Softwareentwicklung ist ein faszinierendes und komplexes Feld, das ständigem Wandel und Fortschritt unterliegt. Dennoch gibt es einige grundlegende Fehlannahmen, die in der Programmierwelt tief verwurzelt sind und häufig zu suboptimalen Ergebnissen führen. Im Jahr 2008 veröffentlichte Mike Acton, ein renommierter Entwickler und Experte im Bereich Spielprogrammierung und Performance, einen Beitrag, der drei der größten Irrtümer in der Softwareentwicklung beleuchtet. Diese sogenannten "Drei Großen Irrtümer" sind bis heute höchst relevant, insbesondere für Entwickler, die an hochperformanten Systemen und Spielen arbeiten. Sie werfen ein Schlaglicht auf die Beziehung zwischen Hardware, Daten und Code und fordern dazu auf, gewohnte Denkweisen radikal zu hinterfragen.
Der erste Irrtum ist die verbreitete Annahme, Software sei eine universelle Plattform, die losgelöst von der zugrundeliegenden Hardware betrachtet werden kann. In der Realität ist diese Perspektive jedoch zu idealistisch. Universitäten und akademische Lehranstalten neigen dazu, Probleme zu vereinfachen und unter idealisierten Bedingungen zu betrachten. Programme werden oft isoliert geschrieben, ohne echte Rücksicht auf die tatsächlichen Hardwarebedingungen, auf denen sie später ausgeführt werden sollen. Die Folgen davon sind teils dramatisch: Zum Beispiel werden häufig Algorithmen nach abstrakten Komplexitätsmaßeinheiten (wie Big-O Notation) bewertet, ohne die tatsächlichen Kosten einzelner Operationen wie Speicherzugriffe zu berücksichtigen.
Gerade bei eingebetteten Systemen oder Spielen, wo Performance entscheidend ist, können solche Vernachlässigungen schnell leiden. Hardware beeinflusst maßgeblich, wie Daten organisiert und wie Code gestaltet werden sollte. Speicherlatenzen, Cache-Größen, Bandbreite und Parallelausführung sind Faktoren, die bei der Softwarearchitektur maßgeblich einbezogen werden müssen. Ignorieren Entwickler diese Bedingungen, entstehen leicht überladene und ineffiziente Systeme, die zwar funktionieren, aber nicht das leisten können, was erwartet wird. Optimales Softwaredesign setzt daher immer ein tiefes Verständnis der zugrundeliegenden Plattform voraus und berücksichtigt deren Beschränkungen und Besonderheiten als unverzichtbaren Teil des Entwicklungsprozesses.
Der zweite große Irrtum liegt in der Vorstellung, dass Programmcode um ein direktes Modell der realen Welt herum aufgebaut sein sollte. Häufig werden für Objekte in der Software sogenannte Klassen oder Module erstellt, die eins zu eins reale Dinge oder Konzepte abbilden sollen. So gibt es in Spielen beispielsweise oft eine Klasse "Rakete", die alle Eigenschaften und Verhaltensweisen genau eines individuellen Objekts enthält. Dieses Vorgehen mag intuitiv erscheinen, ist jedoch in vielen Fällen ineffizient und skaliert nicht gut. Der Grund dafür ist, dass Programme im Kern Daten transformieren sollen und der Fokus darauf liegen muss, wie diese Daten organisiert und zusammen verarbeitet werden.
Wenn jede Entität isoliert betrachtet wird, entstehen enorme Redundanzen und Performanceeinbußen. Für hundert Raketen müsste potenziell hundertfach dieselbe Verarbeitung stattfinden, was teuer und langsam ist. Stattdessen wäre es sinnvoll, Strukturen zu schaffen, die Daten gruppieren nach ähnlichen Transformationen – sogenannte Datenorientierte Programmierung. Diese Vorgehensweise ermöglicht es, durch gemeinsame Verarbeitung und einheitliche Zugriffs-Muster erhebliche Effizienzsteigerungen zu erzielen. Darüber hinaus hat das Modellieren des Codes nach der Welt oft den Nebeneffekt, dass Daten und Algorithmen zu stark gekoppelt werden.
Dies erschwert die Optimierung und lässt wichtige Performanceaspekte unberücksichtigt. Wirtschaftlichkeit und Skalierbarkeit sind so nicht gegeben. Gute Softwarearchitektur fragt demgegenüber immer zuerst: Welche Daten sind vorhanden? Wie werden sie genutzt? Und wie können wir diese Nutzung so organisieren, dass sie ressourcenschonend und effektiv erfolgt? Der dritte und wohl wichtigste Irrtum betrifft die falsche Gewichtung von Code gegenüber Daten. Viele Programmierer messen dem geschriebenen Code und seinen Strukturen eine überproportionale Bedeutung bei – insbesondere wird viel Zeit und Energie in die Verbesserung von Codequalität, Lesbarkeit, Designmustern oder Diagrammen investiert. Natürlich ist hochwertiger Code wichtig, doch Mike Acton betont, dass der eigentliche Schlüssel zum Erfolg in der Datenstrukturierung liegt.
Code ist vergänglich und kann jederzeit geändert oder optimiert werden, doch die Daten, mit denen dieser Code arbeitet, bestimmen in großem Maße die Performance und Effizienz eines Programms. Schlechte oder ungeeignete Datenstrukturen führen zwangsläufig zu langsamen und ineffizienten Anwendungen – egal wie gut der Code geschrieben ist. Deshalb sollte die Planung und Gestaltung von Software mit einem klaren Fokus auf Datenverständnis und Datenorganisation beginnen. Nur wenn man die Natur und Beschaffenheit der Daten versteht, lässt sich daraus Code ableiten, der wirklich funktioniert und hohen Ansprüchen genügt. Diese Sichtweise stellt eine fundamentale Verschiebung im Entwicklungsverständnis dar.
Es geht weg von Klassen und Modellen, von abstrakten Coderegeln hin zu pragmatischer, anhand der Hardware optimierter Datenorientierung. Dieser Paradigmenwechsel erfordert oftmals ein neues Denken in der Programmier-Community, kann aber enorme Vorteile bezüglich Performance und Wartbarkeit bringen. Zusammenfassend zeigt die Analyse der drei großen Irrtümer, wie oft falsche Annahmen über Softwareentwicklung zu schlechten Ergebnissen führen. Die Vorstellung, Software sei losgelöst von der Hardware, Code müsse die Welt modellieren und Code sei wichtiger als Daten, muss kritisch hinterfragt werden. Software entsteht nicht in einem luftleeren Raum, sondern ist tief eingebettet in Hardwarerestriktionen und die Art der Daten, die transformiert werden sollen.
Indem Entwickler verstärkt ihren Blick auf die Hardware richten, Datenstrukturen priorisieren und skalierbare Lösungen für Gruppen von Daten und deren Transformation suchen, lassen sich leistungsfähige und effiziente Programme erstellen. Diese Herangehensweise ist besonders in der Spieleentwicklung wichtig, wo hohe Frame-Raten, geringe Latenzen und optimale Ressourcennutzung unverzichtbar sind. Der Beitrag von Mike Acton ist daher eine Aufforderung, die eigene Softwareentwicklungspraxis zu überdenken und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Es gilt die fundamentalen Zusammenhänge zu verstehen und technische Entscheidungen nicht auf theoretischen Idealannahmen, sondern auf realen Bedingungen und Datenverhältnissen aufzubauen. Nur so können Programme entstehen, die nicht nur funktionieren, sondern das tun, was von ihnen erwartet wird – und das effizient und zuverlässig.
Wer sich als Entwickler oder technischer Leiter heute darüber Gedanken macht, wie man den steigenden Anforderungen an Performance und Skalierbarkeit gerecht wird, sollte diese Erkenntnisse beherzigen. Das Ignorieren der Hardwarerestriktionen, das Festhalten an Weltmodellen in Code oder das Überbewerten von Code gegenüber Daten kostet nicht nur Zeit und Geld, sondern auch Nutzererfahrung und Wettbewerbsfähigkeit. Die Drei Großen Irrtümer der Softwareentwicklung sind also keine bloßen Theorien, sondern praxisnahe Lektionen, die sich vor allem in anspruchsvollen Projekten eindrucksvoll bestätigen lassen. Wer sie kennt und vermeidet, öffnet die Tür zu moderner, effektiver Softwarearchitektur und nachhaltigem Erfolg.