In den Vereinigten Staaten zahlen Verbraucher deutlich mehr für verschreibungspflichtige Medikamente als in anderen wohlhabenden Ländern. Diese Preisunterschiede sind seit Jahren Gegenstand intensiver Diskussionen, sowohl in der Öffentlichkeit als auch auf politischer Ebene. Die Fragestellung, warum amerikanische Patienten oft mit exorbitanten Kosten für lebenswichtige Arzneimittel konfrontiert sind, ist komplex und vielschichtig. Um die Ursachen zu verstehen, lohnt es sich, die Mechanismen der Preisbildung, regulatorische Rahmenbedingungen, die Rolle der Pharmaunternehmen sowie politische Initiativen zur Preisgestaltung näher zu betrachten. Einer der zentralen Gründe für die hohen amerikanischen Medikamentenpreise liegt in der Art und Weise, wie Preise für Arzneimittel in den USA festgelegt werden.
Im Gegensatz zu vielen anderen reichen Ländern gibt es in den Vereinigten Staaten keine direkte staatliche Kontrolle oder Regulierung der Preise. Während Länder wie Deutschland, Frankreich oder Großbritannien Preisobergrenzen einführen oder Verhandlungen über Festpreisvereinbarungen führen, überlassen die USA diese Aufgabe größtenteils den pharmazeutischen Unternehmen selbst. Diese dürfen ihre Preise nahezu uneingeschränkt bestimmen, was insbesondere bei Medikamenten gegen schwere Erkrankungen wie Krebs zu drastisch höheren Kosten führt. Ein prominentes Beispiel dafür ist das Medikament Revlimid, ein Mittel zur Behandlung des Blutkrebses Multiple Myelom. Seit seiner Einführung vor rund zwei Jahrzehnten ist der Preis für eine einzelne Tablette in den USA auf fast 1.
000 US-Dollar gestiegen, während er in europäischen Ländern oft nur ein Drittel davon beträgt. Die Firma, die Revlimid herstellt, hat diese Preispolitik genutzt, um enorme Gewinne zu erzielen und ihre Einnahmen kontinuierlich zu steigern, obwohl die Produktionskosten und selbst die Forschungsinvestitionen nicht in gleichem Maße gewachsen sind. Solche Preisunterschiede sind kein Einzelfall, sondern ein Symptom für ein größeres strukturelles Problem. Die Begründung der Pharmaindustrie, die hohen Preise seien notwendig, um die Kosten für Forschung und Entwicklung neuer Medikamente zu decken, wird oft – sowohl von Experten als auch von unabhängigen Studien – hinterfragt. Viele bahnbrechende Entdeckungen und Grundlagenforschungen gehen auf staatlich finanzierte Universitäten und Institute zurück.
Tatsächlich stammen die meisten von der US-Arzneimittelbehörde zugelassenen Medikamente aus Forschungen, die zum großen Teil durch öffentliche Gelder ermöglicht wurden. Trotzdem werden die Endpreise für Patienten und Krankenversicherer stark durch die Gewinnorientierung der Pharmaunternehmen bestimmt. Hinzu kommt, dass viele Unternehmen einen erheblichen Anteil ihrer Einnahmen nicht in Innovationen investieren, sondern vielmehr in Aktienrückkäufe oder Dividenden für Investoren fließen lassen. Ein Bericht des US-Repräsentantenhauses aus dem Jahr 2021 verdeutlicht, dass die größten Pharmakonzerne mehr Geld für diese Zwecke ausgeben als für neue Entwicklungen, was die Argumente der Branche zusätzlich relativiert. Die Rolle der Krankenversicherungen in den USA ist ein weiterer Faktor, der die hohen Medikamentenkosten begünstigt.
Viele Versicherer verhandeln zwar Rabattvereinbarungen mit Herstellern, aber für Krankheiten wie Krebs, die emotional und politisch sehr sensibel sind, bestehen oft gesetzliche Vorgaben, bestimmte Medikamente zu erstatten. Das schränkt die Verhandlungsmacht der Versicherungen ein und vermindert deren Fähigkeit, Preisbegrenzungen zu erwirken. Gleichzeitig können Patienten in einigen Fällen auf Grund der hohen Selbstbeteiligungen trotz Versicherung in finanzielle Not geraten und müssen wichtige Medikamente möglicherweise nicht einnehmen. Politische Bemühungen, die Kosten für verschreibungspflichtige Medikamente zu senken, konzentrieren sich zunehmend auf die Idee der sogenannten „Internationalen Referenzpreisbindung“. Dabei sollen Preise in den USA an den Durchschnittspreisen anderer wohlhabender Länder wie Kanada, Frankreich, Deutschland, Japan, Italien oder Großbritannien orientiert werden.
Ein entsprechender Gesetzesentwurf, eingebracht von Senator Josh Hawley (Republikaner) und Peter Welch (Demokrat), sieht vor, dass Firmen mit Preisen oberhalb des Durchschnitts mit empfindlichen Geldstrafen belegt werden könnten. Ein solches Modell könnte demnach den Spielraum für willkürliche Preissteigerungen deutlich einschränken. Auch frühere Initiativen, beispielweise unter der Präsidentschaft von Donald Trump, zielten darauf ab, Medicare, ein großes staatliches Gesundheitsprogramm, dazu zu verpflichten, Preise anhand der niedrigeren internationalen Kurswerte festzusetzen. Diese Ideen stießen jedoch auf starken Widerstand vonseiten der Pharmaunternehmen sowie juristische Hürden, welche deren Umsetzung bislang verhinderten. Nichtsdestotrotz wird erwartet, dass zukünftige Regierungsvorhaben verstärkt auf Preisbindungen setzen könnten, um die Medikamentenkosten zu dämpfen.
Branchenvertreter argumentieren, dass eine Preisregulierung durch den Staat negative Folgen für Innovationen und den Zugang zu Medikamenten haben könne. Sie warnen vor einem staatlich gesteuerten System, das aus ihrer Sicht die Entscheidungsfreiheit von Ärzten und Patienten einschränkt und die Investitionen in neue Therapien gefährden könnte. Gleichzeitig verweisen sie darauf, dass Reformen auch den Bereich der sogenannten „Pharmacy Benefit Managers“ (PBMs) adressieren müssten – jene Zwischenhändler im Gesundheitswesen, die Pharmafirmen, Apotheken und Versicherungen verbinden und maßgeblich am Geldfluss beteiligt sind. Kritiker des internationalen Referenzpreissystems warnen außerdem davor, dass dieses prinzipiell missbraucht oder umgangen werden kann. So könnten ausländische Regierungen indirekt Einfluss auf die Medikamentenpreise in den USA nehmen, was die Preisentwicklung entwurzeln und möglicherweise unbeabsichtigte Folgen haben könnte.
Die Debatte um die hohen Medikamentenkosten in den USA ist daher ein komplexes Zusammentreffen von wirtschaftlichen Interessen, politischen Entscheidungen und gesundheitspolitischen Prioritäten. Einerseits steht der Ruf der USA als Innovationsstandort für neue Behandlungsmethoden auf dem Spiel, andererseits führt die derzeitige Preispolitik viele Patienten an die Grenze der Erschwinglichkeit und belastet das Gesundheitssystem stark. Letzten Endes stehen mehrere Akteure in der Verantwortung: Regierungen müssen politische Rahmenbedingungen schaffen, die Preisexplosionen eindämmen, ohne Innovationen zu ersticken. Pharmaunternehmen sollten transparenter agieren und ihre Preisgestaltung nachvollziehbar machen. Versicherungen und die involvierten Mittelsmänner müssen effektiver agieren, um einen fairen Wettbewerb zu fördern.