Tief in der rauen, unwirtlichen Landschaft der Mojave-Wüste verbirgt sich eine der ungewöhnlichsten Geschichten der Automobilgeschichte: Mrs. Orcutts Driveway. Diese unscheinbar wirkende, 4,1 Meilen lange Straße wurde einst von einer resoluten Witwe in Besitz genommen, die sich gegen die Widrigkeiten des Fortschritts stellte – und später zu einer weltberühmten heimlichen Teststrecke avancierte, auf der Geschwindigkeiten erreicht wurden, die juristisch als verboten galten. Mrs. Bonnie Margaret McMains Orcutt kaufte in den 1950er Jahren ein Stück Land östlich von Newberry Springs in Kalifornien.
Dort baute sie sich ein einfaches Zuhause und eine einladende Oase mitten in der kargen Wüste, einschließlich eines einsamen Teiches, den sie mit Fischen besetzte, und eines kleinen Anwesens, das sie liebevoll pflegte. Als eine neue Autobahn in den 1960er Jahren geplant wurde, schnitt diese ihr Grundstück von der Außenwelt ab – der Zugang zu ihrer Heimat war plötzlich stark eingeschränkt oder nahezu unmöglich. Doch Mrs. Orcutt war keine Frau, die sich einfach geschlagen gab: Sie setzte sämtliche Hebel in Bewegung, um für sich und ihre Existenz den dringend benötigten Zugang zurückzufordern. Sie verfrachtete ihre Hoffnungen in Briefe an Politiker, Bundesbeamte und sogar Präsident Lyndon Johnson.
In diesen Bitten beschrieb sie groß angelegte Pläne für wirtschaftliche Entwicklungen und soziale Projekte auf ihrem Anwesen – von einem Wildschutzgebiet und einer Seniorenresidenz bis hin zu einem Krankenhaus für unverheiratete Mütter. Ihre leidenschaftlichen Appelle rührten offenbar viele, denn letztlich wurde beschlossen, eine neue Straße zu ihrer alten Einfahrt zu bauen, die der Autobahn eine Verbindung gewährte. Die Straße, geschickt als ein langgezogener, gerader Fahrweg gestaltet, wirkt von außen betrachtet wenig spektakulär. Dennoch ist sie mit Asphalt und Schotter akkurat bis in jedes Detail ausgelegt und bietet eine Fläche, die den höchsten Anforderungen an Fahrbahnqualität genügt. Die Einzigartigkeit dieser Strecke resultiert aber nicht aus ihrer Konstruktion, sondern aus der Nutzung, die ihr in den folgenden Jahrzehnten zu Teil wurde.
In den späten 1970er und frühen 1980er Jahren entdeckte das renommierte Automagazin Car and Driver diese Straße für sich. In einer Zeit, als Hochgeschwindigkeits-Teststrecken rar waren und heutzutage so renommierte Rennstrecken wie das Ford-Werksoval in Kingman, Arizona, eher weit entfernt lagen, bot Mrs. Orcutts Driveway eine nahezu perfekte Testumgebung. Gerade, eben und einsam, wurde sie zum improvisierten Schauplatz zahlreicher Testfahrten, bei denen Geschwindigkeiten von über 200 Meilen pro Stunde erreicht wurden – was etwa 320 Stundenkilometern entspricht. Berühmte Fahrzeuge und Tuner wie Gale Banks nutzten die Road als geheime Bühne, um Rekordfahrten zu unternehmen.
Ein modifizierter Pontiac Trans Am mit zwei Turboladern sorgte 1982 für Schlagzeilen, als der Wagen über 200 mph erreichte. Diese und andere Fahrten wurden mit einer Mischung aus Abenteuerlust und Verbotsreizen unternommen, da die Straße offiziell eine öffentliche Landstraße mit einer Geschwindigkeitsbegrenzung von 55 Meilen pro Stunde war. Der Verkehr war gering, die Überwachung mangelhaft und der Staub, der bei vollen Tempowellen aufwirbelte, war von der nahen Interstate sichtbar – was die Gefahr eines vorzeitigen Einsatzes der Polizei erhöhte. Diese Testfahrten waren jedoch keinesfalls ungefährlich. Die Straße hatte keinen Schulterstreifen, umgeben von rauem Wüstengelände, was selbst kleinen Fehlern fatale Folgen hätte bescheren können.
Hinzu kam die Geschwindigkeit, die in Deutschland vermutlich bisher nur wenigen idealen Strecken zugestanden wird. Einzelne Polizeikontrollen wurden in riskanten Manövern umgangen – oder durch charmante Kooperationen entschärft, etwa als ein Polizist nach einer Mitfahrgelegenheit in einem der Hochgeschwindigkeitswagen gefragt hatte. Der ruhmreiche Ruf von Mrs. Orcutts Driveway ist zugleich aber auch eine Geschichte von Träumen, die nie verwirklicht wurden. Die geplanten Projekte wie das Seniorenheim, das Krankenhaus oder das Arbeitsbeschaffungsprogramm für die Region blieben reine Visionen – die Wüste nahm sich das Land zurück, und Mrs.
Orcutt verstarb wahrscheinlich in den 1980er Jahren. Die heutige Szenerie ist verfallen, mit überwucherten Überresten ihrer ehemaligen Wohnstätte und einer Landschaft, die der Zeit trotzt. Doch die Legende lebt weiter: Motorsportfans und Autoliebhaber erinnern sich an die gänzlich unkonventionelle Teststrecke, die Abenteurern und Entwicklern gleichermaßen eine Bühne bot, auf der sie ihrer Leidenschaft für Geschwindigkeit und Technik nachgehen konnten. Eine Teststrecke wie keine andere, entstanden aus dem Willen einer einzelnen Frau und einem fast schon mythischen Flecken Wüste, der jahrzehntelang für Leistungstests genutzt wurde, die in offiziellen Kreisen kaum erlaubt gewesen wären. Heute könnte die Straße aufgrund ihres Alters und Nutzungszustands kaum noch als Hochgeschwindigkeitsstrecke dienen.
Die ehemalige Pracht ist von Schlaglöchern, Bodenabsenkungen und Vegetation verdrängt. Doch trotz des Verfalls erzählt der Name Mrs. Orcutts Driveway weiterhin von Pioniergeist, Leidenschaft und einer Ära, in der Automobiltester bereit waren, Grenzen zu überschreiten – buchstäblich im Staub Kaliforniens. Ihre Geschichte ist ein faszinierendes Kapitel der amerikanischen Automobilkultur, das zeigt, wie ungewöhnliche Orte zu heiligen Stätten für Geschwindigkeit werden können. Mrs.
Orcutts Driveway steht als Symbol für den Einfluss des individuellen Willens und das unaufhörliche Streben nach Innovation in einer Welt, die sich stetig verändert. Nicht zuletzt zeigt die Geschichte auch, wie sich große, oft bürokratische Systeme mitunter den größten Herausforderungen stellen müssen – sei es eine einzelne Frau, die sich gegen einen Autobahnbau wehrt, oder ein Team von Testfahrern, die eine Grenze der Technik ausloten wollen. Mrs. Orcutts Driveway ist damit Zeitdokument, Mythos und eindrucksvolle Erinnerung zugleich – und ein Schatz für jeden, der sich für die Geschichte der Automobilentwicklung interessiert.