Die präzise Diagnose und effektive Behandlung von Krebs gehören zu den größten Herausforderungen der modernen Medizin. Forscher der Virginia Commonwealth University (VCU) haben mit dem TACIT-Algorithmus (Threshold-based Assignment of Cell Types from Multiplexed Imaging Data) einen innovativen Lösungsansatz entwickelt, der in der Lage ist, verschiedene Zelltypen in Gewebeproben schneller und genauer als bisherige Methoden zu identifizieren. Diese technologische Weiterentwicklung birgt großes Potenzial, sowohl die Diagnostik als auch die Auswahl individueller Therapien zu optimieren und somit die Behandlungsergebnisse für Patienten signifikant zu verbessern. Der TACIT-Algorithmus wurde von den Wissenschaftlern Jinze Liu, Ph.D.
, und Kevin Byrd, D.D.S., Ph.D.
, am VCU Massey Comprehensive Cancer Center entwickelt und kürzlich in Nature Communications veröffentlicht. Getragen wird der Erfolg des Algorithmus durch den Einsatz modernster Künstlicher Intelligenz (KI) und der Analyse umfangreicher Multiplex-Bildgebungsdaten, welche Informationen zu Zellmarkern in Gewebeabschnitten enthalten. Mit Hilfe dieser Daten ordnet TACIT Zellen anhand ihrer Markerprofile präzise bestimmten Zelltypen zu – und das innerhalb von Minuten statt wie bisher in mehr als einem Monat. Die Zeitersparnis kann die Forschung und klinische Diagnostik massiv beschleunigen und Ressourcen schonen. Eine besondere Stärke von TACIT liegt in seiner Fähigkeit, aus Millionen von Zellen aus verschiedenen Organen wie Gehirn, Darm oder Speicheldrüsen präzise Zelltypen herauszufiltern.
Dabei übertrifft der Algorithmus bestehende Modelle hinsichtlich Genauigkeit, Skalierbarkeit sowie der Fähigkeit, unterschiedliche Zellpopulationen auch bei limitierten Marker-Sets voneinander zu unterscheiden. Neben der verbesserten Effizienz und Genauigkeit ist auch die Vertrauenswürdigkeit der Ergebnisse ein entscheidender Vorteil: TACIT konnte in Studien starke Übereinstimmung zwischen verschiedenen Testarten wie genetischen und Protein-Analysen zeigen. Dies eröffnet neue Möglichkeiten, diagnostische Aussagen fundierter und damit auch schneller zu treffen. Für Patienten hat diese Technologie das Potenzial, die Diagnosezeiten drastisch zu verkürzen, wodurch eine frühere Behandlung möglich wird. Außerdem kann TACIT helfen, unnötige Behandlungen zu vermeiden, indem es genauere Einblicke in den Krankheitsverlauf liefert.
Für Ärzte und Forscher stellt der Algorithmus eine wichtige Unterstützung dar, um die komplexen räumlichen und molekularen Eigenschaften von Tumorgewebe besser zu verstehen und passgenaue Therapieoptionen auszuwählen. Darüber hinaus zielt TACIT darauf ab, die Entwicklung und Durchführung klinischer Studien zu optimieren. Die Möglichkeit, präzise räumliche Biomarker zu identifizieren, erlaubt eine bessere Vorhersage, wie Patienten auf bestimmte Forschungsmedikamente reagieren werden. Dies steigert die Effizienz klinischer Studien, da nur die Patienten eingeschlossen werden, die mit hoher Wahrscheinlichkeit vom Studienmedikament profitieren. Gleichzeitig wird verhindert, dass Patienten in Studien aufgenommen werden, bei denen der therapeutische Nutzen gering oder ungewiss ist.
Diese patientenzentrierte Herangehensweise fördert nicht nur den medizinischen Fortschritt, sondern schon auch die Ressourcen und ethische Prinzipien der klinischen Forschung. Die Möglichkeit, Patienten spezifisch zuzuordnen, entlastet die Patienten von unnötigen Nebenwirkungen experimenteller Therapien und bietet stattdessen den Zugang zu bereits zugelassenen Arzneimitteln, die besser auf den individuellen Zellstatus abgestimmt sind. So können behandelnde Ärzte auf eine umfassende Datenbank von FDA-zugelassenen Medikamenten zurückgreifen, um gezielt die besten Therapieoptionen anzubieten. Die Anwendungsmöglichkeiten des TACIT-Algorithmus sind bemerkenswert vielseitig. So ermöglicht er nicht nur Verbesserungen im Bereich der Krebsdiagnose, sondern kann theoretisch auf verschiedene Krankheitsbilder und Organsysteme ausgeweitet werden.
Wie die Entwickler selbst sagen, dient TACIT als eine Art „Rosetta-Stein“ für die Integration und Interpretation heterogener Datenquellen aus der räumlichen Biologie. Der Algorithmus kann verschiedene Datentypen, von Proteinen bis hin zu RNA-Makern, harmonisieren und so ein umfassenderes Bild biologischer Zustände liefern. Ein weiterer bedeutender Fortschritt durch TACIT ist die simultane Auswertung von multi-omic Daten an einzelnen Zellen auf einem Gewebeschnitt. Ein Novum gegenüber der früheren Praxis, bei der meistens nur einzelne Omics-Daten separat analysiert wurden. Durch die Kombination von Slide-Proteomik mit Transfer-Proteomik konnten Liu, Byrd und ihre Kollaborateure neue Wege beschreiten, um multiple Marker gleichzeitig zu erfassen und so feinere Einblicke in Zellzustände und Interaktionen zu gewinnen.
Neben den Hauptentwicklern Jinze Liu und Kevin Byrd tragen zahlreiche weitere Wissenschaftler der VCU, aus den Bereichen Public Health, Zahnmedizin und Bioinformatik, zu diesem interdisziplinären Forschungsprojekt bei. Dieses Netzwerk stärkt die Entwicklung nachhaltiger Anwendungen und fördert gleichzeitig den Wissenstransfer zwischen Forschung und klinischer Praxis. Die Entstehung von TACIT markiert einen wichtigen Meilenstein in der Entwicklung digital unterstützter Diagnosesysteme. Insbesondere im Zeitalter der personalisierten Medizin gewinnen datengetriebene Methoden zunehmend an Bedeutung, da sie einen differenzierteren Zugang zur Krankheitserkennung und -behandlung ermöglichen. Durch die Nutzung großer Datensätze und intelligenter Algorithmen wird es möglich, individuelle Unterschiede auf molekularer Ebene besser abzubilden und gezielt therapierende Maßnahmen zu erarbeiten.
Die Auswirkungen sind vielversprechend: schnellere Diagnosen, verbesserte Therapieerfolge, höhere Patientensicherheit und effizientere Forschung. Gleichzeitig eröffnet TACIT neue Horizonte für die Integration von Künstlicher Intelligenz in die medizinische Praxis, indem es traditionelle Laborverfahren ergänzt und aufwertet. In Zukunft dürfte der TACIT-Algorithmus eine noch größere Rolle spielen, wenn immer umfangreichere und vielfältigere Daten aus unterschiedlichen biologischen Ebenen zur Verfügung stehen. Die Forscher sind überzeugt, dass mit wachsender Datenbasis die Leistungsfähigkeit und der Nutzen des Algorithmus weiter wachsen. Die Machbarkeit, gleichzeitig genetische, proteomische und räumliche Marker in einer einheitlichen Analyse zu berücksichtigen, stellt einen Paradigmenwechsel dar, der maßgeblich dazu beiträgt, komplexe Krankheiten wie Krebs besser zu verstehen und klinisch nutzbar zu machen.
Abschließend lässt sich festhalten, dass der TACIT-Algorithmus nicht einfach nur ein weiteres Forschungsergebnis ist, sondern ein interdisziplinäres Werkzeug, das auf Basis von künstlicher Intelligenz die medizinische Diagnostik auf ein neues Level hebt. Durch die Verbindung von fortschrittlicher Computersimulation und tiefgreifenden biologischen Daten wird ein entscheidender Schritt in Richtung maßgeschneiderter Krebstherapien möglich gemacht – ein großer Gewinn für Patienten, Ärzte und die gesamte medizinische Gemeinschaft.