Im Mai 2025 sorgte die Filmwelt beim renommierten Cannes Filmfestival für Aufsehen, als eine Gruppe skandinavischer Filmemacherinnen und Filmemacher die Wiederauferstehung einer kultischen Filmbewegung verkündete: Dogma 25. Mit einem klar definierten Manifest und einem engagierten Aufruf gegen die zunehmende Einflussnahme digitaler Technologien erklärt sich die Gruppe zur Verfechterin eines handwerklich geprägten, authentischen Kinos, das sich von Algorithmen und der Übermacht des Internets abwendet. Die Initiative, in der Tradition von Lars von Trier und Thomas Vinterbergs Dogme 95, richtet sich gegen die Effekte der Digitalisierung auf das kreative Schaffen und zielt darauf ab, das menschliche, fehlerhafte und emotionale Wesen des Films in den Vordergrund zu stellen. Dabei steht die Produktion von fünf Filmen in einem Jahr im Zentrum des Vorhabens – eine symbolische und pragmatische Entscheidung, die Disziplin und Konzentration fördert. Der Gründungsimpuls für Dogma 25 geht von der dänisch-ägyptischen Regisseurin May el-Toukhy aus, die durch ihr preisgekröntes Werk Queen of Hearts bereits internationale Anerkennung erlangte.
Gemeinsam mit Milad Alami, Annika Berg, Isabella Eklöf und dem visuellen Künstler Jesper Just bildet sie ein kreatives Kollektiv, das nicht nur die künstlerischen Werte von Dogme 95 neu formuliert, sondern auch die Produktion von Filmen neu denkt. Die Gruppe lehnt die vorherrschende Abhängigkeit von Internetrecherchen, digitalen Filtern und algorithmisch gesteuerten Sehgewohnheiten entschieden ab. Im Manifest von Dogma 25 ist daher der Gebrauch des Internets in allen kreativen Prozessen strikt untersagt. Nur für administrative Zwecke wie Kommunikation via E-Mail darf das Netz während der Produktionsphase verwendet werden. Dieser radikale Schritt nach vorn wirkt zunächst provokant, setzt jedoch ein kraftvolles Zeichen für kreative Autonomie und gegen die Omnipräsenz digitaler Algorithmen in der Kunst.
In den zehn Manifest-Regeln von Dogma 25 bleibt das Prinzip aus dem alten Dogme-Manuskript erhalten, dass alle Aufnahmen genau dort gefilmt werden müssen, wo die Handlung stattfindet. Das soll den natürlichen Fluss und die Echtheit der Szenen erhalten. Zusätzlich sollen die Drehbücher handschriftlich von den Regisseuren selbst verfasst werden, um den intensiven, persönlichen Bezug zu garantieren. Ein weiteres zentrales Anliegen ist die Beschränkung der Technik und Crewgröße: Nur maximal zehn Personen dürfen bei der Kameraführung beteiligt sein. Das stärkt den Gemeinschaftsaspekt und verhindert übermäßige technische Komplexität.
Visuelle Manipulationen wie Make-up oder digitale Effekte werden verboten, und Requisiten dürfen nur geliehen, gefunden oder gebraucht verwendet werden – dies fördert einen minimalistischen Ansatz und einen Fokus auf das Wesentliche. Besonders hervorgehoben wird die Bedeutung des visuellen Erzählens: Mindestens die Hälfte des Films soll ohne Dialoge auskommen, denn Dogma 25 vertraut darauf, dass Zuschauer über Bilder und Stimmungen genauso tief ins Geschehen eintauchen können, wie über gesprochene Worte. Diese Regel hebt die filmische Sprache über das gesprochene Wort hinaus und fordert Regisseure heraus, ihre visuelle Dramaturgie präzise zu entwickeln. Ein nicht unwesentlicher sozialer und ökonomischer Kontext liegt in der Kritik von May el-Toukhy an den schrumpfenden Budgets und gestiegenen Kosten im Arthouse-Kino. Nach der Covid-Pandemie, so erklärt sie, erleben gerade unabhängige Produktionen eine schwierige Phase mit eingeschränkten Ressourcen und sinkender Risikobereitschaft der Förderer.
Dogma 25 will diesem Tod des originellen, experimentellen Kinos entgegenwirken, weil das Arthouse oft die Quelle für Innovation in der gesamten Filmindustrie sei. Ohne eine lebendige unabhängige Filmszene drohe der Mainstream das visuelle und narrative Neuland zu verlieren. Die Bewegung erhält Unterstützung von den beiden legendären Dogme-Gründern Lars von Trier und Thomas Vinterberg. Ihre Zustimmung verleiht Dogma 25 Glaubwürdigkeit und schafft eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Unter Mitwirkung von Zentropa, der von Lars von Trier gegründeten Produktionsfirma, bekommt die neue Bewegung eine professionelle Plattform und organisatorische Struktur.
Dogme 95 hatte in den 90er Jahren mit seinen strengen „Ehrenkodexen“ die europäische Filmwelt revolutioniert. Filme wie Vinterbergs Festen und Von Triers Idioten zeichneten sich durch ihre rohe, ungekünstelte Bildsprache aus und erzielten nachhaltige Wirkung auf das arthouse Kino weltweit. Im Gegensatz zur früheren Dogme-Bewegung räumt Dogma 25 zwar gemäßigtere Regeln ein – nur eine Kernregel der ursprünglichen Charta bleibt uneingeschränkt gültig –, doch durch die neuen Prinzipien entsteht eine moderne Haltung, die sich bewusst gegen die digitale Handelsmacht und technische Überkomplexität wendet. Die Einschränkungen bei der Internetnutzung symbolisieren ein bewusstes „Offline“-Denken im künstlerischen Prozess. Das soll dem kreativen Individuum erlauben, wieder intensiv in eigene Gedankenwelten einzutauchen, ohne von der Informationsflut und Algorithmus-basierten Trends beeinflusst zu werden.
Die fünf Filmemacher und Filmemacherinnen wollen innerhalb eines Jahres fünf Filme realisieren, die dieses Ethos verkörpern. Zum Start hat die schwedische Regisseurin Isabella Eklöf bereits eine Filmidee vorgestellt. Ihr Thema ist ein persönliches, unverbrauchtes Motiv: eine naturalistische Darstellung einer sadomasochistischen Beziehung. Mit ihrem Ansatz will sie ein ehrliches und differenziertes Verständnis von Beziehungsmustern schaffen, weg von voyeuristischer oder sensationalistischer Darstellung. Darüber hinaus unterstreicht sie die Philosophie Dogma 25s von authentischem Erzählen, das gesellschaftliches Tabu und menschliche Komplexität gleichermaßen reflektiert.
Die Reaktionen aus der internationalen Filmcommunity sind sehr gespannt. Offensichtlich trifft die Rückbesinnung auf die handwerklichen Wurzeln und das behutsame Experimentieren mit filmischen Mitteln einen Nerv. Die bewusste Abkehr von digitaler Überreizung und algorithmischer Gestaltung zu Gunsten eines humanen und körperlichen Kinos könnte zu einer neuen Welle anspruchsvoller und ästhetisch eigenständiger Filme führen, die sich sowohl in Festivals als auch bei einem Publikum abseits von Blockbuster-Kultur behaupten können. Dogma 25 ist mehr als nur eine nostalgische Erinnerung an die Dogme 95 Bewegung. Es ist eine künstlerische Haltung im Spannungsfeld zwischen Technologie und traditionellem Handwerk, ein Aufruf zur Rückgewinnung von Originalität und persönlicher Unmittelbarkeit in der Filmerzählung.
Gerade in Zeiten rapiden digitalen Wandels stellt diese Bewegung eine wichtige Position dar, die Künstlermut und Selbstausdruck gegenüber Kommerz und oberflächlicher Zugänglichkeit verteidigt. Die kommenden Filme und Projekte von Dogma 25 werden zeigen, ob diese Kulturrevolution innerhalb der Filmbranche nachhaltig sein wird. Doch bereits jetzt hat die Bewegung einen frischen Wind in die Debatten um die Zukunft des Kinos gebracht, der sowohl Medienmacher als auch Filmfans weltweit inspiriert und zum Nachdenken anregt.