In einer Welt, in der Entscheidungen oftmals in Konkurrenz mit anderen getroffen werden, ist es verlockend zu glauben, dass derjenige gewinnt, der am meisten weiß oder am besten informiert ist. Doch gerade bei Auktionen oder geschäftlichen Entscheidungen zeigt sich ein überraschendes Phänomen: Wer die Crowd schlägt, hat nicht unbedingt mehr Wissen, sondern häufig gerade deshalb ein höheres Risiko, falsch zu liegen. Dieses Konzept, oft verbunden mit dem sogenannten Gewinnerfluch, weist darauf hin, dass die bloße Tatsache, den höchsten Preis oder die beste Position zu erreichen, nicht immer auf Überlegenheit hindeutet. Vielmehr kann sie eine Warnung davor sein, dass man sich durch die eigene Überzeugung blenden lässt und vielleicht wichtige Signale der Masse übersieht. Man stelle sich vor, man nimmt an einer Auktion teil, bei der eine Kiste versteigert wird, deren Inhalt niemand genau kennt.
Diverse Bieter verfolgen unterschiedliche Motive – manche wollen Profit machen, andere fühlen sich sentimental gebunden, wieder andere wollen einfach nur teilnehmen. Sie selbst möchten unbedingt einen Gewinn erzielen und haben durch Recherche einen wertmäßigen Schätzwert von 10.000 Dollar ermittelt. Aufgrund dieser Einschätzung bieten Sie 9.000 Dollar und gewinnen.
Anfangs fühlt sich das nach einem Erfolg an. Doch beim Öffnen der Kiste finden Sie lediglich einen Geldschein mit 100 Dollar. Wie konnte das passieren? Diese Situation illustriert das Konzept, dass der Gewinner einer Auktion nicht automatisch besser liegt als alle anderen. Denn anders als bei einer normalen Schätzung können Ihre Konkurrenten ebenfalls fundierte Annahmen getroffen, aber bewusst oder unbewusst weniger geboten haben. Die Tatsache, als einziger so hoch geboten zu haben, hebt die Wahrscheinlichkeit hervor, dass Ihre Einschätzung fehlerhaft ist.
Professionelle Händler kennen dieses Phänomen gut und nutzen es, indem sie bevorzugt gegeneinander bieten oder Informationen sorgfältig auswerten, um nicht dem Gewinnerfluch zu unterliegen. Doch woher kommt diese Wirkung eigentlich? Eine bahnbrechende Antwort auf das Zusammenspiel von Individuen und Gruppen lieferte bereits im 19. Jahrhundert der Statistiker Francis Galton mit seinem berühmten Experiment. Er ließ eine Masse von Menschen das Gewicht eines Ochsen schätzen. Erstaunlicherweise lag der Durchschnitt aller Schätzungen knapp am tatsächlichen Gewicht.
Dieses Ergebnis illustriert die Weisheit der Masse, die besagt, dass die aggregierte Meinung vieler oft näher an der Wahrheit liegt als einzelne Experten. Im Umkehrschluss heißt das aber auch, dass der Einzelne, der deutlich von der Masse abweicht, mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit richtig liegt. Diese Erkenntnis ist weitreichend und zeigt sich nicht nur bei Auktionen, sondern bei vielen alltäglichen Entscheidungen. Ob man nun in einer langen Schlange in einem Freizeitpark wartet oder eine begehrte Reservierung in einem angesagten Restaurant erhält – die Reaktionen und Entscheidungen der Menge können wertvolle Hinweise auf die wahre Situation liefern. Interessant wird es, wenn man die Momente betrachtet, in denen es sinnvoll ist, gegen den Strom zu schwimmen und dennoch erfolgreich zu sein.
Drei Hauptfaktoren spielen hier eine Rolle. Erstens die Informationsasymmetrie. In vielen Fällen besitzt ein Akteur mehr oder bessere Informationen als der Durchschnitt, was es ihm erlaubt, abweichende Entscheidungen zu treffen, die sich langfristig auszahlen. So kann zum Beispiel ein regelmäßiger Besucher eines Freizeitparks besser beurteilen, wie lange eine vermutete Reparatur dauern wird, als ein Gelegenheitsgast, der sich an den Unmut der umstehenden Menge orientiert. Zweitens beeinflussen subjektive Präferenzen und individuelle Sachverhalte die Entscheidung.
Wenn jemand eine Reservierung für ein Restaurant an Weihnachten bekommt, obwohl viele andere lieber zu Hause bleiben, spiegelt das nicht unbedingt einen Informationsvorsprung wider, sondern eher unterschiedliche Prioritäten und Wünsche. Die Menge trifft hier vielleicht gemeinsam eine rationale Entscheidung, aber einzelne Akteure haben eigene Gründe, davon abzuweichen. Drittens spielen unterschiedliche Umstände und individuelle Geschichten eine Rolle, die bei kurzfristigen Entscheidungen nicht sichtbar sind, wie etwa in zwischenmenschlichen Beziehungen. Das einzigartige Band zwischen zwei Menschen ist nicht einfach durch Konkurrenz vergleichbar, da niemand dieselben Erlebnisse, Gefühle und Interaktionen teilen kann. Die Entscheidung, eine Beziehung fortzuführen, ist somit keine reine Marktfrage, sondern vielschichtig und persönlich.
Wenn wir diese Konzepte zusammendenken, wird klar, dass Entscheidungen selten isoliert betrachtet werden sollten. Vielmehr empfiehlt es sich, zunächst eine eigene Einschätzung vorzunehmen und dann diese im Kontext der kollektiven Meinung oder Handlungen zu reflektieren. Wer diesen Schritt überspringt, begibt sich oft in eine Falle, die später zu bedauerlichen Konsequenzen führt. Die Praxis zeigt, dass insbesondere professionelle Marktteilnehmer diesen zweiten Blick fest in ihren Entscheidungsprozess integrieren. Hier ist es notwendig, neben der eigenen Analyse auch die Signale des Marktes, das Verhalten anderer Händler oder Konsumenten zu beachten und diese Informationen zu gewichten.
Denn einzig so gelingt es, die typischen Verzerrungen wie den Gewinnerfluch oder die Falle des Überoptimismus zu vermeiden und fundiertere Entscheidungen zu treffen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Schlagen der Crowd keine Garantie für Erfolg ist, sondern vielmehr eine Herausforderung darstellt, die hohe Selbstreflexion, Informationsbewertung und Verständnis menschlicher Dynamiken erfordert. Die Weisheit der Masse bleibt ein mächtiges Werkzeug, das jedoch ergänzt werden muss durch individuelle Expertise und präzises Abwägen. Die Kunst liegt darin, den Mittelweg zu finden: weder blind der Mehrheit zu folgen, noch sich zu übermütig über den Konsens zu stellen.