Virtuelle Realität (VR) gilt als eine der faszinierendsten Technologien unserer Zeit, die Nutzern immersiv visuelle Welten eröffnet. Doch trotz eindrucksvoller Bilder und Animationen bleibt der haptische Faktor – also die taktile Rückmeldung – eine der größten Herausforderungen. Shiftly, ein neuartiges formwandelndes Objekt, bringt jetzt frischen Wind in diese Problematik und eröffnet neue Möglichkeiten für physische Interaktion in VR-Umgebungen. Die Faszination der Virtuellen Realität liegt nicht nur in der visuellen Wahrnehmung, sondern auch in der Frage, wie das Erlebnis durch den Tastsinn intensiviert werden kann. Bislang war es schwierig, realistische taktile Rückmeldungen zu erzeugen, die mit der dynamischen und vielfältigen visuellen Welt von VR konkurrieren können.
Shiftly adressiert genau dieses Defizit, indem es sich als ein Formwandler entpuppt, der die in der virtuellen Welt gesehenen Objekte physisch nachbildet. Shiftly basiert auf einer innovativen Origami-Struktur, die es ermöglicht, unterschiedliche Formen wie Kurven, Kanten und flache Oberflächen innerhalb weniger Sekunden zu erzeugen. Die Idee entstand in der TU Wien (Technische Universität Wien) im Rahmen eines Masterprojekts von Tobias Batik, der das Ziel verfolgte, eine kosteneffiziente und funktionale Lösung für dynamisches haptisches Feedback zu schaffen. Im Gegensatz zu herkömmlichen haptischen Geräten, die komplexe und teure Mechaniken nutzen – etwa Arrays mit individuell beweglichen Pins – ist Shiftly durch sein Origami-Design leichtgewichtig, robust und preisgünstiger herstellbar. Drei prismatische Origami-Module bilden die Grundstruktur, die durch gezielte Faltungen vielfältige Formen simulieren kann.
Dabei verwandelt sich Shiftly innerhalb von 0,25 bis zu 4 Sekunden und erzeugt je nach Anforderung flache, gewölbte oder kantige Geometrien. Die praktischen Einsatzmöglichkeiten von Shiftly wurden bereits in mehreren Experimenten getestet. Eine bedeutende Untersuchung fand auf der ACM SIGGRAPH 2023 in Los Angeles statt, einem der weltweit wichtigsten Technologie- und Computergrafikkonferenzen. Unter den über 140 Teilnehmern trug jeder eine VR-Brille und konnte zugleich Shiftly in der Hand halten. Während die Nutzer unterschiedliche virtuelle Objekte sahen, passte sich Shiftly haptisch an und maß die Rückmeldung für die Empfindungen ab.
Die Ergebnisse waren beeindruckend: Für wellenförmige Oberflächen konnte Shiftly einen Realismuswert von durchschnittlich über 5,4 von 7 Punkten erzielen. Auch einfache Formen wie ein Haus wurden mit mehr als 5,2 Punkten bewertet. Selbst herausfordernde Geometrien wie ein Diamant oder konkave Flächen erreichten akzeptable Werte, was auf ein großes Potenzial hinweist, den Tastsinn innerhalb der virtuellen Welt überzeugend zu stimulieren. Neben der immersiveren Nutzererfahrung bietet Shiftly mit seinem Origami-Ansatz auch interessante Perspektiven für Anwendungen jenseits der Unterhaltungsbranche. Im Architektur- und Designwesen könnte das Gerät künftig dafür eingesetzt werden, digitale Modelle nicht nur visuell, sondern auch tastbar erlebbar zu machen.
Planer und Architekten könnten ihre Entwürfe so realitätsnah erfassen, noch bevor physische Prototypen realisiert werden. Da Shiftly als offenes Projekt konzipiert ist, sind der Quellcode und CAD-Modelle frei zugänglich. Dies fördert den kreativen Austausch und die Entwicklung weiterer Anwendungen in Wissenschaft und Industrie. Die Forscher sehen das Gerät dabei noch nicht als marktreifes Produkt, sondern vielmehr als Prototypen zur Erforschung der Möglichkeiten von origamibasierten haptischen Schnittstellen. Ein spannendes zukünftiges Vorhaben ist die Integration von Shiftly mit mobilen Roboterarmen, die dynamisch auch in großem Maßstab haptisches Feedback liefern könnten.
Dies würde es ermöglichen, virtuelle Objekte nicht nur auf Hand- sondern auch auf Raumgröße zu ertasten und fühlbar zu machen. Shiftly könnte die VR-Technologie grundlegend verändern, indem es die Kluft zwischen dem Visuellen und dem Haptischen überbrückt. Diese Verbindung aus traditioneller Origami-Kunst und modernster VR-Forschung zeigt eindrucksvoll, wie interdisziplinäre Ansätze Innovation fördern und völlig neue Nutzererlebnisse schaffen. Zudem ist der Ansatz äußerst vielversprechend hinsichtlich Benutzerfreundlichkeit und Zugänglichkeit, da die Konstruktion ohne teure Komponenten auskommt. Dies kann helfen, haptische VR-Erfahrungen auch für breitere Anwenderkreise zugänglich zu machen.
Der Blick in die Zukunft zeigt noch zahlreiche offene Möglichkeiten: So plant das Forscherteam, grundlegende Eingabefunktionen in Shiftly zu implementieren. Damit könnte das Gerät nicht nur haptisches Feedback geben, sondern auch Berührungen und Kraftausübungen des Nutzers erkennen und als Input in virtuelle Welten einspeisen. Die Kombination von Hochtechnologie mit der Kunst des Papierfaltens eröffnet damit einen faszinierenden, neuen Weg für immersive VR-Anwendungen. Shiftly macht deutlich, wie traditionelle Methoden mit modernen Technologien verschmelzen können, um neue Dimensionen des Erlebens zu schaffen. Für VR-Enthusiasten, Entwickler und Designer bedeutet dies einen vielversprechenden Schritt näher an die vollständig immersive virtuelle Umgebung, in der Sehen, Fühlen und Interagieren nahtlos ineinandergreifen.
Die Technik von Shiftly verspricht somit nicht nur in der Unterhaltung, sondern auch in Bildung, Medizin und Industrie spannende Einsatzfelder. Zusammenfassend ist Shiftly weit mehr als nur ein Haptik-Device: Es steht für eine neue Welle innovativer Lösungen, die das Potential von VR maßgeblich erweitern. Mit seiner origamibasierten, dynamischen Formgebung setzt es einen Meilenstein in der Gestaltung nutzerzentrierter, physischer VR-Erlebnisse und ebnet den Weg für die nächste Generation immersiver Technologien.