Kanada befindet sich inmitten einer wichtigen Debatte über den Umgang mit Stablecoins – digitalen Währungen, die an traditionelle Fiatwährungen wie den kanadischen Dollar gekoppelt sind. Während die weltweite Stablecoin-Branche in den letzten Jahren erheblich gewachsen ist und in vielen Ländern regulatorische Rahmenbedingungen geschaffen wurden, ist Kanada bisher eher zögerlich und behutsam vorgegangen. Dieser vorsichtige Ansatz hat dazu geführt, dass das Land im Vergleich zu anderen führenden Wirtschaftsnationen wie den Vereinigten Staaten, der Europäischen Union, Singapur oder den Vereinigten Arabischen Emiraten an Boden verloren hat. Doch trotz dieser Zurückhaltung bietet sich Kanada noch die Möglichkeit, aufzuholen und stabile, innovative und wettbewerbsfähige Lösungen im Bereich digitaler Zahlungen zu entwickeln. Die aktuelle Situation in Kanada ist geprägt von einer pessimistischen Haltung einiger der wichtigsten Finanzaufsichtsbehörden zur Regulierung von Stablecoins.
Im Dezember 2022 klassifizierte die Canadian Securities Administrators (CSA) Stablecoins als Wertpapiere oder Derivate. Diese Entscheidung war eine Reaktion auf den spektakulären Zusammenbruch der FTX-Kryptobörse und die damit verbundene Misere der Terra-Stablecoin-Projekte, die den gesamten Krypto-Sektor zutiefst erschütterten. Der CSA-Entscheidung folgend gelten Stablecoins in Kanada somit als komplexe Finanzprodukte, was die Herausgabe und Nutzung der digitalen Token erheblich erschwert. Verglichen mit anderen Staaten, die regulierungsseitig große Fortschritte machen, hat diese Einordnung den kanadischen Markt in eine Art „Regulierungsfalle“ gebracht. Während in der EU mit der Einführung der Markets in Crypto-Assets-Verordnung (MiCA) und in den USA durch geplante Gesetze eine pro-aktive sowie innovationsfreundliche Haltung zum Thema Stablecoins entsteht, sind kanadische Unternehmen aufgrund der strikten Anwendung des Wertpapierrechts zurückhaltend bei der Entwicklung eigener Stablecoin-Angebote.
Dies hat zur Folge, dass nur wenige Anbieter innerhalb Kanadas tatsächlich im Bereich der Stablecoins aktiv sind, was der gesamten Branche und der Zahlungsinfrastruktur des Landes schadet. Ein zentrales Problem für Kanada ist der dadurch entstehende Wettbewerbsnachteil gegenüber globalen Märkten. Stablecoins haben sich weltweit als effiziente Instrumente für Peer-to-Peer-(P2P)-Zahlungen etabliert, die bei traditionellen Zahlungsmethoden wie Überweisungen oder Kartenzahlungen durch ihre Schnelligkeit, geringere Kosten und weltweite Verfügbarkeit punkten. In Kanada fehlen bislang vergleichbare digitale Zahlungslösungen, die ein breites Publikum erreichen und die Bedürfnisse von Privatpersonen wie Unternehmen abdecken können. Die bestehenden Angebote wie Interac e-Transfer gelten als umständlich, teuer und zeitaufwändig, was gerade im internationalen Vergleich deutlich ins Gewicht fällt.
Die Zurückhaltung gegenüber Stablecoins hat darüber hinaus auch wirtschaftspolitische Konsequenzen für den kanadischen Dollar, oft liebevoll „Loonie“ genannt. Experten warnen, dass eine verstärkte Domäne von US-Dollar-gedeckten Stablecoins zur Erosion des kanadischen Dollars im Inland führen könnte. Verbraucher und Unternehmen könnten im Zuge fehlender Alternativen verstärkt auf USD-Stablecoins zurückgreifen, was die Relevanz der heimischen Währung auf nationaler und internationaler Ebene gefährdet. Damit wäre nicht nur ein Verlust an monetärer Souveränität verbunden, sondern auch langfristig eine Schwächung des kanadischen Finanzsystems. Die Kryptoindustrie in Kanada fordert daher seit einiger Zeit eine klarere und innovativere Regulierung von Stablecoins.
Morva Rohani, die Gründungs-Geschäftsführerin des Canadian Web3 Council, beschreibt die derzeitige Regulierung als ein „Flickwerk“ von Regularien ohne einen kohärenten bundesweiten Rahmen. Ein solcher Rahmen würde Rechtssicherheit schaffen, die rechtliche und operative Risiken reduzieren und die Innovationsfähigkeit des kanadischen Marktes stärken. Mit einem geeigneten Regulierungsrahmen könnten Stablecoins als legitime und sichere Zahlungsmittel anerkannt werden, wobei das Finanzsystem vor Risiken wie Missbrauch und Instabilität geschützt bliebe. Auch Unternehmen wie die kanadische Krypto-Börse NDAX kritisieren die CSA-Politik. Tanim Rasul, Chief Operating Officer von NDAX, verweist auf Beispiele aus anderen Ländern, in denen Stablecoins als Zahlungsmittel reguliert werden, statt sie unter die Wertpapiergesetze zu stellen.
Dies würde faire Wettbewerbsbedingungen schaffen und zugleich die inherent verschiedenen Charakteristika von Stablecoins gegenüber anderen Finanzprodukten widerspiegeln. Insbesondere die EU-Politik unter MiCA wird als vorbildlich angesehen, da sie eine gezielte und maßgeschneiderte Regulierung vorsieht, die Innovation nicht hemmt. Eine weitere Herausforderung ist die Akzeptanz von Stablecoins in der breiten Bevölkerung. Trotz der wachsenden Nachfrage nach digitalen Bezahlmethoden in Kanada, etwa durch Services wie PayPal oder Wise, wird die Nutzung von Kryptowährungen und Stablecoins als besonders unsicher wahrgenommen. Laut einer Studie von Payments Canada von 2024 empfinden 91 Prozent der Kanadier Stablecoins als die unsicherste Zahlungsoption im Vergleich zu Bargeld, Kreditkarten oder traditionellen Überweisungen.
Dieses Misstrauen bildet eine bedeutende Barriere, die selbst durch verbesserte Regulierung nur schwer überwunden werden kann, solange Aufklärung und praktische Anwendung fehlen. Die Einführung einer CBDC (Digitaler Kanadischer Dollar) wurde ebenfalls untersucht, jedoch stößt auch diese Innovation auf begrenzte Begeisterung in der Bevölkerung. 85 Prozent der Befragten bevorzugen demnach weiterhin ihre herkömmlichen Zahlungsmittel. Diese Zurückhaltung verdeutlicht, dass technologischer Fortschritt zwar Chancen bietet, aber auch soziale und psychologische Faktoren beachtet werden müssen, um erfolgreich neue Zahlungsoptionen zu integrieren. Interessant ist vor diesem Hintergrund die Position von Mark Carney, ehemaliger Gouverneur der Bank of England und gegenwärtiger Führungspersönlichkeit der Liberalen Partei in Kanada.
Carney hat in der Vergangenheit Skepsis gegenüber Kryptowährungen gezeigt, sieht jedoch in Stablecoins trotz ihrer Risiken eine potenzielle Rolle im Zahlungsverkehr. Er fordert strenge Schutzmaßnahmen, spricht sich aber für den Zugang von Stablecoins zu Zentralbankbilanzen aus, sollte ein robustes Regulierungsumfeld geschaffen werden. Mit Carney an der Spitze des Bundes wird das Land voraussichtlich einen pragmatischen, regulation-first-Ansatz verfolgen, der Sicherheit und Innovationsfähigkeit in Einklang bringen will. Für die Zukunft ist daher essenziell, dass Kanada eine klare, praktikable und innovationsfreundliche Regulierungsstrategie entwickelt, die Stablecoins als legitimes und sicheres Zahlungsmittel anerkennt, dabei aber systemische Risiken minimiert. Eine solche Strategie könnte dazu beitragen, die Zahlungsinfrastruktur im Land zu modernisieren, die Wettbewerbsfähigkeit Kanadas auf dem globalen digitalen Finanzmarkt zu erhalten und die Rolle des kanadischen Dollars zu stärken.
Die internationale Entwicklung zeigt, dass Länder, die frühzeitig mit klaren und maßgeschneiderten Regulierungen agierten, nicht nur ihre Tech- und Finanzindustrie gefördert haben, sondern auch das Vertrauen der Bürger in digitale Zahlungsoptionen steigern konnten. Kanada steht an einem Scheideweg: Will es seine Vorsicht beibehalten und möglicherweise Marktanteile verlieren, oder will es aktiv die Rahmenbedingungen schaffen, damit Stablecoins und digitale Innovationen stärker in den Alltag der Kanadier Einzug halten? Die politische Führung, die Kryptoindustrie und Regulierungsbehörden sollten daher eng zusammenarbeiten, um die Chancen von Stablecoins zu nutzen und gleichzeitig die Herausforderungen bewältigen. Nur durch ein ausgewogenes Vorgehen können die Vorteile digitaler Zahlungsinstrumente realisiert und die Position Kanadas im weltweiten Finanzökosystem gestärkt werden. Die Zeit zum Handeln ist jetzt, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben und den digitalen Wandel im Zahlungsverkehr zu gestalten.