Die Meeresumwelt steht weltweit vor erheblichen Herausforderungen. Intelligente Lösungen, die Umweltschutz mit kulturellem Engagement verbinden, sind deshalb von großer Bedeutung. Ein faszinierendes Beispiel hierfür ist das Projekt Casa dei Pesci, das vor der Küste von Talamone in der Toskana liegt. Das Unterwasser-Kunstprojekt wurde von dem Fischer Paolo Fanciulli initiiert und verfolgt einen innovativen Ansatz, um illegale Schleppnetzfischerei zu verhindern und gleichzeitig fragile Meeresökosysteme zu schützen. Die Kombination aus künstlerischer Gestaltung und praktischer Umweltschutzmaßnahme macht Casa dei Pesci zu einem Vorreiter im Bereich nachhaltiger Fischerei und Ozeanbewahrung.
Die Problematik der Schleppnetzfischerei hat historische Wurzeln und fatale Konsequenzen für die Meereswelt. Seit den 1980er Jahren hat das vermehrte Auftreten großer industrieller Schleppnetzfischer die Bestände vor Italiens Küsten dramatisch dezimiert. Diese Methode, bei der schwere, kettengesicherte Netze über den Meeresboden gezogen werden, vernichtet nicht nur zahlreiche Fische, sondern zerstört auch lebenswichtige Pflanzen und andere Meeresorganismen. Besonders schwerwiegend ist die Schädigung der Posidonia-Ozeanica-Wiesen, unter Wasser wachsende Seegrasfelder, die eine zentrale Rolle im Ökosystem spielen. Posidonia-Wiesen gelten als eine der wichtigsten Kohlenstoffsenken Europas.
Mit ihrer Fähigkeit, große Mengen an CO2 zu binden, tragen sie maßgeblich zum Klimaschutz bei. Ihre Wurzeln, die sogenannte Matte, können mehrere Meter tief in den Meeresboden reichen und speichern Kohlenstoff über Jahrtausende. Der Wert dieser Wiesen ist vergleichbar mit dem von tropischen Regenwäldern, weshalb ihr Schutz von globaler Bedeutung ist. Jedoch sind sie aufgrund ihrer langsamen Wachstumsrate und Anfälligkeit gegenüber mechanischer Zerstörung besonders gefährdet. Der Fischer Paolo Fanciulli, der seit seiner Jugend am Meer arbeitet, hat dieses ökologische Dilemma aus nächster Nähe erlebt.
Er beobachtete, wie die Meereslandschaft vor seiner Heimat Talamone durch die rücksichtslosen Fangmethoden immer mehr Schaden nahm. Gleichzeitig war er tief mit der maritimen Kultur verwurzelt und suchte nach Wegen, die traditionelle Fischerei nachhaltiger zu gestalten. Seine Idee, eine „Unterwasser-Kunstgalerie“ zu schaffen, entstand als eine kreative und zugleich wirkungsvolle Maßnahme gegen illegale Schleppnetzfischerei. Casa dei Pesci entstand aus der einfachen, aber genialen Idee, schwere Skulpturen aus Carrara-Marmor auf dem Meeresgrund zu platzieren. Diese Kunstwerke, geschaffen von renommierten Künstlern wie der britischen Bildhauerin Emily Young, bilden eine Barriere, die die Netze der Schleppnetzboote fängt und beschädigt, falls diese versuchen, die Schutzzone zu durchqueren.
Die Installation macht illegale Fänge wesentlich riskanter und somit unattraktiv für die Betreiber. Gleichzeitig bietet die Struktur den Meeresbewohnern neue Lebensräume, da sich darauf schnell Pflanzen und Fische ansiedeln. Seit der ersten Versenkung im Jahr 2015 ist die Zahl der Skulpturen auf 39 angewachsen und sie schützen inzwischen eine Fläche von rund 137 Quadratkilometern. Die Wirkung geht jedoch weit über den Schutz des Fischbestands hinaus. Das Projekt fördert die Regeneration der Posidonia-Wiesen, da die Grundschädigung durch die Trawler vermieden wird.
Über die Jahre hinweg zeigen sich bereits positive ökologische Veränderungen, die Hoffnung auf eine nachhaltige Erholung des Meeresraums geben. Die Kombination aus Nachhaltigkeit, Kunst und Umweltengagement macht Casa dei Pesci zu einem faszinierenden Beispiel für eine zukunftsweisende Umweltschutzstrategie. Die Zusammenarbeit zwischen Künstlern, Wissenschaftlern und lokalen Akteuren zeigt dabei eindrucksvoll, wie unterschiedliche Disziplinen zum Schutz der Meere beitragen können. Die künstlerische Gestaltung verbindet Ästhetik mit Funktionalität, indem sie einerseits ein attraktives kulturelles Erbe schafft und andererseits aktiv schädliche Praktiken einschränkt. Neben dem praktischen Nutzen erfüllt das Projekt auch eine wichtige Bildungsrolle.
Die Unterwasser-Galerie zieht weltweit Interesse auf sich und sensibilisiert Medien, lokale Bevölkerung sowie Touristen für die Bedeutung und Verletzlichkeit der Meeresökosysteme. Interessierte können die Skulpturen im Rahmen von Tauchgängen besichtigen, was das Bewusstsein für die Umweltthematik weiter stärkt. Dank der Unterstützung der Kunstszene und internationaler Förderer wird die Aufmerksamkeit für die Thematik weiter gesteigert. Fanciulli selbst betrachtet sich zwar als Fischer, aber sein Engagement zeigt, dass nachhaltige Fischerei nur möglich ist, wenn die Umwelt aktiv geschützt wird. Er betont, dass das Meer nur dann eine verlässliche Lebensgrundlage bietet, wenn Mensch und Natur in Balance sind.
Durch die eigenständige Organisation von Spendenaktionen und Zusammenarbeit mit Künstlern gelingt es ihm, das Projekt trotz fehlender staatlicher Unterstützung am Leben zu erhalten. Die fehlende Finanzierung von öffentlichen Institutionen kritisiert er scharf, verweist aber auf die breite Anerkennung in der Gesellschaft. Das Konzept von Casa dei Pesci ist auch aus wissenschaftlicher Sicht hoch relevant. Experten betonen die Rolle von „blauem Kohlenstoff“, dem durch marine Ökosysteme gespeicherten Kohlenstoff, als Schlüsselressource im Kampf gegen den Klimawandel. Der Schutz und Ausbau von Posidonia-Wiesen hat folglich nicht nur lokalen, sondern auch globalen Einfluss auf Emissionsminderungen.
Während eine zu späte oder fehlende Wiederherstellung der Wiesen Jahrzehnte bis Jahrhunderte braucht, ist der Erhalt der bestehenden Bestände von großer Bedeutung. Darüber hinaus ist Posidonia-Wiese ein sogenanntes „Engineer Species“, das heißt, sie bildet die Grundlage für eine Vielzahl anderer Meereslebewesen, von Schnecken über Krebstiere bis hin zu Fischen. Ihre Verschlechterung führt zu einem Zusammenbruch ganzer Ökosysteme, was Auswirkungen auf die Biodiversität und langfristig auf Fischereierträge hat. Das Projekt Casa dei Pesci wirkt somit aktiv dem Verlust der Artenvielfalt entgegen und stärkt die ökologischen Funktionen der Mittelmeerregion. Die Unterwasser-Skulpturen fungieren daher als multifunktionale Objekte: Sie sind Schutz-barrieren und gleichzeitig künstliche Riffe, die Kleinlebewesen Lebensraum bieten.
Dieses Zusammentreffen von Kunst und Ökologie hat auch inspirierende Wirkung auf weitere Initiativen. Fanciulli plant bereits weitere Projekte, wie zum Beispiel einen Lebensraum für Oktopusse aus handbemalten Amphoren, die traditionelle Form römischer Tongefäße aufgreifen und symbolisch die Verbindung von Mensch, Geschichte und Natur verdeutlichen. Casa dei Pesci setzt einen bemerkenswerten Kontrapunkt zu überkommenen Fischereipraktiken und zeigt, dass ein radikales Umdenken in der Nutzung der Meeresressourcen möglich ist. Ohne staatliche Gelder, aber mit viel persönlichem Einsatz und Solidarität im künstlerischen Netzwerk wurde ein Modell geschaffen, das weit über die Grenzen Italiens hinaus Beachtung findet. Die Erfolge verdeutlichen, wie lokale Initiative und Kreativität zum Schutz natürlicher Ressourcen beitragen können.
Die Wichtigkeit der Vereinigung von Kunst und Umweltbewusstsein zeigt sich auch im globalen Kontext des Klimawandels und der Biodiversitätskrise. Neue Ansätze, die ganzheitlich denken und verschiedene gesellschaftliche Bereiche verbinden, sind dringend notwendig. Casa dei Pesci vermittelt diese Botschaft auf eindrucksvolle Weise, indem es Schönheit mit Funktionalität und Praktikabilität kombiniert. Für Tourismusexperten bietet das Projekt eine zukunftsfähige Perspektive, da nachhaltiger Tourismus und Umweltschutz stärker miteinander verschmelzen. Besucher, die auf bewusste Weise den Lebensraum des Meeres erkunden, tragen zur Finanzierung und Verbreitung der Idee bei.
Forschung und Öffentlichkeitsarbeit profitieren gegenseitig von dieser integrativen Vorgehensweise. Insgesamt ist Casa dei Pesci ein beispielgebendes Modell für den Schutz von marinen Lebensräumen, das auch für andere Regionen und Meeresökosysteme eine Orientierung sein kann. Es zeigt, dass der Kampf gegen illegale Fischerei, der Erhalt von Kohlenstoffsenken und das Schaffen von kulturellen Werten Hand in Hand gehen können. Die Unterwasser-Kunstgalerie erzählt eine Geschichte von Hoffnung, Kreativität und Einsatz, die angesichts globaler Umweltkrisen dringend gehört und weitergetragen werden sollte.