Linux ist seit Jahrzehnten ein Begriff, der in der IT-Welt und darüber hinaus weit verbreitet ist. Wenn Menschen von Linux sprechen, meinen sie oft ein Betriebssystem, das für eine Vielzahl von technischen Anwendungen genutzt wird. Doch technisch betrachtet ist Linux lediglich der Kernel, also der Kern eines Betriebssystems. Wie kommt es also, dass Linux im allgemeinen Sprachgebrauch als Betriebssystem verstanden wird? Um diese Frage zu beantworten, muss man sowohl die technische Definition von Kernel und Betriebssystem verstehen als auch die historische und kulturelle Entwicklung des Begriffs Linux betrachten. Der Kernel ist das Herzstück eines Betriebssystems.
Er verwaltet die Hardware-Ressourcen, steuert den Speicher, regelt die Prozessorzeit und sorgt für die Kommunikation zwischen Software und Hardware. Der Linux-Kernel ist nur dieser zentrale Part – der Teil, der direkt mit der Maschine interagiert. Ein vollständiges Betriebssystem braucht jedoch mehr als nur einen Kernel: Es benötigt auch Userland-Komponenten wie Shells, Dienstprogramme, Systembibliotheken und Anwendungen. Erst das Zusammenspiel all dieser Elemente bildet das, was Anwender als Betriebssystem erfahren. Historisch ist der Begriff Linux mit der Entwicklung des Linux-Kernels durch Linus Torvalds im Jahr 1991 verbunden.
In den Anfangstagen bestand das System neben dem Kernel aus vielen selbstgewählten Komponenten aus dem GNU-Projekt, das freie Softwarewerkzeuge und Bibliotheken bereitstellte. Das Zusammenspiel von Linux-Kernel und GNU-Bestandteilen schuf ein funktionierendes, vollständiges Betriebssystem, das heute oft schlicht als „Linux“ bezeichnet wird. Tatsächlich nennen einige Entwickler und Nutzer diese Kombination auch „GNU/Linux“, um den Beitrag des GNU-Projekts hervorzuheben. Im Sprachgebrauch hat sich jedoch „Linux“ eingebürgert, da es kürzer und einprägsamer ist. Ein weiterer Grund für die weitverbreitete Verwendung des Begriffs Linux für das gesamte Betriebssystem ist die praktische Kommunikation unter Nutzern und Entwicklern.
Für viele Anwender ist die genaue Trennung zwischen Kernel und Betriebssystem irrelevant, da sie das System als Einheit erleben. Wenn jemand sagt, er verwende Linux, meint er in der Regel nicht nur den Kernel, sondern das gesamte Software-Ökosystem inklusive der grafischen Oberflächen, Anwendungen und Systemtools. Interessanterweise wird diese sprachliche Vereinfachung auch bei anderen komplexen Begriffen beobachtet. Wie im Alltag häufig Metaphern und vereinfachte Ausdrücke Verwendung finden – etwa wenn man sagt, ein Flugzeug „fliegt“ oder ein Schiff „fährt“ – so übernehmen Nutzer lediglich eine pragmatische Beschreibung. Die technische Präzision bleibt oft im Hintergrund, denn für den Nutzer steht das praktische Erlebnis im Vordergrund.
Die Vielfalt der Linux-basierten Betriebssysteme, die als Distributionen bezeichnet werden, zeigt ebenfalls die etwas unscharfe Verwendung des Begriffs. Distributionen wie Ubuntu, Fedora oder Debian basieren alle auf dem Linux-Kernel, kombiniert mit unterschiedlichen Softwarepaketen und eigenen Anpassungen. Jede Distribution bietet ein komplettes System an, das vom Nutzer installiert und verwendet wird. Im Grunde könnte man sie als einzelne Betriebssysteme bezeichnen, aber alle haben gemeinsam auf den Kernel als Grundlage. Im Vergleich dazu existieren andere Kernel-basierte Systeme wie die BSD-Familie, die oft als vollständige Betriebssysteme wahrgenommen werden.
BSD-Systeme werden meist als Kernel zusammen mit dem offiziellen Userland vertrieben, wodurch es weniger häufig zu einer Trennung der Begriffe kommt. Linux hingegen ist historisch gewachsen durch die Kombination verschiedener Softwarekomponenten verschiedener Projekte. Das erschwert die strikte Unterscheidung im alltäglichen Sprachgebrauch. Auch das Thema Android ist hier relevant: Obwohl Android auf dem Linux-Kernel basiert, wird es nicht als Linux-Betriebssystem bezeichnet. Der Grund dafür liegt vor allem in der komplett unterschiedlichen Softwarearchitektur und Benutzererfahrung.
Android stellt ein eigenes Betriebssystem dar, das für mobile Geräte optimiert ist, unabhängig von den klassischen Linux-Distributionen für PCs oder Server. Die Unterscheidungen werden in technischen Fachkreisen klar gezogen, die breite Öffentlichkeit verwendet jedoch vereinfachte Begriffe zur Kommunikation. Ebenso spielt die Entwicklung des Open-Source-Ökosystems eine Rolle in der Wahrnehmung des Begriffs Linux. Seit den 1990er Jahren hat sich Linux im Zusammenspiel mit GNU und anderen freien Softwareprojekten zu einer umfassenden Plattform entwickelt, die viele Ansprüche eines modernen Betriebssystems erfüllt. Die Bezeichnung Linux für das Ganze ist somit auch ein Ausdruck der Erfolgsgeschichte und der kulturellen Identität der Open-Source-Bewegung.
Letztendlich ist die Bezeichnung von Linux als Betriebssystem eine Mischung aus technischer Vereinfachung, historischer Entwicklung und praktischer Kommunikation. Für Entwickler oder Fachleute mit tiefem Verständnis der Materie ist es selbstverständlich, dass Linux der Kernel ist, der Teil eines größeren Systems. Für die breite Masse gehört Linux aber einfach zu einem funktionierenden Betriebssystem, das man nutzt, installiert und erlebt. Diese Doppeldeutigkeit hat sich über Jahre gewachsen und wird aller Voraussicht nach auch in Zukunft weiter Bestand haben. Wer sich als Anwender oder Entwickler an Linux heranwagt, sollte sich der technischen Unterscheidung bewusst sein, aber auch die pragmatische Verwendung respektieren.