In der Welt der Videospiele gibt es zahlreiche urbane Legenden und Mythen, doch kaum eine hat so große Beachtung und Faszination ausgelöst wie die Geschichte von Ben Drowned. Diese Legende dreht sich um eine angeblich verfluchte Nintendo 64-Spielkartridge der Kultreihe "The Legend of Zelda: Majora's Mask" – einem der düstersten und atmosphärisch dichtesten Spiele seiner Zeit. Die Geschichte mischt technische Pannen, unheimliche Ereignisse und das Übernatürliche auf einzigartige Weise und hat sich seit ihrer Entstehung zu einem festen Bestandteil der Gaming-Kultur entwickelt. Doch was steckt wirklich dahinter? Und warum konnte gerade eine „verfluchte“ Spielkartridge so viel Furcht, aber auch Begeisterung auslösen? Das Phänomen begann im Jahr 2010, als ein College-Student namens Alex Hall unter dem Pseudonym Jadusable eine Reihe von Postings in einem Internetforum veröffentlichte, die eine düstere und verstörende Geschichte erzählten. Hall hatte auf einem Flohmarkt eine vermeintlich merkwürdige Version von Majora's Mask erstanden.
Anstatt eines typischen Spiel-Labels war auf der Kartusche nur mit Filzstift „Majora“ geschrieben. Sein Bericht schilderte ungewöhnliche Fehler im Spiel – verzerrte Grafiken, rückwärts abgespielte Musik und am stärksten beunruhigend, eine Statue der Spielfigur Link mit einem schaurigen, versteinerten Gesichtsausdruck, die plötzlich und unerwartet im Spiel auftauchte. Diese Erscheinung wirkte wie ein bösartiger Geist, der die Spielwelt heimsuchte. Eine weitere zentrale Komponente der Geschichte war der vermeintliche Ursprung der Kartridge – ein Junge namens Ben, der in einem Unfall ertrunken sei und dessen Geist angeblich das Spiel infiziert habe. Über Wochen hinweg dokumentierte Hall seine Erfahrungen in langen Forumseinträgen und ergänzte sie mit bearbeiteten Videosequenzen, die die angeblichen paranormalen Ereignisse im Spiel zeigten.
Das Ganze wirkte wie ein interaktives Horror-Märchen, das die Grenze zwischen Realität und Fiktion verschwimmen ließ. Die Story wurde rasch zu einem Internet-Phänomen, zog Millionen von Zuschauern an und hinterließ besonders bei jüngeren Spielern bleibende Eindrücke. Die Attraktivität von Ben Drowned liegt neben der unheimlichen Story vor allem darin, dass die Plattform Videospiel selbst zum Medium und zur Kulisse für den Horror wurde. Während klassische Horrorfilme oder Bücher eher von unerklärlichen Kräften in einer physischen Welt erzählen, verschob sich hier die Schreckensquelle in die digitale Welt. Majora's Mask, das ohnehin ein ungewöhnliches Spiel mit düsteren Themen wie Tod, Verlust und Apokalypse ist, bot sich als perfekte Grundlage für eine solche Geschichte an.
Die manipulierbaren Dateien und das modifizierbare Spielgeschehen machten das Gespenst der digitalen Kartridgemythologie besonders glaubhaft. Ben Drowned symbolisiert zugleich eine neue Art von Gruselgeschichten, die speziell auf gamer-nahe Erfahrungen abzielen. In den 2000er Jahren entwickelten sich sogenannte "Creepypastas" – kurze, gruselige Geschichten, die sich im Internet verbreiteten und durch ihre interaktive und oft mehrteilige Erzählweise eine intensive Bindung zu ihrer Leserschaft aufbauten. Die Erzählung rund um Ben Drowned gilt heute als einer der bekanntesten Vertreter dieses Genres und hat zahlreiche Spinoffs und Nachahmer hervorgebracht. Die Geschichte spielt auch mit der Angst vor digitalen Technologien, die uns umgeben und die Kontrolle über unser Leben zu übernehmen scheinen.
Für viele Leser und Zuschauer reichte der Horror nicht nur auf die fiktive Ebene. Es wird von Personen berichtet, die aufgrund von Ben Drowned und den zahlreichen Videos und Forentexten echte Angstzustände und Panikattacken entwickelten. Die Nähe zur Kindheitserinnerung an Majora's Mask, kombiniert mit einer atmosphärisch dichten und von Hall meisterhaft erzählten Geschichte, führte zu einem nachhaltigen psychologischen Eindruck. Einige Betroffene berichteten sogar, das Gefühl zu haben, die Präsenz von „Ben“ könne sich auch auf reale Menschen übertragen, ein Gefühl, das einer klassischen Geistergeschichte sehr nahekommt. Die Legende um Ben Drowned beleuchtet zudem, wie Nostalgie und technischer Fortschritt zusammenwirken.
Die technischen Eigenheiten älterer Spielkonsolen mit ihren oft ruckeligen, aber charmanten 3D-Grafiken der Nintendo 64 Zeit geben kreativen Köpfen Raum, diese altersbedingten „Fehler“ als mächtige Narrativelemente zu nutzen. Das Gefühl von Unvollkommenheit bei Spielen dieser Generation erzeugt eine Atmosphäre, in der ein „Hauch von Grusel“ besonders gut funktioniert. Aus mediensoziologischer Sicht kann Ben Drowned noch tiefer verstanden werden. Die Geschichte artikuliert Ängste über die sich wandelnde Beziehung zwischen Mensch und Technologie. Während früher eine Videospielkonsole lediglich Spielzeug war, wurde sie durch Geschichten wie diese zu einem „lebendigen“ Medium, das den Spieler sogar bedrohen kann.
Der digitale Geist „Ben“ wird dabei zum Symbol für unkontrollierbare Kräfte, die sich über scheinbar harmlose Medien in unser Leben einschleichen können. Das erweckt tief verwurzelte Ängste von Kontrollverlust und der Unsicherheit gegenüber neuen, nicht vollständig verständlichen Technologien. Die Faszination an Ben Drowned wirkt außerdem generationenübergreifend. Jugendliche und junge Erwachsene entdeckten im Internet eine gemeinsame Erfahrung, die weit über das bloße Spielen hinausging. Die Geschichte diente als sozialer Katalysator, der Verbundenheit erzeugte.
Sich mit der Legende auseinanderzusetzen bedeutete auch, ein Stück digitaler Popkultur zu verstehen und Teil einer Community zu sein, die sich für geheimnisvolle Phänomene und nostalgische Medien begeistern konnte. Die Auswirkung der Legende lässt sich nicht nur auf die Gaming-Sphäre beschränken. Kreative Projekte wie die YouTube-Reihe Petscop, die eine fiktionale, düstere PlayStation-Game-Welt schildert, oder sogar Gerüchte über Geister in Minecraft sind direkte Nachfahren der Mythos-Tradition, die Ben Drowned auf eine neue Ebene gehoben hat. Darüber hinaus hat die Legende zu Diskussionen über die Verbreitung von Horror im digitalen Zeitalter beigetragen, bei denen traditionelle Ängste mit modernen Technologien und Medien verknüpft werden. Der Ersteller Alex Hall selbst reflektiert heute über seine Arbeit und die ungeahnten Konsequenzen.
Während er ursprünglich eine beeindruckende und fesselnde Geschichte erzählen wollte, hat er auch das Verantwortungsbewusstsein, nicht unnötig Angst zu schüren. Er hat mittlerweile weitere Projekte gestartet, in denen er ähnliche Spielwelten modifiziert und erzählerische Erfahrungen schafft. Das Interesse an versteckten Geschichten in Spielen, an Geheimnissen und ungelösten Rätseln bleibt ein zentraler Motor für seine Kreativität. In der Rückschau zeigt die Ben Drowned Legende exemplarisch, wie digitale Medien nicht nur Unterhaltung bieten, sondern auch kulturelle Erinnerungen und kollektive Ängste ausdrücken können. Während das Medium Videospiele sich weiterentwickelt hat und heute sehr realistische und komplexe Welten bietet, bleibt das Bedürfnis nach Geschichten, die unsere tiefsten Emotionen und Sehnsüchte ansprechen, erhalten.
Interviews und Berichte von Menschen, die als Kinder oder Jugendliche von Ben Drowned berührt wurden, zeigen, wie prägend solche Erzählungen sein können – über den bloßen Nervenkitzel hinausgehend. Angesichts der heutigen Bedrohungen durch Cyberkriminalität, Viren und digitale Manipulation wirkt der Geist von Ben Drowned fast wie ein Vorbote unserer Zeit. Die reale Gefahr von Malware und Hackerangriffen hat den Geist der Legende in eine neue Perspektive gerückt. Die Angst, dass unser technisches Umfeld uns kontrolliert oder Schaden zufügt, ist längst keine Fiktion mehr, sondern eine greifbare Realität. Doch gerade durch die Verklärung zu einer schaurigen Geistergeschichte kann diese Angst besser verdaulich gemacht und diskutiert werden.
Abschließend bleibt Ben Drowned ein faszinierendes Beispiel dafür, wie Mythos, Technologie und Kultur ineinandergreifen können. Die dunkle, gespenstische Kartridge ist zu einem Symbol geworden, das weit über das einstige Nischenspiel Majora's Mask hinausweist. Sie erzählt eine Geschichte über unsere Ängste, unsere Erinnerungen und die Macht der digitalen Welt. Wer sich heute in die Geschichte vertieft, erlebt nicht nur ein Stück Internetgeschichte, sondern auch ein emotionales Abenteuer, das die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verblassen lässt – und entfacht so immer wieder aufs Neue die Frage nach dem „Gespenst in der Maschine“.