Das amerikanische Gesundheitssystem befindet sich seit Jahren in einer tiefen Krise. Trotz seiner enormen Ausgaben – mit jährlich etwa fünf Billionen US-Dollar, die dafür aufgewendet werden – wird das System von vielen Bürgern als ineffizient, kompliziert und oft frustrierend empfunden. Hinzu kommen neue Herausforderungen wie eine alternde Bevölkerung, steigende Behandlungskosten und ein spürbarer Mangel an Fachpersonal im klinischen Bereich. Innerhalb dieser Rahmenbedingungen gewinnen technologische Innovationen, allen voran die Künstliche Intelligenz (KI), zunehmend an Bedeutung, um das System grundlegend zu verbessern und zukunftsfähig zu machen. Sandeep Dadlani, Chief Digital and Technology Officer (CTO) von UnitedHealth Group, einem der größten und einflussreichsten Unternehmen im US-Gesundheitssektor, hat kürzlich betont, dass gezielte Investitionen in KI-Technologien das Gesundheitssystem transformieren können, wenn sie richtig eingesetzt werden und die Zusammenarbeit aller Beteiligten gewährleisten.
Das US-Gesundheitssystem ist durch seine vielschichtige Struktur geprägt: Pharmaunternehmen, Krankenhausnetze, Versicherer und Apothekenmanager agieren oft isoliert, was zu Daten-Silos und mangelnder Integration führt. Während andere Branchen wie Banking oder Telekommunikation längst standardisierte digitale Prozesse und KI-Anwendungen nutzen, hinkt der Gesundheitssektor vielfach hinterher. Hier spielen hohe regulatorische Hürden, Datenschutzanforderungen und die Komplexität medizinischer Abläufe eine Rolle. Vor diesem Hintergrund stellen Investitionen in innovative Technologien nicht nur eine technische Herausforderung, sondern auch eine strategische Notwendigkeit dar. Laut Dadlani gibt es innerhalb von UnitedHealth bereits etwa 1.
000 KI-Anwendungsfälle in verschiedenen Phasen der Produktion, die bereits beachtliche Produktivitätssteigerungen bewirken. Dies reicht von generativen KI-gestützten Softwarelösungen bis hin zu automatisierten Kundendialogen, die jährlich Millionen von Serviceanfragen effizient bearbeiten. Ein faszinierendes Beispiel für die Fortschritte bei UnitedHealth ist der Einsatz von KI für die Kundenbetreuung. Im Jahr 2024 wurden rund 65 Millionen Kundenanfragen von einem KI-Chatbot beantwortet, der rund um die Uhr zur Verfügung steht und einfache sowie komplexe Anliegen bearbeitet. Im ersten Quartal 2025 wurden mehr als 18 Millionen KI-gestützte Suchanfragen durchgeführt, um Patienten bei der Auswahl eines passenden Arztes zu unterstützen.
Ein weiteres Highlight ist die geplante Einführung eines generativen KI-gestützten Gesprächsassistenten innerhalb der UnitedHealthcare- und Optum-Apps. Dieses Tool soll Kunden helfen, schneller Termine zu vereinbaren, Ergebnisse von Labortests einzusehen und den oft undurchsichtigen Gesundheitsdschungel besser zu navigieren. Das System wird zunächst intern getestet, bevor es einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Dadlanis Aussage „Das System muss von vielen Spielern repariert werden, nicht nur von uns“ bringt zum Ausdruck, wie komplex die Herausforderung ist. Er zeigt Verständnis für die vielen Beschwerden, die Patienten heute haben, und sieht KI als Schlüssel, um die Kommunikations- und Prozessstrukturen im Gesundheitssystem grundlegend zu verbessern.
Das Nebeneinander vieler verschiedener Organisationen mit zum Teil widersprüchlichen Interessen führt dazu, dass Patienten häufig unübersichtlichen und fragmentierten Zugang zu medizinischer Versorgung erhalten. Die Hoffnung liegt darin, dass KI Anleitung bieten kann, komplexe Sachverhalte leichter zugänglich macht und reibungslosere Abläufe ermöglicht. Die strategische Bedeutung von KI für UnitedHealth ist enorm, denn das Unternehmen zählt zu den Big Playern im amerikanischen Gesundheitsmarkt und betreut über 52 Millionen Menschen. Gleichzeitig durchlebt UnitedHealth schwere Zeiten. Die unerwartete Ermordung des CEO Brian Thompson Ende 2024 und die jüngsten enttäuschenden Quartalsergebnisse, die Markterwartungen verfehlt haben, belasten das Unternehmen zusätzlich.
Obendrein steht UnitedHealth unter Untersuchungen der US-Justiz wegen möglicher krimineller Machenschaften im Medicare-Bereich. Vor diesem Hintergrund zeigen die enormen Investitionen in KI, wie stark die Digitalisierung als zentraler Hebel für Effizienz und Transparenz angesehen wird. Künstliche Intelligenz als Technologie bietet grundsätzlich ein enormes Potenzial, um das volle Leistungsspektrum des Gesundheitssystems zu verbessern. Angefangen bei der Automatisierung administrativer Prozesse über die intelligente Analyse großer medizinischer Datensätze bis hin zur Unterstützung medizinischer Entscheidungen – KI kann einen Beitrag leisten, Behandlungsprozesse zu beschleunigen und die Genauigkeit von Diagnosen zu erhöhen. Gleichzeitig schafft KI Möglichkeiten, die Patientenerfahrung zu personalisieren und Barrieren abzubauen, die lange Zeit eine hohe Frustration hervorriefen.
Automatisierte Chatbots und sprachgesteuerte digitale Assistenten werden immer besser darin, individuelle Anliegen zu erfassen und passende Lösungen anzubieten. Natürlich sind mit dem Einsatz von KI auch Herausforderungen verbunden. Datenschutz und Datensicherheit müssen höchste Priorität haben, um das Vertrauen der Patienten und Nutzer zu gewährleisten. Zudem braucht es umfangreiche Schulung für Mitarbeiter und eine sorgfältige Implementierung, damit KI-Systeme ihre Potenziale voll entfalten können und gleichzeitig die menschliche Komponente nicht verloren geht. Die Gefahr besteht darin, dass technologische Tools lediglich isoliert eingeführt werden, ohne dass eine gesamtheitliche Strategie und die Einbindung aller Stakeholder erfolgt.
Hier macht Sandeep Dadlani deutlich, dass ein gemeinsames Engagement und eine übergreifende Zusammenarbeit entscheidend sind, um das US-Gesundheitssystem nachhaltig zu reformieren. Auch international betrachtet gehört die US-Gesundheitsversorgung zu den teuersten und komplexesten Systemen – und damit auch zu den Systemen mit enormem Verbesserungsbedarf. Andere Länder zeigen, dass digitalisierte und KI-gestützte Modelle den Zugang zur Versorgung erleichtern und gleichzeitig Kosten senken können. Die Erfahrungen von UnitedHealth könnten somit richtungsweisend sein und den Weg markieren, wie große Gesundheitskonzerne und öffentliche Einrichtungen besser zusammenarbeiten könnten. Insgesamt lässt sich festhalten, dass Künstliche Intelligenz derzeit zu den vielversprechendsten Technologien gehört, die einen Wandel im Gesundheitswesen vorantreiben können.
UnitedHealth zeigt mit seinen umfangreichen KI-Anwendungen, dass erste Erfolge bereits sichtbar sind. Die Vision von CTO Sandeep Dadlani einer transparenten, zugänglichen und patientenzentrierten Gesundheitsversorgung, die durch KI unterstützt wird, könnte langfristig dazu beitragen, das US-System zu modernisieren und die Qualitätseffizienz für Millionen Menschen zu steigern. Trotz der bestehenden Herausforderungen und widerstreitenden Interessen bietet die KI getriebene Digitalisierung eine realistische Chance, das viel kritisierte und dringend reformbedürftige Gesundheitswesen neu zu gestalten und zukunftsfähig zu machen. Es bleibt spannend zu beobachten, wie sich diese Entwicklungen in den kommenden Jahren entfalten und ob weitere Akteure folgen werden, um gemeinsam an einer besseren Versorgung zu arbeiten.