Die Suche nach Wasser auf dem Mars hat Wissenschaftler seit Jahrzehnten fasziniert. Besonders die dunklen Streifen, die auf steilen Marsabhängen sichtbar sind, wurden lange Zeit als Hinweis auf flüssiges Wasser oder Salzlösungen interpretiert. Diese sogenannten „Slope Streaks“ (Hangstreifen) haben das Bild eines möglicherweise bewohnbaren Mars maßgeblich beeinflusst. Doch aktuelle Studien haben diese Annahmen jetzt grundlegend in Frage gestellt. Die neuesten Untersuchungen mit globaler Datenauswertung und modernster Künstlicher Intelligenz zeigen, dass diese Marsstreifen trocken und durch Staubbewegungen verursacht sind – ohne dass flüssiges Wasser beteiligt sein muss.
Die bemerkenswerte Beobachtung der Slope Streaks begann bereits in den 1970er Jahren mit den ersten Orbiter-Bildern. Diese dunklen Linien tauchen plötzlich auf und verblassen über Jahre bis Jahrzehnte hinweg. Lange Zeit wurde diskutiert, ob sie aus Flüssigkeiten wie Salzwasserbrinen entstehen könnten oder ob rein trockene Mechanismen verantwortlich sind. Denn das Auftreten von Wasser hätte enorme Auswirkungen auf Theorie und Praxis der Marsforschung, insbesondere bezüglich der Frage nach Leben und der Planung zukünftiger Missionen. Eine umfassende Studie, die auf Bilddaten des Mars Reconnaissance Orbiters basiert und mit Hilfe eines tief lernenden neuronalen Netzes mehr als eine halbe Million individuelle Hangstreifen weltweit katalogisiert hat, liefert nun belastbare Beweise für eine trockene Entstehung.
Die Forscher konnten damit erstmalig eine durchgängig konsistente globale Analyse der Muster, Häufigkeiten und Verteilungen dieser Streifen durchführen. Dabei zeigte sich, dass die Streifen lediglich weniger als 0,1 % der Marsoberfläche bedecken, aber dennoch eine wichtige Rolle im marstypischen Staubkreislauf zu spielen scheinen. Denn trotz ihrer geringen Fläche transportieren diese Streifen jährlich Staubmengen, die mit den Staubmengen ganzer globaler Staubstürme vergleichbar sind. Die saisonale Ablagerung von Staub und energetische Auslöser wie Wind oder Meteoriteneinschläge scheinen die Hauptfaktoren für die Bildung der Slope Streaks zu sein. Räumlich sind die dunkel gefärbten Streifen vor allem in Regionen mit besonders feinem Staub, hoher Albedo und bestimmten mineralogischen Eigenschaften zu finden.
Diese Areale liegen zumeist in Äquatornähe südlich bis nördlich des Marsäquators, auf relativ niedrigen Höhen und steileren Hängen. Die Tatsache, dass sie auf Staub mit hohem Anteil an nanophaseisenhaltigen Ferrioxiden auftreten, unterstützt die These, dass physikalische Ablösungsprozesse von feinem Oberflächenmaterial statt feuchter Massenbewegungen den Effekt erklären. Interessanterweise lassen sich keine bevorzugten Hangrichtungen der Streifen erkennen, was eine wichtige Rolle spielt, um Hypothesen einer Bildung durch Frost oder schmelzende Salzwasserströme zu widerlegen. Zudem widersprechen die beobachteten saisonalen Formationszeiten mit höherer Aktivität im nordhemisphärischen Herbst und Winter den Zeitfenstern, in denen flüssiges Wasser stabil sein könnte. Ein weiterer Beleg gegen wässrige Prozesse sind die fehlenden Spuren von Wasserhydratation oder chemischer Veränderung an den Stellen der Streifen, trotz genauerer Analysen mittels Spektrometern an Bord anderer Marsorbiter.
Obwohl die Gebiete der Hangstreifen leicht erhöhte Werte von oberflächennahem Wasserstoff oder Wasserdampf zeigen, ist dies nicht direkt mit der Bildung der Streifen verknüpft und lautet eher als passive Korrelation zu interpretieren. Ein besonders spannender Aspekt der Studie ist die Korrelation zwischen den Streifen und Impakt-Ereignissen. Dort, wo neue Einschläge registriert werden, finden sich gehäuft frisch entstandene Hangstreifen, was darauf hindeutet, dass die durch Einschläge ausgelösten Vibrationen oder die plötzliche Veränderung der Staub- und Schuttbedeckung auf den Hängen das Auslösen von Staublawinen oder trockenen Staubbewegungen bewirken. Dem gegenüber steht die fast vollständige Abwesenheit von Hangstreifen in Gebieten, in denen Staubteufel aktiv sind. Diese Staubteufel tragen zwar selbst massiv zum Staubtransport bei, scheinen aber eher die Oberfläche von Staub zu reinigen, wodurch die Bedingungen für das Entstehen der Slope Streaks erschwert werden.
Dies führt zu einer klaren räumlichen Trennung zwischen den Vorkommen der verschiedenen Staubphänomene. Das Zusammenspiel dieser Erkenntnisse verdeutlicht, dass das Marsklima und seine Oberflächenprozesse nach wie vor von extrem trockenen Bedingungen gekennzeichnet sind. Die lange gehegte Hoffnung, die Hangstreifen als Zeichen für gegenwärtig fliessendes Wasser interpretieren zu können, wird damit deutlich eingeschränkt. Vielmehr unterstützen die vorliegenden Daten ein Szenario, in dem Staubablagerungen, lokale Windverhältnisse und geologische Auslöser wie Meteoriteneinschläge oder mögliche Marsbeben einen trockenen, aber dynamischen Oberflächenprozess steuern. Diese neue Sichtweise hat wichtige Folgen für die Planung zukünftiger Marsmissionen und die Bewertung möglicher Habitabilität des Planeten.
Fehlt flüssiges Wasser als direkter Faktor, ist das Risiko einer Kontamination mit erdlichen Mikroorganismen bei Landungen in diesen Regionen geringer als zuvor angenommen. Die Lockerung der bisher strengeren Planetenschutzmaßnahmen in diesen Gebieten könnte Raumfahrtagenturen helfen, effizienter zu forschen und neue Missionen leichter zu planen ohne strukturelle Hindernisse. Die Anwendung moderner KI-Technologien für das automatische Erkennen und Klassifizieren von Oberflächenmerkmalen hat zudem eine neue Ära der Planetenforschung eingeleitet. Der Einsatz neuronaler Netze bei der Auswertung großer Bildmengen ermöglicht der Wissenschaft, für Mars typische Merkmale zuverlässig und global abzubilden und belastbare statistische Auswertungen bei gleichzeitig hoher räumlicher Auflösung vorzunehmen. Dieses Potenzial wird zukünftig noch weiter ausgeschöpft und dürfte unser Verständnis des Mars grundlegend vertiefen.
Zusammenfassend zeigt die globale Analyse der Marsabhänge, dass die Slope Streaks trocken entstehen und hauptsächlich durch Staubablagerung und -bewegung verursacht werden. Flüssiges Wasser oder Salzlösungen spielen bei deren Entstehung keine wesentliche Rolle. Dies erklärt die Verteilung der Streifen, ihre saisonalen Bildungshäufigkeiten und die beobachteten physikalischen und chemischen Eigenschaften. Die Ergebnisse unterstreichen die trockene, wüstenhafte Natur des heutigen Mars und erweitern das Wissen über den marstypischen Staubkreislauf. Nicht zuletzt fordert diese Erkenntnis die Wissenschaft heraus, die Prozesse der Marsoberfläche neu zu denken und zu differenzieren.
Während früher viele Konzepte von Wasser als primärem Auslöser für geomorphologische Veränderungen ausgingen, zeigt sich nun, dass trockenes Staubverhalten und physikalische Ablagerungen eine zentrale Rolle spielen. Dies könnte auch für andere Merkmale auf dem Planeten gelten und sollte in zukünftigen Missionen und Studien verstärkt berücksichtigt werden. Die Arbeit an diesem Thema demonstriert eindrücklich, wie interdisziplinäre Ansätze aus Geowissenschaft, Astrophysik, Computervisualistik und künstlicher Intelligenz innovative Erkenntnisse ermöglichen und die Wahrnehmung eines Planeten komplett verändern können. Mit jeder neuen Generation von Daten und Analysewerkzeugen rückt Mars als komplexer, dynamischer und faszinierender Ort im Sonnensystem stärker ins Blickfeld und lockt mit immer neuen Fragen zur Natur seiner Oberfläche und seiner Geschichte.