Windows 95 markiert einen bedeutenden Wendepunkt in der Geschichte der Betriebssysteme von Microsoft. Die Vorstellung, dass MS-DOS in einem modernen Betriebssystem wie Windows 95 noch eine Rolle spielt, mag auf den ersten Blick überraschen. Doch die Beziehung zwischen Windows 95 und MS-DOS war komplexer und tiefgreifender, als viele vermuten. MS-DOS war in Windows 95 nicht einfach ein Überbleibsel der Vergangenheit, sondern erfüllte zentrale Funktionen, die das Betriebssystem zum Laufen brachten und dabei halfen, Kompatibilität mit älterer Software zu gewährleisten. Um die Rolle von MS-DOS in Windows 95 zu verstehen, lohnt es sich, einen genauen Blick auf die Architektur und den Startprozess des Systems zu werfen.
Zu Beginn diente MS-DOS als Bootloader. Das bedeutet, beim Starten des Rechners wurde zunächst eine spezielle, angepasste Version von MS-DOS geladen, die eine Reihe wichtiger Systemdateien wie CONFIG.SYS und AUTOEXEC.BAT abarbeitete. Über diese wurde die Grundkonfiguration des Systems festgelegt und schlussendlich die für Windows typische Benutzeroberfläche gestartet.
Nach dem Laden dieser Basis startete Windows 95 über die Datei WIN.COM den sogenannten Virtual Machine Manager (VMM), der den Übergang in den sogenannten „geschützten Modus“ einleitete. Dieser Modus ermöglichte Windows 95, die Vorteile einer 32-Bit-Architektur zu nutzen und damit viel leistungsfähiger und stabiler als seine DOS-Vorgänger zu arbeiten. Trotz dieses Fortschritts blieb MS-DOS aber weiterhin aktiv im Hintergrund. Während moderne Programme und Treiber unter Windows 95 auf die neuen, 32-Bit-basierten Komponenten setzten, stellte MS-DOS die 16-Bit-Kompatibilitätsebene bereit.
Dies war besonders wichtig, da damals eine große Menge an Software und Gerätetreibern noch auf 16-Bit-Technologien basierte und ohne diese Unterstützung nicht funktionstüchtig gewesen wäre. Die 16-Bit-Schicht von MS-DOS fungierte daher wie eine Art Hilfsschicht, die ältere Anwendungen und Treiber an die neue Systemumgebung anpasste. Ein besonders wichtiger Aspekt dieser „Hilfsschicht“ war die Behandlung von Interrupt-Aufrufen, insbesondere int 21h, welcher den zentralen Dienst für DOS-Operationen darstellte. MS-DOS war berüchtigt dafür, dass viele Programme und Treiber diesen Dienst „hookten“ oder veränderten, um eigene Anpassungen zu ermöglichen. Windows 95 löste dieses Problem elegant, indem es diese 16-Bit-Aufrufe zunächst an einen 32-Bit-Dateisystem-Manager weiterleitete, der die eigentliche Arbeit ausführte.
Falls jedoch eine 16-Bit-Erweiterung oder ein Programm den Aufruf modifizierte, wurde diese Anforderung zurück an MS-DOS geleitet. So konnte Windows 95 sowohl die modernen, optimierten 32-Bit-Funktionen nutzen als auch weiterhin Programme unterstützen, die direkt mit MS-DOS kommunizierten oder seine Dienste manipulierten. Ein weiterer interessanter Punkt war der Umgang mit Hardware. Viele Geräte arbeiteten damals mit 16-Bit-Treibern, welche zum Teil sogar direkt auf die BIOS-Interrupts zugriffen. Windows 95 integrierte die Treibersteuerung sorgfältig, indem es erkannte, ob ein Gerätetreiber modern und bekannt war.
Falls ja, übernahm das Betriebssystem die Kontrolle und ermöglichte Multithreading sowie eine bessere Performance. War der Treiber hingegen älter und inkompatibel, durfte er weiterhin im sogenannten „Real-Modus“ arbeiten, was oft Nachteile bei Geschwindigkeit und Stabilität mit sich brachte. Interessanterweise stellte die Performance bei solchen Treibern sogar ein indirektes Warnsignal für mögliche MS-DOS-Viren dar, da diese genauso wie herkömmliche Treiber mit Interrupts arbeiteten und das System dadurch verlangsamten. Insgesamt nimmt MS-DOS in Windows 95 also eine Art doppelte Rolle ein. Zum einen als traditioneller Bootloader und Systeminitialisator, zum anderen als komplex simulierte Kompatibilitätsschicht für ältere 16-Bit-Anwendungen und Treiber.
Ohne MS-DOS hätte Windows 95 nicht die Breite an Software- und Hardwareunterstützung bieten können, die es damals auszeichnete. Gleichzeitig ebnete Windows 95 mit seinem Übergang zum 32-Bit-Design und der Virtualisierungstechnologie den Weg in eine neue Ära von Betriebssystemen. MS-DOS war somit kein lästiges Überbleibsel, sondern ein funktionales und durchdachtes Element, das den schrittweisen Umstieg von alten zu neuen Techniken erleichterte. Für Entwickler und Technikbegeisterte ist die Architektur von Windows 95 bis heute ein faszinierendes Beispiel für das Zusammenspiel zwischen Alt und Neu. Die nahtlose Integration von MS-DOS in die Windows-Umgebung zeigt eindrucksvoll, wie Microsoft es schaffte, vorhandene Softwarekompatibilität zu bewahren und gleichzeitig technische Innovationen zu realisieren.
Diese Balance zwischen Kompatibilität und Fortschritt ist ein zentrales Prinzip in der Entwicklung von Betriebssystemen, das sich bis in die heutige Zeit fortsetzt. Somit bleibt die Rolle von MS-DOS in Windows 95 ein bedeutendes Kapitel der Computergeschichte, das den Übergang von der DOS-Ära zu modernen Windows-Umgebungen geprägt hat.