Der rapide Anstieg von fastmodischen Einzelhändlern wie Shein hat nicht nur die Einkaufsgewohnheiten der Konsumenten verändert, sondern auch zu einer Zunahme rechtlicher Auseinandersetzungen geführt. Besonders auffällig ist der Konflikt zwischen Shein und AirWair, der Muttergesellschaft der bekannten Schuhmarke Dr. Martens. Dieser Fall verdeutlicht eindrücklich, wie hartnäckig Unternehmen ihre Markenrechte verteidigen und wie komplex die juristische Bewertung von Markenrechtsverletzungen in einer globalisierten Handelswelt ist. Seit 2020 steht Shein im Fokus einer Klage, die in erster Linie aus Vorwürfen besteht, dass der Fast-Fashion-Gigant Produkte verkauft haben soll, die die Design- und Markenrechte von AirWair verletzen.
AirWair wirft Shein vor, eine Reihe von Schuhmodellen, die den ikonischen Stiefeln von Dr. Martens stark ähneln, ohne entsprechende Lizenz oder Berechtigung auf den Markt gebracht zu haben. Dies führte zu einer scharfen juristischen Auseinandersetzung, in deren Verlauf die beiden Parteien 2022 eine erste Einigung erzielten. Im Zuge dieses Vergleichs verpflichtete sich Shein, den Verkauf bestimmter Produkte einzustellen, eine finanzielle Entschädigung an AirWair zu zahlen und zukünftige Streitigkeiten zunächst außergerichtlich durch ein sogenanntes „Cure“-Verfahren zu regeln. Trotz dieser Einigung berichten Beobachter und das Klägerunternehmen jedoch, dass Shein die Grenzen immer wieder überschreitet.
AirWair sieht sich gezwungen, kontinuierlich sogenannte Takedown-Notices zu versenden, um weitere mutmaßliche Verletzungen der Markenrechte auf Sheins Plattform zu unterbinden. Im November 2024 legte AirWair erneut Klage ein. Diese neue Beschwerde macht deutlich, dass AirWair der Ansicht ist, Shein habe keinerlei Absicht, die Vereinbarungen einzuhalten, und betreibe stattdessen ein regelrechtes „Fangen spielen“ mit dem Kläger, indem Verantwortung für die Einhaltung der Markenrechte quasi an AirWair selbst delegiert würde. Die Vorwürfe reichen dabei über die bloße Verletzung spezifischer Vertragsklauseln hinaus und umfassen auch Vorwürfe wie Markenverwässerung und Verletzungen des guten Glaubens im Vertragsverhältnis. Shein reagierte auf die erhobenen Vorwürfe mit einer detaillierten Klageabweisung, in der das Unternehmen zumindest teilweise Recht bekam.
Sie betonten, dass 28 der angegriffenen Produkte bereits durch das vereinbarte „Cure“-Verfahren geregelt und entsprechend ausgeglichen worden seien. Diese Produkte dürften daher nicht mehr Grundlage für weiterführende Vorwürfe sein. Außerdem wurde von Sheins Seite geltend gemacht, dass AirWair nicht ausreichend Beweise vorgelegt habe, um die Berühmtheit ihrer Marken nachzuweisen, was insbesondere für die Vorwürfe der Markenverwässerung von entscheidender Bedeutung ist. Die Klage enthält zudem den Einwand, dass einige der behaupteten Vertragsverletzungen faktisch Duplikate anderer Vorwürfe seien, was eine weitere juristische Handlung unzulässig mache. Richterin Susan Illston, die den Fall verhandelt, musste in dieser komplexen Situation abwägen und entschied, dass Shein zwar in Teilen recht bekomme, nicht jedoch in allen Punkten.
Insbesondere sprach sie den geklärten und bereits durch das Vergütungsverfahren bereinigten Produkten den Status als Grundlage für weitere Verletzungsklagen ab. Gleichzeitig ließ sie andere Teile der Klage zu, insbesondere jene, die sich auf neuere und noch ungeklärte Vorwürfe beziehen. Dieses Urteil unterstreicht die vielschichtige Dynamik zwischen großen Marken und schnell agierenden Fast-Fashion-Unternehmen. Der Fall wirft grundlegende Fragen darüber auf, wie geistiges Eigentum geschützt, verletzt und gerichtlich durchgesetzt wird. Gerade in der Textil- und Modebranche, die sich durch schnelle Trends und häufige Nachahmungen auszeichnet, wird die Abgrenzung zwischen Inspiration, Nachahmung und Verletzung immer schwieriger.
AirWairs entschlossenes Vorgehen macht deutlich, dass etablierte Marken großen Wert darauf legen, ihre Identität und ihr Design zu schützen. Das gilt nicht nur für die Produkte selbst, sondern auch für die damit verbundenen Markenimages, die über Jahrzehnte hinweg aufgebaut wurden. Gleichzeitig ist festzustellen, dass Unternehmen wie Shein aus ihrer Perspektive in einem sehr wettbewerbsintensiven Umfeld agieren, in dem Geschwindigkeit und Angebotsvielfalt oft Schlüsselelemente des Geschäftsmodells sind. Die juristischen Streitigkeiten um geistiges Eigentum und Markenrechte sind somit auch Zeichen dafür, wie herausfordernd es für die Rechtsprechung ist, mit dem Tempo und der Komplexität moderner Geschäftsmodelle Schritt zu halten. Die Entscheidung des Gerichts, Shein nicht vollständig von der Klage zu entbinden, sendet zudem eine klare Botschaft: Vereinbarungen zum Schutz geistigen Eigentums müssen ernst genommen und eingehalten werden.
Wenn es hier zu Verstößen kommt, stehen die Gerichte bereit, die Rechte der betroffenen Markeninhaber durchzusetzen. Für die bestehenden und potenziellen Kunden von Shein ist der Ausgang dieses Verfahrens ebenfalls von Interesse. Er könnte einen Einfluss darauf haben, welche Produkte auf der Plattform angeboten werden dürfen, und damit auch darauf, wie klar die Linien zwischen Originaldesigns und Nachahmungen gezogen werden. Insgesamt steht der Fall exemplarisch für die Herausforderungen und Entwicklungen in einer Branche, wo Ideen und Designs schnell kopiert werden können, aber ihr Schutz und ihre Durchsetzung sowohl rechtlich als auch praktisch anspruchsvoll bleiben. Es bleibt spannend zu beobachten, wie sich der Rechtsstreit weiterentwickelt und welche Folgen das Urteil für Shein, AirWair und die gesamte Modebranche haben wird.
Die Entscheidung betont auch, dass die Gerichtsbarkeit eine entscheidende Rolle dabei spielt, das Gleichgewicht zwischen Innovation, Wettbewerb und Schutz geistigen Eigentums wettbewerbsfördernd zu gestalten. In einer Zeit, in der digitale Plattformen und globale Lieferketten immer dominanter werden, sind klare Regeln und ihre konsequente Anwendung entscheidend, um Gerechtigkeit zu schaffen und faire Marktbedingungen sicherzustellen. Sheins Kampf gegen die Vorwürfe von AirWair ist damit nicht nur eine juristische Auseinandersetzung, sondern spiegelt die anhaltenden Spannungen wider, die mit der Globalisierung, Digitalisierung und dem zunehmenden Wettbewerb im Modehandel verbunden sind.