Die Geschichte der US Navy ist durchzogen von zahlreichen Brüchen und Neuerungen, doch eine der bemerkenswertesten Veränderungen war der volle Verzicht auf Alkohol an Bord ihrer Schiffe und die überraschende Einführung von Eiscreme als Ersatz. Im Jahr 1914 erließ Josephus Daniels, damals US-Marineminister, die so genannte „General Order 99“, die den Konsum und die Einführung alkoholischer Getränke auf sämtlichen Schiffen, Marinehäfen und Werften der US Navy verbot. Dieses historische Dekret markierte das Ende der langen Tradition des Rumrationen und eines sonst allgegenwärtigen Alkoholgenusses in der Marine. Schon knapp 50 Jahre zuvor, 1862, hatte die Navy die Rumrationen schrittweise eingeschränkt, bis mit General Order 99 der vollständige Verzicht durchgesetzt wurde. Diese Entscheidung fiel nicht nur aus Disziplinierungsgründen oder wegen Sicherheitsüberlegungen, sondern auch wegen zunehmend gesellschaftlicher und politischer Veränderungen in den USA, die ihren Höhepunkt wenige Jahre später in der landesweiten Prohibition fanden.
Die Prohibition, die von 1920 bis 1933 die Herstellung, den Verkauf und den Transport von alkoholischen Getränken im gesamten amerikanischen Staatsgebiet untersagte, nahm die Schritte der US Navy vorweg. Während dieser Zeit verstärkten sich nicht nur die regulativen Maßnahmen gegen Alkohol, sondern amerikanische Brauereien und Getränkehersteller suchten nach neuen Geschäftszweigen. Viele Betriebe wie Yuengling oder Anheuser-Busch stellten ihre Produktion auf kohlensäurehaltige Süßgetränke und vor allem Eiscreme um. Dies führte zu einem überraschenden Höhepunkt im Konsum von Eiscreme in den USA: Ende der 1920er Jahre erreichte der tägliche Verbrauch mehr als eine Million Gallonen. Eiscreme wurde zu einem Symbol für Genuss und Geselligkeit, ein süßer Trost in der durstigen Zeit ohne Alkohol.
In der US Navy war die Aufnahme von Eiscreme nicht nur ein süßer Ausgleich für den Entzug alkoholischer Getränke, sondern entwickelte sich zu einem wichtigen psychologischen Element. Besonders im Zweiten Weltkrieg, als die psychische Belastung der Seeleute enorm war, wurde Eiscreme nahezu zu einem Grundnahrungsmittel an Bord der Schiffe. Die Navy ging sogar so weit, dass sie eigens spezielle schwimmende Fabriken – die sogenannten Eiscreme-Barschen – in der Pazifikregion einsetzte. Diese umgerüsteten, überwiegend aus Beton bestehenden Lastkähne konnten in raschem Tempo große Mengen Eiscreme produzieren und lagerten tausende Gallonen des erfrischenden Desserts. Von hier wurden die Süßigkeiten auf kleinere Versorgungsschiffe verteilt und gelangten so auf nahezu alle Kriegsschiffe im Pazifik.
Erzählungen von Matrosen, die solche Eiscremelieferungen erlebten, sind zahlreich und fassen den emotionalen Wert dieses Angebots zusammen. Ein Beispiel aus dem Jahr 1942 gibt die legendäre Episode des Flugzeugträgers U.S.S. Lexington, der nach einem japanischen Torpedoangriff zu sinken begann.
Das Schiff war verloren, die Besatzung musste evakuieren. Doch vorher brach die Mannschaft noch in die Gefrierschränke ein und aß das gesamte Eiscremelager auf. Die Soldaten gingen sogar so weit, dass sie Eiscreme in ihren Helmen aufbewahrten, um sie auf dem Weg ins Meer zu schlecken. Diese Anekdote zeigt eindrücklich, wie sehr Eiscreme in kritischen Momenten als Trostspender und Mutmacher diente. Neben der allgegenwärtigen Verteilung an die gesamte Crew entwickelte die US Navy auch ein spezielles Belohnungssystem rund um Eiscreme.
Während der Zeit der Alkoholrationierung war es üblich, bei Erfolgen und besonderen Leistungen eine „Tot“ Rum als Auszeichnung auszugeben. Doch nachdem die Promille aus der Alltagsroutine verbannt wurden, ersetzten Eiscremeportionen diese Belohnungen. Insbesondere die Piloten, die im Pazifik im Gefecht abgeschossene Kameraden retteten, erhielten als Anerkennung mehrere Gallonen Eiscreme. Diese Tradition führte sogar zu humorvollen Sprüchen unter den Soldaten, die spaßhalber vorschlugen, „einen Piloten abzuschießen“, um ihre Eiscremeration zu erhöhen. Die Bedeutung der Eiscreme für die Stimmung an Bord konnte kaum überschätzt werden.
Sie zeigte, wie alltägliche Güter, die auf den ersten Blick banale Rolle spielen, sich zu wichtigen Elementen der psychischen Stärke und Kameradschaft entwickeln können. Während die Navy psychologisch in erster Linie von einem regelmäßigen und geregelten Verbot des Alkohols profitierte, wurde das Eiscreme-Angebot zu einer süßen Kompensation, die den Seeleuten Trost und ein Stück Normalität inmitten von Krieg und Härte bot. Doch die Geschichte des Eiscremekonsums in der US Navy ist nicht nur eine Geschichte über Moral und Ersatz, sondern auch ein Spiegel gesellschaftlicher Umbrüche und Innovationen. Die teilweise massive Umstellung der Lebensmittelproduktion in den USA während der Prohibition, verbunden mit der Entwicklung von Eiscreme als Massenprodukt, zeigt, wie wirtschaftlicher und sozialer Wandel weitreichende Folgen hatte. Die Navy profitierte von dieser industriellen Wende und konnte so die psychologische Belastung der Soldaten zumindest teilweise abmindern.
Darüber hinaus birgt die Ersetzung von Alkohol durch Eiscreme eine symbolträchtige Veränderung im Umgang mit Disziplin und Wohlbefinden. Wo früher ein Glas Rum für Mut und Gemeinschaft stand, reichte später eine Schüssel Eiscreme, um ähnliche soziale Funktionen zu erfüllen. Eiscreme wurde somit zum Symbol für einen moderneren, gesundheitsbewussteren und dennoch gemeinschaftsstiftenden Lebensstil in der Marine. Die Geschichte zeigt, dass Genuss nicht zwingend mit Alkohol verbunden sein muss, sondern sich auf vielfältige, oftmals unerwartete Weise ausdrücken lässt. Interessanterweise blieben Eiscreme und ihre Rolle in der Navy auch nach dem Ende der landesweiten Prohibition im Fokus.
Die US Navy verzichtete weiterhin freiwillig auf den Alkoholgenuss an Bord, lange nachdem das Verbot aufgehoben wurde. Das schleichende Ende der Alkoholrationen und der Ersatz durch Eiscreme spiegeln den Wunsch wider, Sicherheit und Ordnung auf den Schiffen zu gewährleisten, ohne die moralische Unterstützung für die Mannschaft zu verlieren. Es ist eine Geschichte vom Wechsel der Zeiten, von gesellschaftlichem Fortkommen und der Suche nach neuen Wegen, Menschen zu motivieren und zu trösten. Die Tradition, Eiscreme als Belohnung und Zuflucht anzuerkennen, hat bis heute ihren Platz in der maritimen Kultur. Sie hat Eingang gefunden in Erinnerungen ehemaliger Seeleute, Überlieferungen und sogar in die populäre Kultur.
Die süße Alternative zum Rausch bleibt ein faszinierendes Beispiel dafür, wie ein einfaches Lebensmittel zu einem wichtigen Bestandteil militärischer Mentalstabilisierung werdend kann. Damit zeigt sich die Geschichte des Verzichts auf Alkohol und der Einführung von Eiscreme in der US Navy als eine Erzählung über kulturelle Anpassung, innovative Krisenbewältigung und die Bedeutung von kleinen Freuden in schwierigen Zeiten. Sie ist ein Stück Marinegeschichte, das weit über die Grenzen der Flotte hinaus beeindruckt und verdeutlicht, wie sich gesellschaftliche Trends und军事strategien gegenseitig beeinflussen können. Eiscreme, einst als süßer Ersatz eingeführt, avancierte zum heimlichen Helden der US Navy, der vielen Seeleuten süße Momente inmitten harter Realität schenkte.