In einer Ära, in der die Künstliche Intelligenz (KI) alle Lebensbereiche durchdringt, stehen Digitalagenturen an vorderster Front der Veränderung. Die aktuelle Entwicklung hat eine neue Welle von Erwartungen ausgelöst, die in vielerlei Hinsicht an frühere technologische Hypes erinnern. Um die Herausforderungen und Chancen zu verstehen, die auf uns zukommen, lohnt es sich, die Geschichte digitaler Agenturen sowie die Muster technologischer Einschübe näher zu betrachten. Die Phasen technologischer Erwartungen lassen sich gut durch den Gartner Hype Cycle beschreiben. Dabei folgt auf die anfängliche Euphorie oft eine Phase der Ernüchterung, bevor ein nachhaltiges und produktives Niveau erreicht wird.
Digitalagenturen haben diese Zyklen schon mehrfach erlebt, angefangen bei der Einführung des Internets über das Aufkommen von Cloud Computing bis hin zum gegenwärtigen KI-Boom. Zu Beginn der Internetära herrschte die weit verbreitete Annahme, digitale Produkte müssten kostengünstig oder gar kostenlos sein. Dieses Denken beruhte auf der Wahrnehmung, dass digitale Angebote keinen physischen Träger hätten und somit kaum Aufwand erforderlich sei. Anders als bei gedruckten Medien fehlten sichtbare Rohstoffe oder Fertigungsmethoden – die immaterielle Natur führte zur unterschätzten Wertschöpfung hinter Websites und Online-Projekten. Die Komplexität von Recherche, Design, Programmierung und Qualitätssicherung blieb dabei meist unsichtbar.
Zudem wurde Output mit Outcome verwechselt. Viele Unternehmen verstanden „online sein“ als Erfolg, ohne die Bedeutung von Nutzererfahrung, Barrierefreiheit, Performance oder Return on Investment ausreichend zu würdigen. Webseiten, die schnell fertig waren und optisch halbwegs ansprechend wirkten, galten oft schon als guter Standard, was die Qualitätsansprüche einschränkte. Der Mythos der unbegrenzten Skalierbarkeit ohne Kostenaufwand prägte diese Phase ebenso. Die Vorstellung, eine digitale Plattform könne im Handumdrehen Millionen erreichen, ließ viele glauben, dass Skalierung digitaler Dienste günstig sei.
Dabei wurde übersehen, dass auch technische Infrastruktur, Expertenwissen und kontinuierliche Wartung essenziell sind, um eine nachhaltige und leistungsfähige Lösung zu gewährleisten. Mit zunehmender Erfahrung wuchsen Bewusstsein und Respekt für die tatsächlichen Anforderungen digitaler Produkte. Im Anschluss an diesen ersten Hype setzte die Cloud-Technologie einen weiteren Wandel in Bewegung. Die Versprechen, Server würden überflüssig, Wartung entfalle und Skalierbarkeit geschehe unmittelbar, sorgten für eine neue Phase übersteigerter Erwartungen. Allerdings entpuppte sich die Cloud nicht als magische Lösung.
Cloud-Dienste sind in Wahrheit komplexe Werkzeuge, die ein fundiertes Architekturverständnis und kontinuierliche Pflege benötigen. Viele Unternehmen verstanden den Begriff „Cloud“ nur vage als einen digitalen Zufluchtsort, in dem sich Probleme einfach auflösen. Tatsächlich handelt es sich bei Anbietern wie AWS, Azure oder Google Cloud um hochentwickelte Plattformen, die Nutzer mit zahlreichen Bausteinen versorgen – vom Hosting bis zur Sicherheitskonfiguration. Diese müssen jedoch verantwortungsbewusst orchestriert werden, um tatsächlichen Nutzen zu generieren. Das Cloud-Pricing-Modell, das auf nutzungsabhängiger Abrechnung basiert, erzeugte zudem eine trügerische Vorstellung von Kosteneffizienz.
Ohne sorgfältige Konzeption können schnell unerwartet hohe Rechnungen entstehen. Die Wartung und das Troubleshooting komplexer Cloud-Umgebungen sind zudem manchmal noch anspruchsvoller als bei klassischen Infrastrukturen. Die Enttäuschung über unzureichendes Verständnis und fehlende Planung führte langsam zu einem differenzierteren Umgang mit Cloud-Technologien. Analysen zeigen, dass viele Unternehmen verstärkt hybride Ansätze prüfen und mehr Ressourcen in die langfristige Kosten- und Sicherheitsplanung investieren. Damit kehrt ein gewisses Maß an Realismus und Sorgfalt zurück in die Cloud-Strategien.
Gegenwärtig erlebt die Digitalbranche eine dritte technologische „Welle“: Die Künstliche Intelligenz steht im Zentrum zahlreicher Debatten und Hoffnungen. Der Enthusiasmus ist gewaltig. Generative KI wird als Alleskönner gefeiert – als Instrument, das Design, Text, Code, Planung und kreative Prozesse sofort und fehlerfrei übernimmt und dabei Kosten und Aufwand erheblich senkt. Doch auch hier drohen verklärte Vorstellungen und Missverständnisse. Im Kern handelt es sich bei großen Sprachmodellen (Large Language Models, LLMs) um hochentwickelte statistische Systeme, die auf Basis riesiger Datenmengen das wahrscheinlichste nächste Wort oder Element erzeugen.
Sie verfügen nicht über Verstehen, Intention oder echtes Denken. Vielmehr reflektieren sie Muster aus vorhandenem Wissen und erzeugen damit quasi eine Remix-Version vergangener Inhalte. Dieser Charakter macht KI sehr nützlich für unterstützende Anwendungen, etwa bei Brainstormings, Zusammenfassungen oder ersten Gerüsten von Konzepten. Sobald jedoch echte Entscheidungen, komplexe Strategien oder kreatives Neuland gefragt sind, stößt die KI schnell an ihre Grenzen. Sie kann Ambiguität nicht souverän navigieren, Systemzusammenhänge nicht durchdringen, Randfälle nicht berücksichtigen und nicht wirklich Neues schaffen, das exakt zur jeweiligen Marke passt.
Für Digitalagenturen ergibt sich daraus eine doppelte Herausforderung. Zum einen gilt es, die Fähigkeiten und Grenzen der KI gegenüber Kunden transparent zu machen. Es reicht nicht mehr, nur zu erklären, was KI leisten kann, sondern auch deutlich zu machen, was menschliche Expertise unersetzlich macht. Zum anderen verlangt die fortschreitende Integration von KI eine Neuausrichtung des eigenen Handwerks und der Zusammenarbeit über Fachbereiche hinweg. Interessanterweise verlangt das Erkennen der Qualitätsunterschiede zwischen KI-generierten Ergebnissen und menschlichem Expertenwissen gerade eine besonders ausgeprägte Expertise.
Das bedeutet, dass das Wissen und die Urteilsfähigkeit von Fachleuten umso mehr an Wert gewinnen, je stärker KI-Technologien eingesetzt und interpretiert werden müssen. Eine mögliche Gefahr besteht darin, dass mit der zunehmenden Verbreitung automatisierter Tools das Erfahrungswissen und die kritische Reflektion zurückgehen könnten. Trotz aller Unsicherheiten und Herausforderungen ist unstrittig, dass KI die Arbeit digitaler Agenturen künftig massiv verändern wird. Neue Formen der Produktentwicklung, Automatisierung und Personalisierung stehen bevor. Doch wir sind noch auf dem Weg, das volle Potenzial verantwortungsvoll und effizient zu erschließen.
Die Phase der Ernüchterung und der langsamen Etablierung produktiver Methoden wird wohl noch einige Zeit andauern. Bis dahin bleibt für Digitalagenturen vor allem eines wichtig: realistische Erwartungen zu setzen, Kunden ehrlich zu beraten und Qualität durch menschliche Kreativität und Erfahrung zu gewährleisten. Nur so lässt sich vermeiden, dass die Faszination für die Technik in Enttäuschung umschlägt und zugleich die Zukunftsfähigkeit der Branche gesichert wird. Wer diesen Wandel aufmerksam begleitet, erkennt die Chance, an der Spitze einer grundlegenden Umgestaltung zu stehen. Der aktuelle KI-Hype ist mehr als ein weiterer Trend – er ist eine Welle, die das digitale Arbeitsfeld neu formt.
Sich darauf vorzubereiten, bedeutet, nicht nur Technik, sondern auch Kultur und Strategie neu zu denken. Das Rennen ist eröffnet – und noch ist lange nicht klar, wer am Ende gewinnen wird.