Die offiziellen Arbeitslosenzahlen in den Vereinigten Staaten liegen im April 2025 bei etwa 4,2 Prozent, was auf den ersten Blick einen gesunden und stabilen Arbeitsmarkt suggeriert. Doch eine aktuelle Studie des Ludwig Instituts für Gemeinsamen Wirtschaftlichen Wohlstand (Ludwig Institute for Shared Economic Prosperity, LISEP) zeigt ein weitaus düstereres Bild. Demnach liegt die sogenannte „funktionale Arbeitslosigkeit“ bei rund 24,3 Prozent, was bedeutet, dass fast jeder vierte US-Amerikaner faktisch unzureichend beschäftigt ist. Dieses Spannungsverhältnis zwischen den offiziellen Statistiken und der Realität wirft grundlegende Fragen über die Definition von Beschäftigung und die tatsächliche Verfassung des Arbeitsmarkts auf.Das Kernproblem liegt darin, wie Arbeitslosigkeit gemessen wird.
Die für die amtlichen Zahlen verantwortliche Behörde, das Bureau of Labor Statistics (BLS), zählt Personen bereits als beschäftigt, wenn sie beispielsweise nur eine Stunde innerhalb von zwei Wochen gearbeitet haben. Diese äußerst lockere Definition führt dazu, dass viele Menschen als erwerbstätig gelten, obwohl ihr Beschäftigungsverhältnis keine nachhaltige Einkommensquelle darstellt und sie ihre Existenz nicht sichern können. Das LISEP hingegen definiert Arbeitslosigkeit umfassender und berücksichtigt neben den offiziell Arbeitslosen auch Menschen, die zwar arbeiten, jedoch keinen Vollzeitjob finden, sowie diejenigen, die in prekären, armutsgefährdeten Beschäftigungsverhältnissen stecken.Diese sogenannte funktionale Arbeitslosigkeit umfasst folglich Personen, deren Einkommen nicht ausreicht, um über die Armutsgrenze hinauszukommen. Nach den Bundesarmutsrichtlinien für 2025 liegt diese Grenze bei 32.
150 US-Dollar jährlich für eine vierköpfige Familie bzw. bei 15.650 US-Dollar für eine Einzelperson. Auf Stundenbasis entspricht das einem Mindestlohn von etwa 7,83 US-Dollar für eine Einzelperson bei Vollzeitarbeit. Viele Beschäftigte, die als funktional arbeitslos eingestuft werden, erzielen jedoch Löhne, die deutlich darunterliegen oder arbeiten nur in Teilzeit, obwohl sie gerne Vollzeit arbeiten würden.
Die Auswirkungen dieses Phänomens sind weitreichend. Eine hohe funktionale Arbeitslosigkeit führt nicht nur zu finanziellen Problemen für Betroffene, sondern wirkt sich auch negativ auf das gesellschaftliche Wohlergehen und die wirtschaftliche Stabilität aus. Menschen, die ständig zwischen prekären Jobs und Arbeitslosigkeit schwanken, können kaum langfristige Verpflichtungen eingehen oder Vermögen aufbauen. Dies verschärft soziale Ungleichheiten und behindert die wirtschaftliche Mobilität.Die Ursachen für die Diskrepanz zwischen den offiziellen und den funktionalen Arbeitslosenzahlen sind vielfältig.
Die moderne Arbeitswelt ist geprägt von unsicheren Beschäftigungsverhältnissen, sogenannten Gig-Jobs und Leiharbeit, die oft keine ausreichenden Absicherungen bieten. Dazu kommen strukturelle Veränderungen, etwa im Technologiesektor, wo Automatisierung und Digitalisierung klassische Arbeitsplätze verdrängen, sowie regionale Unterschiede und Branchen, die unterschiedlich stark von wirtschaftlichen Schwankungen betroffen sind. Besonders hart getroffen sind mittlere und niedrige Einkommensgruppen sowie Beschäftigte in Berufen mit niedrigem Qualifikationsniveau.Zudem beeinträchtigen politische Rahmenbedingungen und wirtschaftliche Unsicherheiten die Beschäftigungssituation. In Zeiten von Handelskonflikten, steigenden Zinsen oder geopolitischen Spannungen zögern viele Unternehmen mit Neueinstellungen, was die Schaffung von stabilen Vollzeitjobs erschwert.
Obwohl der Arbeitsmarkt insgesamt noch neue Stellen schafft, etwa in den Bereichen Bau, Gesundheitswesen oder professionellen Dienstleistungen, profitieren viele Arbeitnehmer nicht von diesen Entwicklungen in gleichem Maße.Die hohe funktionale Arbeitslosigkeit birgt auch Probleme für die Politik. Wenn offizielle Arbeitslosenzahlen nur einen Teil der Realität abbilden, können Maßnahmen zur Förderung von Beschäftigung und zur sozialen Absicherung nicht zielgerichtet umgesetzt werden. Ein verzerrtes Bild des Arbeitsmarktes führt zu Fehleinschätzungen bei der Ressourcenverteilung, etwa im Bereich der Arbeitslosenversicherung, der Weiterbildung oder sozioökonomischer Förderprogramme.Ein weiterer Aspekt ist die soziale Wahrnehmung von Arbeitslosigkeit und Armut.
Wenn viele eigentlich beschäftigte Menschen trotz Arbeit kaum über die Runden kommen, wächst das Gefühl von Unsicherheit und sozialer Ungerechtigkeit. Dies kann gesellschaftliche Spannungen verstärken und das Vertrauen in wirtschaftliche und politische Institutionen untergraben.Um diese Herausforderungen zu bewältigen, sind mehrere Maßnahmen denkbar. Eine Reform der Arbeitsmarktstatistik könnte dafür sorgen, dass Erwerbstätigkeit realitätsnäher erfasst wird, etwa durch eine Einbeziehung von Arbeitsstunden, Lohnniveau und Arbeitszeitwünschen. Des Weiteren sind Strategien zur Förderung von Vollzeitarbeitsplätzen mit fairer Bezahlung nötig, ebenso wie Investitionen in Aus- und Weiterbildung, die Beschäftigten den Weg zu besseren Jobs öffnen.
Zudem muss der Schutz von Arbeitnehmern in prekären Arbeitsverhältnissen gestärkt werden, um soziale Sicherheit zu erhöhen.Insgesamt zeigt die LISEP-Studie eindrücklich, dass das Bild von einem gesunden amerikanischen Arbeitsmarkt zwar offiziell bestätigt wird, die Realität für Millionen Menschen aber viel schwieriger ist. Die Diskussion um funktionale Arbeitslosigkeit macht deutlich, dass es nicht nur um das Haben oder Nicht-Haben eines Jobs geht, sondern um die Frage, welche Qualität und Sicherheit dieser Job bietet. Damit steht auch die soziale Gerechtigkeit im Zentrum dieser Debatte.Die kommende Zeit wird zeigen, wie Politik, Wirtschaft und Gesellschaft auf diese Herausforderungen reagieren.
Die Einbeziehung differenzierter Arbeitsmarktindikatoren und das Bewusstsein für die Bedürfnisse der sogenannten funktional Arbeitslosen sind dabei Schlüsselelemente, um den Arbeitsmarkt für alle Bevölkerungsgruppen nachhaltiger und gerechter zu gestalten. Nur wenn sichergestellt wird, dass Menschen nicht nur irgendeinen Job, sondern einen menschenwürdigen Arbeitsplatz finden, kann die Arbeitslosigkeit langfristig wirksam bekämpft werden und der gesellschaftliche Zusammenhalt gestärkt werden.