungen im Umgang mit Sprach-KI und der Datenhoheit von Künstlerinnen und Künstlern. Im Zentrum steht die Frage, inwieweit die Stimmen von Menschen durch digitale Klone reproduziert werden dürfen und welche Rechte die Betroffenen in diesem Zusammenhang geltend machen können.
Gayanne Potter, die seit über zwei Jahrzehnten als professionelle Sprecherin arbeitet, wurde erst durch einen Anruf einer Freundin auf die KI-basierte Nutzung ihrer Stimme aufmerksam. Ohne ihr Wissen oder ihre Zustimmung wurde ihre originale Stimme in künstlich generierte Audio-Dateien umgewandelt und auf dem ScotRail-Netzwerk eingesetzt. Die Sprecherin beschrieb ihre Gefühle als „entsetzt“, „wütend“ und „vollständig verletzt“. Für sie ist ihre Stimme nicht nur ihr Instrument, sondern auch ihre Existenzgrundlage und ihr Lebenswerk. Der Umstand, dass diese nun in Form eines „Roboter-Stimmenklons“ ohne ihr Einverständnis auf zahlreichen Zügen zu hören ist, stellt aus ihrer Sicht einen massiven Vertrauensbruch dar.
Die Ursprünge dieses Vorfalls lassen sich auf eine frühere Zusammenarbeit mit ReadSpeaker, einer schwedischen Firma, zurückführen. Während der COVID-19-Pandemie hatte Potter dort Aufnahmen gemacht, um spezielle Hörinhalte für sehbehinderte Menschen zu erstellen. Damals unterschrieb sie offenbar einen Vertrag, ohne zu ahnen, dass dieser ihren Stimmdatensatz Jahre später in deutlich erweiterter Weise kommerziell nutzbar machen würde – insbesondere für KI-basierte Anwendungen. Trotz gegenteiliger Zusicherungen vonseiten ReadSpeakers, die zunächst erklärten, die Aufnahmen nicht weiterverkaufen zu wollen, wurden sie scheinbar doch für die Entwicklung des digitalen Stimmenklons verwendet. Dieser Umstand führte zu einer intensiven Debatte über die Art und Weise, wie Verträge gestaltet sein müssen, um derlei Verwendung von Sprachdaten in Zeiten von Generative AI explizit zu regeln.
Die Sprecherin betont, dass sie niemals eine ausdrückliche Einwilligung dazu gegeben habe, ihre Stimme für synthetische Automatisierung zu lizenzieren. Ihr Gefühl, als Künstlerin und Person dadurch „beraubt“ worden zu sein, spiegelt die Unsicherheit wider, die viele Kreative derzeit angesichts der sich schnell entwickelnden KI-Technologie empfinden. Equity, die Gewerkschaft, die Kreative in Medienberufen vertritt, hat sich hinter Potter gestellt und ihre Unterstützung zugesagt. Ihr wird vorgeworfen, einer Konkurrenz mit einer minderwertigen Klon-Stimme ausgesetzt zu sein, mit der sie nicht konkurrieren könne, da diese ohne ihr ausdrückliches Wissen und ohne ihre informierte Zustimmung erstellt wurde. Liam Budd von Equity bezeichnet diese Praktiken als „äußerst ausbeuterisch“ und weist auf mögliche Verstöße gegen Datenschutzgesetze und Persönlichkeitsrechte hin.
Die Verantwortlichen bei ReadSpeaker wiederum argumentieren, es gebe klare vertragliche Regelungen, die ihnen die Nutzung der synthetischen Stimmen zu kommerziellen Zwecken erlauben. Sie betonen, mit Potters rechtlichen Vertretern wiederholt über den Fall gesprochen zu haben. ScotRail als Auftraggeber der KI-Ansage hat erklärt, keine Pläne zu haben, die künstliche Stimme zu entfernen. Sie rechtfertigen die Einführung der automatisierten Stimme mit dem Ziel, Kund*innen konsistente und flexibel anpassbare Informationen zu bieten. Doch die künstliche Stimme „Iona“ hat auch kritische Stimmen hervorgerufen, nicht nur aus juristischer und ethischer Perspektive, sondern auch in Bezug auf die technische Qualität.
Nutzer berichten von Fehlern bei der Aussprache schottischer Ortsnamen, was die Akzeptanz bei der Fahrgästen beeinträchtigt. Trotz dieser Kritik bittet ScotRail die Öffentlichkeit um Geduld, während sie an der Verbesserung der Technologie arbeiten. Der Vorfall verdeutlicht die Herausforderungen, die KI-generierte Medieninhalte für das Urheberrecht und die Rechte von kreativen Berufstätigen darstellen. Noch gibt es keine einheitlichen internationalen Standards oder Gesetze, die den Umgang mit derart digital erstellten Sprach- oder Bildnachbildungen umfassend regeln. Während die KI-Entwickler auf technische Innovationen und Effizienzsteigerungen setzen, fühlen sich Künstlerinnen wie Gayanne Potter oft übergangen und in ihren Rechten verletzt.
Zudem wird das Thema Datenschutz und Datenhoheit aktuell immer relevanter. Stimmen sind biometrische Daten, die eindeutig einer Person zugeordnet werden können. Eine nicht autorisierte Nutzung wirft Fragen des Persönlichkeits- und Datenschutzes auf, die in vielen Ländern unterschiedlich streng geregelt sind. Der Fall von Potter könnte zukünftig als Präzedenzfall dienen und den Druck auf Unternehmen erhöhen, transparente und faire Vereinbarungen zu treffen, bevor KI-Stimmenklone erstellt und eingesetzt werden. Darüber hinaus wirft die Situation ein Licht auf den wirtschaftlichen Druck, unter dem viele Sprecherinnen und Sprecher stehen.
Die Möglichkeit, Stimmen mittels KI zu reproduzieren, könnte den Markt verändern und dazu führen, dass Aufträge an echte Talente reduziert werden, während virtuelle Klone zunehmend als kostengünstigere Alternative eingesetzt werden. Diese Entwicklungen könnten langfristig negative Auswirkungen auf die Beschäftigungsbedingungen und die Wertschätzung von Originalstimmen haben. Auf gesellschaftlicher Ebene löst der Fall Diskussionen über den angemessenen Umgang mit künstlicher Intelligenz und Automatisierung aus. Welche Rolle sollen Maschinen in der Kommunikation spielen? Wann werden KI-Stimmen als hilfreich wahrgenommen und wann fühlen sich Menschen dadurch ersetzt oder entwertet? Fragen nach Transparenz, Einwilligung und ethischem Umgang werden immer wichtiger und müssen von Politik, Wirtschaft und Kultur gemeinsam adressiert werden. Im Kontext von Public Sector Procurement, also der öffentlichen Vergabe von Aufträgen, sieht auch die schottische Regierung den Bedarf, Fair Work-Prinzipien und die verantwortungsvolle Nutzung von KI-Technologien sicherzustellen.