Südkorea befindet sich an einem demografischen Wendepunkt, der weitreichende Konsequenzen für Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur hat. Ein besonders bemerkenswerter Wandel vollzieht sich im Bereich der Einstellung gegenüber der Geburt von Kindern außerhalb der Ehe. Während diese früher stark stigmatisiert war und der gesellschaftliche Druck auf formelle Heiratsbeziehungen enorm war, wächst nun die Akzeptanz für alternative Familienmodelle deutlich an. Diese Entwicklung ist von grundlegender Bedeutung für das Land, das mit einer der niedrigsten Geburtenraten weltweit zu kämpfen hat. Traditionell wird in Südkorea die Ehe als unabdingbare Voraussetzung für die Gründung einer Familie angesehen.
Dieses Wertemodell ist tief in der konfuzianischen Kultur verwurzelt, die starken Wert auf familiäre Pflichten, soziale Ordnung und die Fortführung der Linie legt. Die gesellschaftlichen Normen und Erwartungen haben oft dazu geführt, dass außerhalb der Ehe geborene Kinder stigmatisiert und deren Mütter diskriminiert wurden. Begriffe wie „Horojasik“ verdeutlichen den Negativbezug, der an uneheliche Kinder geknüpft war. Doch die Zeiten ändern sich. Eine Studie der Koreanischen Frauenentwicklungsinstitution, in Auftrag gegeben vom Präsidialkomitee für Alternde Gesellschaft und Bevölkerungspolitik, zeigt einen deutlichen Anstieg der Akzeptanz für uneheliche Geburten unter jungen Erwachsenen.
Zwischen 2008 und 2024 stieg die Zustimmung bei Frauen in ihren 20ern von 28,4 Prozent auf 42,4 Prozent, bei Frauen in ihren 30ern von 23,9 Prozent auf 40,7 Prozent. Auch bei den Männern gab es vergleichbare Zuwächse: Von rund 30 Prozent auf über 43 Prozent. Diese Werte spiegeln einen gesellschaftlichen Wandel wider, der traditionelle Familienkonzepte in Frage stellt. Die Relevanz dieses Wandels hängt eng mit der dramatisch gesunkenen Fertilitätsrate Südkoreas zusammen, die trotz kleiner Erholungen im letzten Jahr mit durchschnittlich 0,75 Kindern pro Frau weltweit die niedrigste geblieben ist. Für eine Bevölkerungsstabilisierung ist eine sogenannte Ersatzfertilitätsrate von etwa 2,1 notwendig, die nötig ist, um eine Generation durch die nächste zu ersetzen.
Ein dauerhaft niedriger Wert führt zu einer alternden Bevölkerung, einem schrumpfenden Arbeitsmarkt, wachsendem Druck auf Sozial- und Rentensysteme sowie zu breiten wirtschaftlichen Herausforderungen. Die Regierung Südkoreas hat die demografische Krise als nationale Priorität erkannt und eine Vielzahl von Maßnahmen ergriffen, um Familiengründungen zu fördern. Unter der früheren Präsidentschaft von Yoon Suk-yeol wurden umfangreiche Förderprogramme eingeführt: von finanziellen Anreizen über erweiterte Elternzeit bis hin zu ideenreichen Konzepten wie der Befreiung von der Wehrpflicht für Eltern. Auch wurden soziale Unterstützungsleistungen für Alleinerziehende verbessert, was grundsätzlich die Akzeptanz unehelicher Kinder erleichtern soll. Dennoch wirkt die Betonung der traditionellen Ehe als Rahmen für Familiengründungen oftmals kontraproduktiv.
Zwar ist die Heiratsrate 2024 gestiegen, doch viele Paare entscheiden sich trotz Ehe für weniger Kinder oder verzichten ganz auf Nachwuchs. Experten weisen zunehmend darauf hin, dass eine reine Förderung von Ehepaaren nicht zwangsläufig den Geburtentrend positiv beeinflusst. Stattdessen könnten tiefgreifende gesellschaftliche Normänderungen, darunter eine Lockerung der traditionellen Familienstruktur und die Verringerung des Heiratsdrucks, langfristig erfolgreicher sein. Die Akzeptanz, Kinder auch ohne Trauschein zu bekommen, ist bislang jedoch nur ein Schritt auf einem langen Weg. Nur etwa 4,7 Prozent der Babys in Südkorea wurden 2023 außerhalb einer Ehe geboren, ein Anteil, der im internationalen Vergleich zu entwickelten Ländern extrem niedrig ist, wo er durchschnittlich bei 42 Prozent liegt.
Die Diskriminierung und Vorurteile gegenüber unverheirateten Müttern gehören weiterhin zu den gesellschaftlichen Hürden, die überwunden werden müssen. Die wachsende Sichtbarkeit von Prominenten, die uneheliche Kinder haben, sowie die politischen Bemühungen, Diskriminierung abzubauen, fördern einen Kulturwandel. Junge Menschen, besonders in den Städten, sind zunehmend offen für neue Lebensmodelle, die individuelle Freiheit und Selbstbestimmung stärker gewichten als strikte soziale Konventionen. Dies zeigt sich auch in der Bereitschaft unverheirateter Erwachsener, Kinder zu bekommen. Ein weiterer Faktor ist der soziale und wirtschaftliche Wandel, der zu veränderten Lebensentwürfen führt.
Hohe Lebenshaltungskosten, Karriereorientierung und veränderte Partnerschaftsmodelle beeinflussen, wie Menschen Familiengründung denken. Für viele Jugendlich ist die Ehe nicht mehr die zentrale Voraussetzung für ein erfülltes Familienleben. Stattdessen wächst der Wunsch nach Flexibilität und Akzeptanz unterschiedlicher Lebensweisen. Im Kontext einer „super-alternden“ Gesellschaft, in der über 20 Prozent der Bevölkerung älter als 65 Jahre sind, wird eine zukunftsorientierte Bevölkerungs- und Familienpolitik zu einem Eckpfeiler der nationalen Strategie. Nicht nur müssen diskriminierende Normen überwunden werden, sondern es sind auch neue Unterstützungsmechanismen notwendig, die alle Familienformen anerkennen und fördern.
Gleichzeitig bleibt es essenziell, dass wirtschaftliche Rahmenbedingungen geschaffen werden, die Familiengründung erleichtern – unabhängig vom Ehestatus. Die politische Landschaft Südkoreas steht vor der Herausforderung, diese gesellschaftlichen Veränderungen zu reflektieren und nachhaltige, inklusive Politikansätze zu entwickeln. Während einige aktuelle Kandidaten für die bevorstehenden Wahlen primär weiter Ehepaare und deren Wohnsituation in den Mittelpunkt stellen, zeigt der gesellschaftliche Trend, dass umfassendere Konzepte für den Erhalt der Bevölkerung gefragt sind. Die zukünftige Regierung wird ihren Fokus darauf legen müssen, wie die Akzeptanz alternativer Familienmodelle in Sozial- und Wirtschaftspolitik integriert wird. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die steigende Akzeptanz von Kindern außerhalb der Ehe in Südkorea mehr ist als nur ein soziales Phänomen.
Sie markiert eine notwendige und hoffnungsvolle Öffnung der Gesellschaft in Richtung mehr Vielfalt und Freiheit. Diese Veränderung trägt entscheidend dazu bei, den demografischen Herausforderungen entgegenzuwirken, die wirtschaftliche Stabilität zu sichern und das gesellschaftliche Klima zu modernisieren. Für Südkorea ist es ein wichtiger Schritt, um künftigen Generationen vielfältige Lebensentwürfe zu ermöglichen und gleichzeitig die Zukunft des Landes zu sichern.