Ethereum (ETH) ist eine der bekanntesten Kryptowährungen weltweit und schlägt seit Jahren nicht nur in der dezentralen Finanzwirtschaft (DeFi), sondern auch im Bereich der nicht-fungiblen Token (NFT) große Wellen. Die jüngsten Marktbewegungen haben ETH jedoch in eine außergewöhnliche Situation versetzt, die auf den ersten Blick wie eine attraktive Kaufgelegenheit erscheint, tatsächlich aber mit erheblichen Risiken verbunden ist. Die neuesten Erkenntnisse des On-Chain-Analyseunternehmens CryptoQuant werfen ein differenziertes Licht auf die Situation von Ethereum, die von vielen Anlegern möglicherweise falsch interpretiert wird. Ethereum hat unlängst ein Niveau an Unterbewertung erreicht, das seit 2019 nicht mehr beobachtet wurde, wenn man das Verhältnis von Marktwert zu realisiertem Wert (MVRV) im Vergleich zu Bitcoin betrachtet. Dieses Verhältnis, das einen wichtigen Indikator für potenzielle Kaufgelegenheiten darstellt, befindet sich aktuell in einem Bereich, der historisch immer wieder bedeutende Erholungsphasen von ETH signalisiert hat.
Solche Phasen haben in der Vergangenheit oft für optimistische Anleger den Einstiegspunkt markiert und führten zu beträchtlichen Kursgewinnen. Gleichwohl warnt CryptoQuant in seinem jüngsten Wochenbericht davor, solche historischen Muster als alleinige Entscheidungsgrundlage zu nehmen. Eines der ehrgeizigsten Narrativen rund um Ethereum war jahrelang die deflationäre Tendenz seines Angebots. Aufgrund eines Mechanismus, bei dem Transaktionsgebühren verbrannt wurden, schrumpfte die Umlaufmenge von ETH kontinuierlich. Diese Vorgabe begann mit der Einführung des EIP-1559 im Jahr 2021 eine neue Ära im Ethereum-Ökosystem einzuläuten, da sie einen Angebotsrückgang bescherte und somit theoretisch einen preistreibenden Effekt ausüben konnte.
Doch im März 2024 führte das Dencun-Upgrade zu einer drastischen Reduktion der Transaktionsgebühren und einem damit einhergehenden Einbruch der Burn-Rate. Dies bewirkte eine Trendumkehr: Die zuvor deflationäre Dynamik wandelte sich in eine inflationäre. Die dadurch zurückkehrende Angebotsinflation wirkt sich negativ auf den Wert von ETH aus und macht die Unterbewertung eher problematisch als attraktiv. Darüber hinaus zeigen die On-Chain-Daten, dass die Aktivität auf der Ethereum-Blockchain seit 2021 stagniert oder sogar rückläufig ist. Relevante Metriken wie die Anzahl der Transaktionen und aktiven Adressen sind gesunken.
Ein wichtiger Grund hierfür liegt in der zunehmenden Verlagerung der Nutzer- und Anwendungsaktivitäten auf Layer-2-Lösungen (L2). Diese Technologien verbessern zwar die Skalierbarkeit und senken die Transaktionskosten, gleichzeitig nehmen sie aber dem Ethereum-Mainnet einen Großteil der Nachfrage nach Basisschicht-Kapazitäten. Dies führte zu einer Verwässerung der ursprünglichen Nutzungsargumente von ETH, da die Basis-Blockchain weniger ausgelastet ist und damit an Attraktivität für Entwickler und Investoren verliert. Ein weiterer relevanter Aspekt ist die abnehmende institutionelle Begeisterung für Ethereum. Daten zeigen, dass das im Staking gebundene ETH-Volumen nach November 2024 von 35 Millionen auf etwa 34,4 Millionen zurückgegangen ist.
Zudem sind die Bestände institutionell geführter ETH-ETFs seit Februar 2025 um rund 400.000 ETH geschrumpft. Diese Zahlen spiegeln ein schwindendes Vertrauen wider, was die Position von Ethereum als Investment stark schwächt. Im selben Zeitraum profitiert Bitcoin von einer anhaltend starken Nachfrage institutioneller Akteure, einer begrenzten Gesamtmenge und ETF-gestützten Kapitalzuflüssen, welche den Wert des Marktführers gegenüber Ethereum stabilisieren und weiter steigern. Trotz dieser kritischen Faktoren erlebte Ethereum in den letzten Tagen eine bemerkenswerte Kursrallye.
Innerhalb einer Woche stieg der Preis um über 30 Prozent und erreichte am Freitag etwa 2400 US-Dollar, was den Bitcoin um deutliche 7,5 Prozent übertraf. Diese Bewegung wurde von der erfolgreichen Aktivierung des Pectra-Upgrades am 7. Mai 2025 begleitet, das neue Features wie Account Abstraction und verbesserte Staking-Mechanismen durch 11 gebündelte Ethereum Improvement Proposals (EIPs) einführte. Dennoch könnte der Effekt des Upgrades auf den Markt begrenzt sein, da zugrundeliegende fundamentale Schwächen nicht durch technische Neuerungen allein ausgeglichen werden können. Historisch galt die Unterbewertung von ETH im Vergleich zu BTC oft als Kaufsignal, da sie auf eine baldige Kurskorrektur hinwies.
Jüngste Entwicklungen legen jedoch nahe, dass diese eigentlich günstige Bewertung diesmal möglicherweise eine Falle sein könnte. Die Rückkehr von Inflationsdruck, die stagnierende On-Chain-Aktivität, die sinkende institutionelle Nachfrage sowie die Abwanderung von Nutzung auf Layer-2-Netzwerke schaffen eine komplexere und langfristig weniger klare Erholungsperspektive als in früheren Marktzyklen. Aus der Perspektive eines Anlegers bedeutet dies, dass eine reine Fokussierung auf den MVRV-Indikator angesichts der veränderten Marktbedingungen unzureichend ist. Vielmehr sollten fundamentale Faktoren wie Angebotsdynamik, technische Entwicklungen, Nutzeraktivität und institutionelles Interesse gleichberechtigt in die Analyse einbezogen werden. Anleger sollten somit vorsichtig agieren und ihre Investmententscheidungen nicht allein auf Basis historisch positiver Muster treffen.
Zusätzlich zur fundamentalen Bewertung stellt sich die Frage nach der mittelfristigen Rolle von Ethereum im sich stetig wandelnden Kryptomarkt. Die Konkurrenz durch alternative Smart-Contract-Plattformen, die ebenfalls Verbesserungen hinsichtlich Skalierbarkeit und Nutzerfreundlichkeit anstreben, kann den Druck auf ETH weiter erhöhen. Die Fähigkeit von Ethereum, weiterhin als dominanter Basisschicht-Blockchain gelten zu können, hängt wesentlich von der erfolgreichen Umsetzung zukünftiger Upgrades und der Reaktion auf Wettbewerbsherausforderungen ab. Insgesamt zeigt die Analyse von CryptoQuant, dass trotz einer optischen Unterbewertung die aktuelle Situation von Ethereum von Unsicherheiten geprägt ist. Das bisher verfolgte Bild eines klaren Kaufsignals wird durch neue Faktoren kompliziert und macht eine schnelle Erholung problematisch.