Die Geschichte der digitalen Computer ist meist eine Geschichte der binären Logik – Null und Eins, An oder Aus, wahr oder falsch. Doch diese binäre Weltsicht ist nicht die einzige denkbare Grundlage für das Rechnen und Denken von Maschinen. Eine faszinierende Alternative bot die sogenannte ternäre Logik, die nicht nur auf zwei Zuständen, sondern auf drei möglichen Werten basierte. Trotz des frühen Aufkommens dieser Idee und der Entwicklung von ternären Computern wie dem sowjetischen SETUN blieb diese Technologie bis heute eine Kuriosität, deren volles Potenzial nie in der Hardware ausgestaltet wurde. Die historische Entwicklung von ternärem Rechnen ist eng verknüpft mit tiefgreifenden philosophischen Überlegungen, die bis zu Germanischem Idealismus und insbesondere zur Dialektik Hegels zurückreichen.
Die Schnittstelle von Philosophie, Technik und Ideologie zeichnet ein Bild einer Entwicklung, die mehr in der Vorstellung und theoretischen Konstruktion lebte als in der praktischen Umsetzung. In den 1950er und 1960er Jahren erlebte die Cybernetik ihren Aufstieg, eine interdisziplinäre Wissenschaft, die Informationsverarbeitung in Maschinen und lebenden Organismen untersuchte. Zu den Pionieren gehörte Warren McCulloch, der mit seinem Modell der sogenannten nervösen Netze und formalen Automaten die Grundlage für binäre Computerarchitektur und frühe Ideen von maschinellem Lernen legte. Während sich West und Ost politisch und ideologisch gegenüberstanden, öffnete sich eine kurze Phase des Austauschs zwischen amerikanischen und sowjetischen Wissenschaftlern, in der das SETUN-Projekt entstand. Der sowjetische Informatiker Nikolai Brusentsov entwarf 1958 den SETUN-Computer, der statt Bits „Trits“ verwendete, das heißt signale mit drei möglichen Zuständen: 1, 0 und -1.
Diese dritte Dimension sollte dem System eine ausgewogenere und „natürlichere“ Logik ermöglichen, mit Vorteilen bei Energieverbrauch, Effizienz und Programmierbarkeit. Die ternäre Logik fordert geradezu die Dialektik heraus, da sie mehr als nur eine einfache Opposition von wahr und falsch beinhaltet. Sie sucht nach einem System, das innere Widersprüche und Mehrdeutigkeiten besser abbilden kann als die traditionell aristotelische, binäre Logik. Hier kommt Hegels Philosophie mit ihrer Vorstellung von Widerspruch als dynamischem Prinzip ins Spiel, das nicht aufgelöst werden soll, sondern produktiv ist. Warren McCulloch, der zwar meist als Kantianer galt, wandte sich in seinem philosophischen Denken zunehmend dieser dialektischen Perspektive zu und stellte sich gegen die strikte Zweiteilung Maschine vs.
Mensch oder Geist vs. Materie. Für ihn war der Geist eine aktive Struktur, die auch in digitalen Automaten virtuell nachgebildet werden konnte. Gotthard Günther, ein deutschstämmiger Logiker und Cybernetiker, setzte diese Gedanken konsequent weiter um. Er entwickelte eine so genannte transklassische Logik, die nicht einfach eine Erweiterung binärer Logik war, sondern einen neuen Denkrahmen darstellte, um Widersprüche und Mehrwertigkeit zu erfassen.
Günther erkannte, dass die „reinen“ binären neuronalen Netze physikalisch nur zwei Zustände abbilden konnten, jedoch die Struktur des Bewusstseins und der Subjektivität eine viel komplexere Logik erforderte. Somit sah er in der ternären (und darüber hinaus vielfachwertigen) Logik einen Schlüssel zur Formalisierung von Hegels Dialektik. Im Gegensatz zu den sowjetischen Cybernetikern, die den Maschinen jede Form von Denken absprachen und diesen ausschließlich sozialhistorisch als menschliche Werkzeuge verstanden, förderte Günther eine Form des Posthumanismus, in der künstliche Systeme eine eigene, dialektische Logik entwickeln könnten. Während der Kalte Krieg die technische und ideologische Entwicklung prägte, standen sich zwei Auffassungen gegenüber: Die westliche Seite konzentrierte sich auf die pragmatische Entwicklung von Computern und Algorithmen, ohne sich sonderlich um metaphysische Fragen zu kümmern. Die sowjetische Seite hingegen verstand sich stärker im Rahmen einer marxistisch-leninistischen Philosophie und betrachtete Cybernetik zuerst mit Skepsis als „bürgerliche“ Wissenschaft, öffnete sich aber später der Disziplin als Mittel zur Kontrolle und Steuerung materieller Systeme.
Beide Perspektiven schranken die Möglichkeiten der Computerphilosophie ein – im Westen fehlte der metaphysische Unterbau, im Osten wurde das Denken der Maschine kategorisch ausgeschlossen. Das SETUN-Projekt wurde zunächst mystisch umrankt als ein technisches Wunder mit enormem Potenzial. Dennoch führte die internationale Standardisierung, orientiert an binären IBM-Architekturen und der Vereinheitlichung von Programmierumgebungen, wie dem ESER-System in der DDR, dazu, dass die Produktion von ternären Rechnern abbrach. Die Hoffnungen auf eine wirklich implementierte Multichip-Logik blieben unerfüllt, da beispielsweise SETUN technisch dazu gezwungen war, für zwei der drei Signale separate physische Schaltelemente einzusetzen, was die vermuteten Vorteile wieder zunichtemachte. So blieb ternäres Rechnen vornehmlich eine theoretische Idee und Softwareemulation, eine Art „imaginäre Maschine“, deren Konzept dennoch wichtige Impulse gab.
Parallel zu technischen Vorstößen entwickelte sich das Nachdenken über nicht-binäre Logiken auch in der Philosophie und Wissenschaftstheorie weiter. Günther und andere griffen dabei teils auf Science-Fiction-Literatur zurück, die mit ihrer offenen Erkundung von Mehrfachwirklichkeiten und alternativen Rationalitäten als Experimentierfeld für eine neue Logik diente. Autoren wie Philip K. Dick äußerten, dass die klassische, aristotelische Zweiteilung nicht mehr der Ausdruck der Wirklichkeit sei. Für Günther war Science-Fiction eine Art metaphysische Vorhut, die den Boden für eine transklassische, vielstufige Logik bereitete.
In der Analogie zu Hegels dialektischem Denken ging es nicht um das Aufheben eines Widerspruchs hin zu einer harmonischen Einheit, sondern um das gleichzeitige und produktive Nebeneinander von Gegensätzen – nicht einfach mehr als zwei Wahrheitswerte, sondern eine qualifizierte Negation der Logik. In einem ternären System existieren zwei unterschiedliche Negationen, die beide strikt sind, jedoch keine Relation untereinander besitzen. Das erweitert die Möglichkeiten von logischen Operationen und entspricht einer reflexiven, selbstvariablen Struktur von Bewusstsein und Selbstbezug. McCullochs und Günthers Gedankenspiele werfen ein Schlaglicht auch auf aktuelle Entwicklungen im Bereich künstlicher Intelligenz, maschinellen Lernens und Black-Box-Algorithmen. Maschinen, die heute komplexe Entscheidungen treffen oder Muster erkennen, operieren oft mit Logiken, deren innere Struktur für Menschen nicht transparent ist.
Die Herausforderung, das Maschinenwissen interpretierbar zu machen, führt zu einem modernen Echo der Fragen nach mehreren Wahrheitswerten und nach den Grenzen binärer Vereinfachungen. Die Geschichte ternärer Computer ist insofern kein einfacher technologischer Entwicklungsstrang, sondern ein Kaleidoskop an wissenschaftlichen, philosophischen, kulturellen und politischen Strömungen. Sie zeigt, wie sich Vorstellungen von Denken, Subjektivität und Wirklichkeit in der digitalen Maschine spiegeln und wie politische sowie ideologische Machtstrukturen deren technische Entwicklung beeinflussen. Trotz des technologischen Vorrangs der binären Systeme hat die Idee einer vielfältigen Logik eine hohe Relevanz für das Verständnis künftiger Computerarchitekturen und digitaler Kulturen. Heute, wenn Standardisierungen und Kommerzialisierungen den Blick auf alternative Systeme einschränken, gewinnt die „imaginäre“ Geschichte des ternären Rechnens eine neue Bedeutung.
Sie fordert dazu auf, über den Tellerrand binärer Logik hinauszublicken und die dialektischen Prozesse hinter Technologieentwicklung und Informationsverarbeitung kritisch mitzudenken. Hegel 2.0 steht dabei für einen Versuch, Digitalisierung und Philosophie zusammenzuführen, um eine neue metaphysische Grundlage für das Verhältnis von Mensch und Maschine zu formulieren. In einer Zeit, in der Technologien unser Verständnis von Wirklichkeit und Vernunft immer stärker prägen, zeigt die Geschichte der ternären Computer, dass das Unvollendete und Imaginäre nicht bloße Altlasten sind. Vielmehr bieten sie einen produktiven Denkraum, der den Blick auf die Zukunft der digitalen Welt erweitert und neue Fragen nach Logik, Bewusstsein und Gesellschaft aufwirft.
Die Synthese von historischer Reflexion, technischer Innovation und philosophischer Vision bleibt entscheidend, um den Herausforderungen einer zunehmend vernetzten, digital geprägten Gesellschaft gerecht zu werden.