Im Gesundheitswesen hat sich in den letzten Jahren ein fundamentaler Wandel vollzogen: weg vom traditionellen Vergütungsmodell, bei dem Leistungsträger für jede einzelne erbrachte Leistung bezahlt werden, hin zu einem modellbasierten Ansatz, der den Fokus auf Ergebnisse und Nutzen legt. Dieses Konzept, bekannt als Value-Based Care (VBC), revolutioniert die Art und Weise, wie medizinische Leistungen bezahlt und erbracht werden. Während sich das Gesundheitswesen behutsam auf diesen neuen Pfad begibt, wirkt das Marketing im Vergleich dazu häufig noch gefangen in veralteten Modellen ohne nennenswertes Risiko und ohne wirkliche leistungsabhängige Vergütung. Dabei gäbe es gerade im Marketing viel zu gewinnen, wenn es sich am Gesundheitswesen orientierte – vor allem im Bereich der Risikoteilung, der Innovation und der Zielorientierung. Die Diskrepanz zwischen beiden Branchen ist frappierend und zeigt, welche Innovationen möglich sind, wenn alle Beteiligten ein gemeinsames Interesse am Erfolg haben.
In der traditionellen Vergütung im Gesundheitswesen, oft als Fee-for-Service (FFS) bezeichnet, erhalten Ärzte und Leistungserbringer eine Bezahlung für jede einzelne erbrachte Leistung: Tests, Untersuchungen, Rezepte oder Eingriffe. Das Problem dieses Systems liegt darin, dass es wenig Anreiz schafft, tatsächlich bessere Gesundheitsresultate zu erzielen. Man wird entlohnt, wenn man viel arbeitet, nicht unbedingt, wenn die Patienten wirklich gesünder werden. Hier setzt das Value-Based Care-Modell an. Es orientiert die Vergütung an der Wirksamkeit der Behandlung, an den tatsächlichen Ergebnissen für die Patienten.
Wer es schafft, Erkrankungen zu minimieren, Rückfälle zu reduzieren oder die Lebensqualität dauerhaft zu verbessern, wird dafür belohnt – unabhängig von der Anzahl der Einzelleistungen. Eine solche Neuausrichtung der Anreize führt zwangsläufig zu einem Umdenken in Organisationen und bei den Leistungserbringern. Die Entkopplung von Aufwand und Ergebnis erlaubt es medizinischen Einrichtungen, innovativ zu sein und neue Wege zu beschreiten, ohne finanziellen Nachteil bei Misserfolg befürchten zu müssen. Hierdurch entsteht Raum für Experimente, Verbesserungen und verbesserte Versorgungskonzepte, die letztendlich allen Beteiligten zugutekommen. Allerdings ist die Umsetzung dieses Modells komplex und herausfordernd.
Stabilität, Vertrautheit und Administration des klassischen Modells profitieren von klaren Strukturen und Vorhersagbarkeit – etwas, das sich beim Übergang zu ergebnisorientierten Modellen oft als schwierig erweist. Gerade bei komplexen Patienten mit mehreren Erkrankungen und unterschiedlichen Behandlern ist es schwer, die genaue Ursache für verbesserte oder verschlechterte Ergebnisse zu bestimmen. Ebenso machen unzureichende Datenverfügbarkeit und die Schwierigkeit einer klaren Attribution das Performance-Messen anspruchsvoll. Zudem sind viele Organisationen skeptisch gegenüber dem Risiko, das sie bei ergebnisabhängiger Vergütung tragen müssten. Daher werden häufig hybride Modelle gewählt, die eine Basisvergütung mit erfolgsabhängigen Boni kombinieren.
Ein solcher Mittelweg sorgt für finanzielle Planungssicherheit und motiviert trotzdem, sich auf Resultate zu konzentrieren. Im Marketing hingegen bleibt die Welt des Risikos oft erstaunlich starr. Typische Verträge mit Agenturen basieren auf Fixpreisen, monatlichen Gebühren sowie einem Prozentsatz des Werbebudgets – egal, ob Kampagnen erfolgreich sind oder nicht. Obwohl man häufig von „Leistung“ oder „Ergebnissen“ spricht, weigern sich viele Agenturen, ihre Bezahlung an den tatsächlichen Erfolg und Umsatzwachstum zu koppeln. Der Grund? Obwohl die Daten, die Performance-Marketing-Agenturen besitzen, meist umfangreich und vergleichsweise einfach zugänglich sind, zeigt sich wenig Bereitschaft oder Vertrauen, ein echtes Risiko zu teilen.
Dabei gäbe es keine besseren Voraussetzungen, den Wert von Marketingmaßnahmen genau zu messen und verantwortlich zu vergüten. Warum ist das so? Einige mögliche Ursachen sind schnell ausgemacht: Zum einen könnten Agenturen Angst vor Kontrollverlust fürchten, wenn sie die volle Umsetzung in der Hand der Kunden bleibt. Zum anderen ist Marketing längst zu einer Commodity geworden, in der viele Anbieter vergleichbare Leistungen zu ähnlichen Preisen offerieren. Der Kampf um niedrige Kosten und standardisierte Abläufe begünstigt wenig Experimentierfreude und Innovationsbereitschaft. Zudem fehlt oft ein Anreiz für Agenturen, über den Tellerrand hinauszublicken, etwas Neues zu probieren oder kreative Risiken einzugehen.
Wenn niemand bei Misserfolg finanziell verliert, tendieren alle dazu, Altbewährtes stupide zu wiederholen. Doch genau hier liegt die Chance: Ein risikobasierter Vergütungsansatz, wie ihn das Gesundheitswesen mit Value-Based Care praktiziert, könnte das Marketing beflügeln und zu einer neuen Ära der Innovation führen. Indem Agenturen am Umsatzwachstum beteiligt werden – zum Beispiel durch eine Provision auf erwirtschaftete Erlöse statt auf Ausgaben – entsteht ein klares gemeinsames Interesse an nachhaltigem Erfolg. Eine Win-win-Situation mit echtem „Skin in the Game“ sorgt dafür, dass alle Beteiligten motiviert sind, das Optimum herauszuholen. Gleichzeitig fördert dieser Ansatz eine offenere Auseinandersetzung mit Fehlern und Erfolgen, die zu schnellerem Lernen und Verbesserung führen kann.
Hybridmodelle, die eine Basisvergütung mit leistungsbasierten Boni kombinieren, können außerdem das Risiko auf allen Seiten abfedern und Vertrauen schaffen. Es gibt bereits erste Beispiele von Unternehmen, die solche Modelle ausprobieren und Erfolg damit haben. Wenn Performance-Agenturen beispielsweise eine kleinere Grundvergütung erhalten und daneben einen gestaffelten Anteil am erzielten Netto-Umsatz vereinnahmen, ist das ein starker Anreiz, Kunden nicht nur durch Aktionismus zu bedienen, sondern echte Wertschöpfung zu erzielen. Innovation und kundenzentrierte Lösungen treten so in den Vordergrund. Die Risiken bei der Umsetzung sollten keinesfalls unterschätzt werden.
Für Agenturen bedeutet eine erfolgsbasierte Bezahlung auch, dass Projekte scheitern können und sie im schlimmsten Falle mit leeren Händen dastehen. Für Kunden ist es wichtig, klare, messbare KPIs zu definieren und Transparenz beim Monitoring sicherzustellen. Die Herausforderung, den tatsächlichen Einflussteil verschiedener Maßnahmen sauber zuzuordnen, bleibt bestehen, ist jedoch mit moderner Attributionstechnologie und analytischen Werkzeugen besser handhabbar als je zuvor. Ein weiterer Vorteil dieses Modells ist die bessere Planbarkeit der Unternehmensentwicklung: Ausgaben werden direkt am tatsächlichen Leistungsniveau ausgerichtet und können dynamisch angepasst werden. Dies führt in Summe zu einer effizienteren Mittelverwendung und einem verbesserten Return on Investment.
Wertschöpfung wird so auf beiden Seiten spürbar. Healthcare hat durch den langen und schwierigen Weg hin zu Value-Based Care gezeigt, was möglich ist, wenn Risiken sinnvoll verteilt und Ergebnisse in den Mittelpunkt gestellt werden. Es wird Zeit, dass das Marketing diesem Beispiel folgt und sich von traditionellen, risikoarmen Vergütungsmodellen verabschiedet. Wer sich weigert, den Paradigmenwechsel mitzugehen, riskiert nicht nur ineffiziente Budgets, sondern auch Innovations-Rückstand und Marktanteilsverluste. Demgegenüber eröffnen risikobasierte Anreizsysteme die Möglichkeit, Marketing neu zu denken und echte Partnerschaften zwischen Marke und Agentur zu etablieren, die auf langfristigem Erfolg und echtem Wachstum fußen.
Der Blick über den Tellerrand macht eines klar: Risiko ist kein Feind, sondern einer der stärksten Innovationsmotoren. Sowohl im Gesundheitswesen als auch im Marketing gilt es, die Balance zwischen Stabilität und Risikobereitschaft zu finden. Dabei steht die gemeinsame Verantwortung im Vordergrund, mit Transparenz und Vertrauen besser, kreativer und zielgerichteter zu arbeiten. Nur wer bereit ist, echte Anreize zu schaffen und die Komfortzone zu verlassen, kann überzeugen und nachhaltig erfolgreich sein. Die Zukunft gehört jenen, die Risiko und Verantwortung als Chance begreifen – und auf Basis von datengetriebenem Erfolg innovative Wege beschreiten.
Dieses Denken hat im Gesundheitswesen bereits begonnen, im Marketing hingegen ist es erst am Anfang. Die Zeit ist reif für einen Wandel, der beide Welten näher zusammenbringt und sowohl Patientengesundheit als auch Geschäftserfolg gleichermaßen fördert.