Nigeria, als eines der größten ölproduzierenden Länder Afrikas, sieht sich seit Jahrzehnten mit einem gravierenden Problem konfrontiert: der Gasfackelung durch Ölgesellschaften. Allein in den ersten elf Monaten des Jahres 2024 gingen aufgrund dieser Praxis etwa 26.200 Gigawattstunden (GWh) elektrischer Energie verloren, eine Menge, die theoretisch 7,5 Millionen Haushalte hätte versorgen können. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum entspricht das einem Anstieg von 8,4 Prozent. Diese verloren gegangene Energie verdeutlicht nicht nur das Ressourcenmanagement der Ölindustrie, sondern auch die grundlegenden Schwächen im nigerianischen Energiesektor und die Umweltbelastungen durch den kontinuierlichen Ausstoß von Treibhausgasen.
Ein genauerer Blick auf diese Thematik offenbart sowohl die Ursachen als auch mögliche Lösungswege, die Nigeria dringend in Angriff nehmen muss, um nachhaltige Energieversorgung und Umweltschutz miteinander zu verbinden. Die Gasfackelung entsteht beim Abfackeln von Begleitgas, das bei der Ölgewinnung als Nebenprodukt anfällt und oft nicht sinnvoll genutzt wird. Stattdessen wird das Gas verbrannt – ein energieintensiver Prozess mit hohen Umweltkosten. In Nigeria wird diese Praxis seit den 1950er Jahren betrieben, was die Situation besonders alarmierend macht. Die National Oil Spill Detection and Response Agency (NOSDRA) berichtete, dass während des betrachteten Zeitraums insgesamt 262,1 Millionen Standardkubikfuß Gas geflackt wurden, mit einem damit verbundenen wirtschaftlichen Wert von fast einer Milliarde US-Dollar.
Die verlorene Energie entspricht enormen finanziellen Einbußen für ein Land, das mit fundamentalen Herausforderungen in der Strombereitstellung kämpft. Die Stromerzeugung in Nigeria steht weiterhin unter erheblichem Druck. Trotz des riesigen natürlichen Gasvorkommens gelingt es dem Land kaum, mehr als 4.000 Megawatt (MW) zu produzieren, was bei einer Bevölkerung von über 200 Millionen Menschen bei weitem nicht ausreicht, um den Bedarf zuverlässig zu decken. Die unzureichende Gasversorgung der Stromerzeugungsgesellschaften, sogenannte GENCOs, trägt wesentlich zu dieser prekären Situation bei.
Gasfackeln verhindern nicht nur die Nutzung dieses Potenzials, sondern führen durch Verschmutzung und Umweltzerstörung auch zu langfristigen Belastungen, von denen besonders die Anwohner der Ölregionen betroffen sind. Zusätzlich zu den Problemen der Energieverfügbarkeit kommt es zu immer häufigeren Systemausfällen mit erheblichen Auswirkungen auf die Infrastruktur und das tägliche Leben. Im Jahr 2024 stiegen die Systemunterbrechungen auf zwölf Fälle an, ein Zuwachs von 75 Prozent im Vergleich zu den nur drei Vorfällen im Vorjahr. Diese Stromausfälle werden häufig als „epileptisch“ bezeichnet – ein Begriff, der die Unzuverlässigkeit und Unbeständigkeit der Stromversorgung treffend beschreibt. Ohne eine stabile Versorgung sind Haushalte, Unternehmen sowie öffentliche Einrichtungen in ihrer Leistungsfähigkeit stark eingeschränkt, was sich wiederum negativ auf die wirtschaftliche Entwicklung auswirkt.
Die negativen Auswirkungen der Gasfackelung beschränken sich jedoch nicht nur auf die Energie- und Wirtschaftsebene. Die Verbrennung geht mit erheblichen Umweltschäden einher. Die Menge an CO2-Emissionen, die durch die 26.200 GWh Energieverluste verursacht wird, schätzt NOSDRA auf rund 13,9 Millionen Tonnen. Diese Treibhausgase tragen erheblich zum Klimawandel bei und gefährden die Gesundheit der Bevölkerung durch Luftverschmutzung und giftige Emissionen.
Die ölproduzierenden Regionen sind häufig von Luft- und Wasserverschmutzung betroffen, was sich in einer erhöhten Krankheitslast und einer Verschlechterung der Lebensqualität zeigt. Aufgrund der anhaltenden Kritik und internationaler Umweltverpflichtungen hat die nigerianische Regierung erste Schritte unternommen, um der Gasfackelung Herr zu werden. Ein bemerkenswerter Fortschritt ist die Einbringung eines Gesetzesentwurfs im Haus der Abgeordneten, initiiert von Babajimi Benson aus Lagos, welches striktere Maßnahmen und Sanktionen gegen die Betreiber von Gasfackeln vorsieht. Dieser Gesetzesentwurf sieht vor, Gasfackeln nur in streng geregelten Ausnahmefällen zu erlauben und verpflichtet Unternehmen, detaillierte Gasverwertungspläne offen zu legen und umzusetzen. Zudem sollen hohe Geldbußen verhängt werden, um Wiederholungstäter konsequent zu bestrafen und die Nutzung alternativer Verfahren attraktiver zu machen.
Das vorgesehene Gesetz orientiert sich an internationalen Standards und versucht, Nigeria auf die klimatischen und wirtschaftlichen Ziele globaler Abkommen wie des Pariser Klimaabkommens auszurichten. Eine weitere Komponente ist die Wiedergutmachung für durch Gasfackelung betroffene Gemeinden durch Umweltwiederherstellung und Entschädigungen. Damit soll nicht nur die Umwelt geschützt, sondern auch der soziale Frieden in den ölreichen Regionen gestärkt werden. Im internationalen Vergleich zeigen Länder wie Norwegen, dass eine konsequente Null-Fackel-Politik realisierbar und wirtschaftlich sinnvoll ist. Dort konnte durch innovative Technologien und strenge Regulierung die Nutzung von Gas maximiert und gleichzeitig die Umweltbelastung stark reduziert werden.
Nigeria hat durch den Einsatz ähnlicher Strategien die Chance, nicht nur Umweltziele zu erreichen, sondern auch die Energieversorgung zu sichern und die wirtschaftliche Lage zu verbessern. Vor allem die Zusammenarbeit mit internationalen Partnern, der Ausbau der Infrastruktur zur Gasverarbeitung und Investitionen in Energieeffizienzmaßnahmen könnten nachhaltige Verbesserungen ermöglichen. Zudem ist die verstärkte Kontrolle und Durchsetzung von Gesetzen gegen Gasfackelung essenziell, um das Verhalten der Ölgesellschaften zu ändern. Wirtschaftliche Anreize, die Nutzung von Gas für Stromproduktion und industrielle Zwecke weiter auszubauen, können das Interesse an einer Minimierung der Gasverluste erhöhen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Gasfackelung in Nigeria nicht nur zu enormen Energieverlusten und finanziellen Einbußen führt, sondern auch eine große Belastung für Umwelt und Gesellschaft darstellt.
Die verlorenen 26.200 GWh hätten Millionen von Haushalten mit Strom versorgen können und stellen gleichzeitig den „elektrischen Herzschlag“ einer ganzen Nation dar. Eine gezielte politische und wirtschaftliche Strategie ist daher unabdingbar, um die Gasverluste einzudämmen, die Energieversorgung zu stabilisieren und ökologische sowie gesundheitliche Schäden zu minimieren. Die Verabschiedung und strikte Umsetzung des neuen Gesetzes könnte der entscheidende Schritt sein, Nigeria zu einer nachhaltigeren und leistungsfähigeren Energiezukunft zu führen.