Marc Ribot ist einer der renommiertesten und wandlungsfähigsten Gitarristen der letzten Jahrzehnte. Seine Karriere umfasst eine beeindruckende Anzahl von über 500 Einspielungen, auf denen er seine musikalische Vielfalt unter Beweis stellt. Bekannt als Sideman von Größen wie Tom Waits, Robert Plant und zahlreichen anderen, ist Ribot ein Meister darin, sich stilistisch zu adaptieren und zugleich eigenständig und unverwechselbar zu bleiben. Sein Einfluss reicht von Jazz über Rock bis hin zu Lateinamerikanischer Musik und Avantgarde. Seine einfühlsame Art, Musik zu interpretieren, macht ihn zu einem gefragten Musiker in der internationalen Szene.
Geboren in den späten 1950er Jahren, zog Ribot Ende der 1970er Jahre nach New York City, wo er in einer musikalisch äußerst abwechslungsreichen Umgebung aufwuchs. Die Musik, die er dort rund um das Lower East Side hörte, war eine Mischung aus Punk, Jazz, kubanischen Rhythmen und vielen weiteren Stilrichtungen. Diese Vielfalt prägte ihn nachhaltig und stärkte seine Entscheidung, Musiker zu werden. Seine Anfangszeit war geprägt von leidenschaftlichem Lernen und harter Arbeit. Er begann als Jazzgitarrist und arbeitete nebenbei an verschiedenen Auftragsarbeiten, unter anderem für Kinder-Musikalben wie Barbie- und Strawberry Shortcake-Platten.
Trotz finanzieller Schwierigkeiten und ganz unterschiedlicher Projekte verfolgte er unbeirrt das Ziel, seine musikalische Handschrift zu finden und weiterzuentwickeln. Der entscheidende Wendepunkt in Ribots Karriere kam, als er eine Gruppe namens The Lounge Lizards von John Lurie kennenlernte und sich ihnen anschloss. Diese Band war eine prägenden Kraft in der New Yorker No-Wave- und Punk-Jazz-Szene und zog die Aufmerksamkeit vieler Musiker auf sich. An Silvester 1984 betrat ein gewisser Tom Waits die Bühne, um an einem gemeinsamen Auftritt teilzunehmen. Diese Begegnung sollte für beide Künstler folgenreiche Entscheidungen bedeuten.
Waits engagierte Ribot kurz darauf für sein Album Rain Dogs, auf dem er durch seine individuelle und ungewöhnliche Spielweise sofort herausstach. Ribots Beitrag auf Stücken wie „Singapore“ mit seiner markanten Marimba und auf „Cemetery Polka“ mit düsteren Akzenten zeigt sein Talent, Geschichten durch Musik zu erzählen und emotional starke Klangbilder zu schaffen. Tom Waits schätzte Ribots kreative Herangehensweise sehr. Anders als viele Musiker, die lediglich vorgegebene Parts spielten, war Ribot stets in den Entstehungsprozess einbezogen. Das gemeinsame Komponieren und Experimentieren standen im Vordergrund.
Waits entwarf seine Songs als kleine theatralische Szenen, bei denen es auf die Atmosphäre, die Rolle des Sängers und die Erzählweise ankam. Ribot verstand es, seine Gitarre entweder als lautes, dominantes Instrument einzusetzen oder zurückhaltend und fast flüsternd die Geschichten zu untermalen. Dieser Balanceakt ist bezeichnend für sein Können und seine musikalische Sensibilität. Zudem war Ribot fester Bestandteil von Waits Live-Bands, wo es häufig vorkam, dass der Sänger unterwegs spontan Lieder anordnete und veränderte. Diese Flexibilität und sein musikalisches Gespür machten ihn zu einem unverzichtbaren Begleiter.
Neben seiner langjährigen Zusammenarbeit mit Tom Waits hat Marc Ribot zahlreiche weitere namhafte Projekte realisiert. So war er 2007 an Robert Plant und Alison Krauss’ bahnbrechendem Album Raising Sand beteiligt, das von T Bone Burnett produziert wurde. Für Ribot war die Arbeit mit Plant eine ganz besondere Erfahrung, da er von dessen Stimme und musikalischer Präsenz tief beeindruckt war. Er bezeichnete sich selbst als „total eingeschüchtert“ in den Aufnahmesessions und war erstaunt darüber, wie sehr er sich in die Geschichten und das Zusammenspiel mit Alison Krauss vertiefte, so dass er auf der Gitarre fast vergaß zu spielen. Obwohl das Album eher Americana und Folk verfolgte, fügte sich Ribots Spiel perfekt in das musikalische Gesamtbild ein und unterstrich erneut seine flexible Herangehensweise.
Ein weiteres Highlight in Ribots Laufbahn war die Zusammenarbeit mit Elton John und dem legendären Musiker Leon Russell. Während der Aufnahmen für das Album The Union im Jahr 2010 konnte Ribot seine Liebe für den Jazz und New Orleans-Rhythmen einfließen lassen. Das Projekt war dabei nicht nur künstlerisch bedeutend, sondern auch eine emotionale Begegnung, da Leon Russell die Sessions trotz gesundheitlicher Probleme mitgestaltete. Diese Verbindung aus Jazz, Soul und Rock entsprach genau Ribots musikalischem Wesen und erlaubte ihm, sein Können unter Beweis zu stellen und gleichzeitig neue Facetten zu entdecken. Neben seiner Rolle als Sideman ist Ribot auch für seine Soloprojekte und seine Arbeit als Bandleader bekannt.
Er hat etliche Alben veröffentlicht, die von Jazz über Latin Music bis hin zu experimenteller Musik und Protestliedern reichen. Besonders hervorzuheben ist seine Band Los Cubanos Postizos (Die Prothetischen Kubaner), mit der er die Musik von Arsenio Rodríguez, einem Pionier der kubanischen Musik, neu interpretiert. Ribot sieht in Rodríguez den „Duke Ellington und Jimi Hendrix der kubanischen Musik“ und verbindet traditionelle Latin-Rhythmen mit seiner unverwechselbaren Gitarrenarbeit. Diese Projekte zeigen nicht nur seine musikalische Vielseitigkeit, sondern auch seinen Respekt und seine Leidenschaft für musikalische Kulturen jenseits des Mainstreams. Ribots Engagement geht auch über die Bühne und das Studio hinaus.
Als Gastprofessor am New England Conservatory teilt er seine Erfahrungen mit jüngeren Musikern und fördert ein tieferes Verständnis für Musik jenseits der konventionellen Grenzen. Seine Lehrtätigkeit spiegelt seine Haltung wider, dass Musik nicht nur technische Fertigkeiten verlangt, sondern auch Fähigkeit zur Interpretation, zum Geschichtenerzählen und zur emotionalen Kommunikation. Mit seinem ersten Gesangsalbum Map of a Blue City, das nach mehr als drei Jahrzehnten produziert wurde, zeigt Ribot eine neue künstlerische Dimension. Das Album kombiniert intime Kammermusik mit melancholischen Texten und einer tiefgründigen Auseinandersetzung mit Geschichte, Erinnerung und Gegenwart. Dabei bedient er sich auch literarischer Inspirationen wie Gedichten von Heinrich Heine oder Texten von Allen Ginsberg.
Das Projekt, das lange Zeit in der Schublade lag, wurde schlussendlich mit Hilfe moderner Technologien und einem Streicherensemble realisiert und zeigt Ribots Innovationskraft und seine Offenheit für neue Ausdrucksformen. Zwischen all den künstlerischen Erfolgen bleibt Ribot ein bodenständiger Musiker, der die Routine als Sessiongitarrist kennt und schätzt. Er bezeichnet das Spielen auf Aufnahmen als eine Tätigkeit, mit der er seinen Lebensunterhalt bestreitet, und lacht selbst über die Vielzahl der Projekte, an denen er mitgewirkt hat. Trotz seines beachtlichen Bekanntheitsgrades bleibt er eher ein Geheimtipp für Fans und Insider, da er eher durch seine Vielseitigkeit als durch reine Showtaten auffällt. Die politische Haltung Ribots spiegelt seine Musik ebenso wider.
Besonders seit der Veröffentlichung des Albums Songs of Resistance 1942-2018 ist sein Engagement für gesellschaftlichen Widerstand und kritische Reflexion offenkundig. Er sieht die Musik als Mittel, um auf Missstände aufmerksam zu machen und einen Konsens in schwierigen Zeiten zu schaffen. Insbesondere die politischen Herausforderungen der Gegenwart, einschließlich seiner kritischen Sicht auf autoritäre Tendenzen, haben Ribot motiviert, musikalisch Position zu beziehen und zugleich Brücken zwischen verschiedenen kulturellen Identitäten zu schlagen. Marc Ribot steht beispielhaft für eine musikhistorische Figur, die in der Lage ist, sich beständig neu zu erfinden und dabei Bodenhaftung und künstlerische Integrität zu bewahren. Sein Beitrag zur Musik ist vielseitig, weil er die Fähigkeit besitzt, in unterschiedlichsten Kontexten zu agieren, ohne seine eigene Stimme aufzugeben.
Sei es im Jazzclub, auf einer Rockbühne, im konservativen Studiokontext oder auf den Straßen New Yorks – Ribot bleibt ein Musiker, der die Stimmung eines Augenblicks einfängt und mit seiner Gitarre erzählt. Seine Geschichte zeigt, wie wichtig Leidenschaft, Flexibilität, kulturelle Offenheit und handwerkliche Meisterschaft für eine nachhaltige Karriere als Musiker sind. Von den frühen Anfängen am Lower East Side bis zu internationalen Kooperationen mit Ikonen der Musik schafft Marc Ribot immer wieder faszinierende Klangwelten, die Emotionen wecken und Geschichten erzählen. Für Musikliebhaber ist Ribot ein einzigartiger Künstler, dessen Werk sich lohnt, über zahlreiche Alben und Konzerte hinweg zu entdecken. Für aufstrebende Musiker bietet sein Lebensweg ein inspirierendes Beispiel dafür, wie man Herausforderungen annimmt, stilübergreifend agiert und dennoch einen authentischen künstlerischen Ausdruck bewahrt.
Marc Ribot ist mehr als nur Sideman – er ist ein musikalischer Geschichtenerzähler, ein mutiger Experimentator und ein begnadeter Interpret mehrerer musikalischer Welten.