Die Idee, eine dezentralisierte Version der Nasdaq zu erschaffen, ist längst kein futuristischer Traum mehr, sondern ein ehrgeiziges Ziel, an dem Entwickler, Blockchain-Forscher und Investoren weltweit arbeiten. Im Zentrum dieses Bestrebens steht die Blockchain-Plattform Solana, die von Anfang an mit dem Anspruch konzipiert wurde, eine Infrastruktur bereitzustellen, die schnell genug und kostengünstig genug ist, um ein zentrales Limit-Order-Buch, wie man es von klassischen Börsen kennt, direkt auf der Blockchain abzubilden. Nach mehr als fünf Jahren Erfahrung mit dem Mainnet läuft die Erkenntnis jedoch auf eine zentrale Tatsache hinaus: Die vorhandenen Blockchain-Architekturen sind nicht dafür gemacht, den komplexen Anforderungen des Börsenhandels gerecht zu werden. Um die ursprüngliche Vision zu erfüllen, ist deshalb ein grundlegend neues Design von Konsensmechanismen sowie der gesamten Netzwerkarchitektur nötig. Der Begriff „dezentrale Nasdaq“ bedeutet mehr, als nur eine Blockchain-basierte Handelsplattform zu etablieren.
Er steht für die Fähigkeit, Preise und Handelsergebnisse zu liefern, die nicht nur mit ihren zentralisierten Pendants mithalten, sondern diese in Sachen Kosteneffizienz und Geschwindigkeit sogar verbessern können. Im Börsenwesen messen Marktteilnehmer die Qualität von Preisen vor allem an der sogenannten „Spanne“, dem Unterschied zwischen dem Höchstgebot eines Käufers und dem niedrigsten Verkaufsangebot. Je enger diese Spanne, desto besser sind die Handelskonditionen für alle Beteiligten und desto effizienter funktioniert der Markt. Dennoch stellen sich gerade bei dezentralen Systemen besondere Herausforderungen, die diese Preisspannen beeinflussen. Zentrale Marktteilnehmer wie Market Maker spielen dabei eine Schlüsselrolle.
Sie stellen Kauf- und Verkaufsangebote, um Liquidität sicherzustellen. Doch sie befinden sich ständig im Wettstreit mit informierten Tradern, die bewusst oder unbewusst von Preissprüngen und Informationen profitieren möchten, die Market Maker ausgeblendet haben. Dieses Phänomen wird als „adverse selection“ bezeichnet und führt dazu, dass Market Maker potenziell hohe Verluste erleiden, wenn sich der „faire“ Preis eines Vermögenswertes plötzlich ändert. Die Folge: Market Maker erhöhen ihre Spannen, um sich gegen diese Risiken abzusichern, was wiederum den Handel verteuert. Eine der Hauptursachen für die hohen Kosten der adversen Selektion liegt in der zeitlichen Verzögerung zwischen der Preisänderung und der Möglichkeit für Market Maker, ihre offenen Aufträge am Markt zu stornieren.
Diese Verzögerung bietet informierten Tradern einen entscheidenden Wettkampf-Vorteil, der ihnen erlaubt, sogenannte „Sniping“-Strategien anzuwenden und so Marktteilnehmern mit weniger Informationen Geld abzujagen. Daten aus zentralisierten Börsen zeigen, dass Market Maker nur in etwa 13 Prozent der Fälle die Eiligerrolle beim Stornieren von Orders gewinnen. Auf der Solana-Blockchain sieht die Lage allerdings noch deutlich pessimistischere aus. Der sogenannte Jito-Auktionierungsmechanismus, der durch eine zentrale Vorschlagsrolle geprägt ist und einer einzigen Partei den kontrollierten Zugriff auf den Zustand über eine längere Periode gestattet, benachteiligt Market Maker beim Kampf gegen das Snipe-Verhalten noch stärker. Market Maker stehen dadurch vor einer schwierigen Wahl: Entweder sie zahlen hohe Gebühren, um ihre Aufträge zu stornieren, oder sie lassen andere dafür bezahlen, sie auszunutzen.
Diese Situation führt unweigerlich zu größeren Spannen und einer weniger effizienten Preisbildung. Die Lösung erfordert eine grundsätzliche Umgestaltung der Art und Weise, wie Transaktionen auf der Blockchain geordnet und validiert werden. Das klassische Modell mit einem einzelnen sogenannten „Leader“ oder Blockvorschlagsrecht, welcher alle Transaktionen in einer festen Reihenfolge bestimmt, verweigert den Marktteilnehmern momentan die Flexibilität, Vorgänge wie Stornierungen vorrangig zu behandeln. Eine wichtige Maßnahme wäre die systematische Einführung einer „Cancels before takes“-Regel, die sicherstellt, dass alle Stornierungen vor neuen Handelsannahmen verarbeitet werden, um den Market Makern den nötigen zeitlichen Vorsprung zu gewähren. Doch alleine eine Änderung der Transaktionsordnung würde das zentrale Problem nicht beheben.
Der obligatorische Flaschenhals eines einzelnen Leaders würde weiterhin die Möglichkeit des Zensors zulassen, Stornierungen zu ignorieren oder in Nachteil zu bringen. Die entscheidende Innovation besteht vielmehr darin, sogenannte mehrere gleichzeitige Leader einzuführen. Das bedeutet, dass verschiedene unabhängige Akteure parallel Blöcke erzeugen und Vorschläge einreichen können. So kann die Macht nicht mehr von einem einzelnen Leader monopolisiert oder missbraucht werden, da Marktteilnehmer bei Zensur immer noch auf alternative Leader ausweichen können. Das technische Herzstück beim Umgang mit mehreren konkurrierenden Leadern ist die Zusammenführung ihrer parallelen Blöcke.
Hierbei kommen zwei Arten von Transaktionsgebühren zum Einsatz: Inclusion Fees, die an die Validatoren gehen, die Transaktionen in ihren Blöcken aufnehmen, und Ordering Fees, die an das Protokoll gehen und letztlich verbrannt werden, um eine fees-basierte Reihenfolge über alle Blöcke hinweg zu etablieren. Durch die Kombination aller Transaktionen über alle konkurrierenden Blöcke werden Konflikte durch eine einheitliche Gebührenlogik gereiht und bearbeitet. Zusätzlich bietet das neue System mit der sogenannten syscall get_transaction_metadata den Anwendungen die Möglichkeit, auf die Höhe der Ordering Fees zuzugreifen, was ihnen eine maßgeschneiderte Steuerung ihrer Prioritäten in der Reihenfolge ermöglicht. Das Resultat ist eine höhere Flexibilität für Anwendungen, ihre Handelsstrategien effizient umzusetzen. Gefordert ist außerdem eine Konsensarchitektur, die ganz neue Prinzipien verfolgt, um Gleichzeitigkeit und Fairness sicherzustellen.
Wichtig sind hier zwei Eigenschaften: Zum einen müssen concurrent leaders an das sogenannte Binding & Blinding gebunden sein, was bedeutet, dass sie keine Informationen aus den Blöcken anderer Leader kopieren oder auf diese reagieren dürfen. Dies verhindert beispielsweise, dass private Transaktionen zwischen zwei konkurrierenden Blöcken verspätet eingeschoben oder vernichtet werden. Zum anderen soll eine Wallclock Fairness gewahrt werden, sodass konkurrierende Blöcke zur selben realen Zeit produziert und verteilt werden, was die Chancengleichheit im Wettbewerb um die Reihenfolge der Transaktionen fördert. Die Umsetzung erfolgt beispielsweise über ein System aus erasure coded shreds – sogenannten Datenfragmenten – die von den Leadern erzeugt und über ein Relay-Netzwerk verteilt werden. Die Knoten im Netzwerk sammeln diese Fragmente ein und senden Bestätigungen („IHAVE“-Nachrichten) an den Konsensleader.
Der Konsensleader erstellt daraus einen Block, der eine ausreichende Anzahl von Bestätigungen enthält und startet die finale Einigung durch Validatoren. Dieses Konzept sorgt mit hoher Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Blöcke der verschiedenen Leader inhaltlich und zeitlich fair behandelt werden und gleichzeitig die Möglichkeit zur Zensur stark eingeschränkt wird. Die Vision von Solana, eine dezentrale Börse aufzubauen, die mit der Nasdaq konkurrieren kann, erfordert also mehr als nur Geschwindigkeit und niedrige Gebühren. Sie setzt auf eine radikale Neuinterpretation von Blockchain-Protokollen, die flexible Transaktionsreihenfolgen, mehrere parallele Blockproduzenten und ein innovatives Konsensverfahren miteinander verbinden. Nur so können Märkte entstehen, die bessere Preise mit engeren Spreads bieten, wodurch Händler und Investoren letztlich profitieren.
Die Entwicklung hin zu einer echten dezentralen Nasdaq markiert einen bedeutenden Schritt in der Evolution von Finanzmärkten und Blockchain-Technologie. Mit der Überwindung der strukturellen Hindernisse bei der Verarbeitung von Handelsaufträgen bringt Solana eine Plattform hervor, die nicht nur technologische Grenzen verschiebt, sondern auch Handelsprozesse demokratisiert. Wenn solche Lösungen sich im breiten Markt durchsetzen, ermöglicht das die Öffnung von Kapitalmärkten auf bisher ungekannte Weise, hinweg von der zentralisierten Kontrolle großer Institutionen. Dieser Weg bleibt allerdings komplex und herausfordernd. Selbst bei den präsentierten Fortschritten sind noch Feinjustierungen und weitere Innovationen nötig, um eine vollständige Funktionsfähigkeit und Skalierbarkeit zu erreichen.