Die Bedeutung kleiner und mittelständischer Unternehmen (KMU) im Vereinigten Königreich lässt sich kaum überschätzen. Mit etwa 5,5 Millionen Unternehmen, die mehr als 16,5 Millionen Menschen beschäftigen, tragen KMU erheblich zur Wirtschaftskraft des Landes bei und erwirtschaften über 48 Prozent des gesamten Unternehmensumsatzes. Trotz dieser beeindruckenden Zahlen sind die Wachstumschancen und Potenziale zahlreicher KMU noch lange nicht vollständig ausgeschöpft. Ein wesentlicher Grund dafür ist die aktuelle Situation im Bereich der Unternehmensfinanzierung, die als eine Art fehlendes Bindeglied im volkswirtschaftlichen Wachstumsprozess der KMU gilt. Um die ambitionierten Wachstumsziele der britischen Regierung zu erreichen, ist es notwendig, geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen, die die Kreditvergabe und Finanzierung kleiner und mittlerer Unternehmen erleichtern und fördern.
Eine zentrale Herausforderung ist die gegenwärtige Finanzierungslandschaft, die sich in den letzten Jahren erheblich gewandelt hat. Nach der globalen Finanzkrise von 2008 dominierte noch ein enger Kreis großer Banken die Kreditvergabe an KMU. Rund 90 Prozent der Darlehen wurden in dieser Zeit von den vier größten Banken des Landes vergeben. Diese Konzentration führte dazu, dass Finanzierungsmöglichkeiten und Kreditoptionen stark eingeschränkt waren und die Kreditvergabe oft mit hohen Hürden verbunden war. Mittlerweile hat sich der Markt geöffnet, und nicht-traditionelle Kreditgeber haben an Bedeutung gewonnen.
Im Jahr 2024 kamen nicht-traditionelle Anbieter für 60 Prozent der jährlichen Bruttokreditvergabe an KMU auf. Zusätzlich wurden seit 2014 dreiunddreißig neue Banklizenzen speziell für KMU-Kreditgeber ausgestellt, was eine wachsende Vielfalt und Konkurrenz im Kreditsektor signalisiert.Trotz dieser Entwicklung stößt die derzeitige Finanzierungslandschaft an ihre Grenzen, wenn es darum geht, die Wachstumsambitionen kleiner und mittlerer Unternehmen zu unterstützen. Ein auffälliges Problem ist die konservative Risikobereitschaft der Kreditgeber. Aufgrund erhöhter Kapitalanforderungen und regulatorischer Vorgaben sind viele Banken und Finanzinstitutionen vorsichtiger geworden und konzentrieren sich vor allem auf sehr risikoarme Kredite.
Dies hat zur Folge, dass der Kreditmarkt für Unternehmen mit Wachstumsambitionen nur begrenzt zugänglich ist und viele Firmen sich scheuen, Fremdkapital aufzunehmen oder überhaupt einen Kreditantrag zu stellen.Ein weiteres Hemmnis ist die weithin bestehende Stigmatisierung von Unternehmensverschuldung. Viele Unternehmer zögern aufgrund negativer Assoziationen oder schlechter Erfahrungen, Kredite aufzunehmen. Dies zeigt sich deutlich in den Ergebnissen der Bank of England SME Finance Survey 2024, laut der 77 Prozent der KMU lieber langsam wachsen, als durch Fremdfinanzierung schneller expandieren zu wollen. Der Trend geht dahin, zunächst Cash-Reserven aufbauen und Stabilität sichern zu wollen, statt durch externe Mittel aggressivere Investitionen und Wachstum anzustreben.
Ergänzend dazu geben 60 Prozent der Unternehmen an, an geplanten Investitionen nicht festzuhalten, um bereits vorhandene liquide Mittel aufzubauen.Zusätzlich erschwert die Struktur der britischen Wirtschaft die Finanzierung kleiner und mittelständischer Unternehmen. Die zunehmende Konzentration auf den Dienstleistungssektor, der mittlerweile etwa 81 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmacht, verändert das typische Finanzierungsprofil. Dienstleistungsunternehmen verfügen oft nicht über klassisch greifbares Anlagevermögen oder große Sachwerte, die als Kreditsicherheiten dienen könnten. Dies limitiert die Möglichkeiten für „Borrow to Invest“-Strategien und erhöht das Risiko für Kreditgeber, die Absicherung durch greifbare Sicherheiten bevorzugen.
Die Herausforderungen auf dem britischen Kreditmarkt haben auch makroökonomische Auswirkungen. Verglichen mit anderen G7-Ländern liegt das Verhältnis der Kreditaufnahme nicht-finanzieller Unternehmen zum Bruttoinlandsprodukt in Großbritannien auf einem der niedrigsten Niveaus. Diese strukturelle Schwäche wirkt sich auf Investitionen, Produktivität und langfristiges Wirtschaftswachstum negativ aus. Das Potenzial ist also zweifellos vorhanden, wird aber durch ein restriktives Finanzierungsumfeld gebremst. Um diese Barrieren abzubauen, hat die britische Regierung 2025 die „Small Business Access to Finance Call for Evidence“ ins Leben gerufen.
Dieses Programm soll untersuchen, warum kleine Unternehmen trotz eines expandierenden Kreditmarktes Schwierigkeiten haben, bezahlbare Finanzierungen zu erhalten. Ziel ist es, auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse gezielte politische Maßnahmen umzusetzen, die die Finanzierungssituation für KMU nachhaltig verbessern.Eine der größten Herausforderungen wird es sein, das gesellschaftliche und wirtschaftliche Verständnis von „Schulden“ zu verändern und die Akzeptanz von Unternehmensverschuldung als notwendiges und strategisches Werkzeug für Wachstum zu fördern. Unternehmer und Kreditgeber müssen gleichermaßen motiviert werden, Risiken einzugehen und Wachstumsprojekte zu unterstützen. Die Schaffung eines ausgewogenen Risikomanagements, das innovationsfördernde Investitionen ermöglicht und gleichzeitig die Nachhaltigkeit sichert, ist essenziell.
Darüber hinaus bedarf es der Förderung innovativer Finanzierungsmodelle und neuer Instrumente, die über klassische Bankdarlehen hinausgehen. Alternative Finanzierungsquellen wie Venture Capital, Crowdfunding, Leasing oder Förderprogramme können ergänzend wirken, müssen aber in bestehende Finanzierungsketten besser integriert werden. Die zunehmende Digitalisierung und technologische Fortschritte bieten hier neue Chancen, Kreditanträge schneller, effizienter und transparenter zu gestalten, was potenziell zu einem besseren Zugang zu Kapital führen kann.Die Zukunft wächst also maßgeblich durch die Schaffung eines Finanzökosystems, das KMU als Rückgrat der britischen Wirtschaft befähigt, ihr volles Potenzial auszuschöpfen. Die Bereitschaft von Finanzinstituten, das Risiko von Wachstum zu akzeptieren, sowie die politische Förderung einer positiven Kreditkultur sind dabei Schlüsselfaktoren, um Investition, Innovation und Beschäftigung nachhaltig anzukurbeln.
Ohne eine wirksame Finanzierung wird das Wachstum von KMU behindert – und damit auch die gesamte wirtschaftliche Entwicklung des Landes.Die Herausforderungen sind bekannt, die Lösungsansätze sind in der Diskussion, doch die Umsetzung bleibt entscheidend. Eine moderne, flexible und zukunftsorientierte Finanzierungspolitik für KMU könnte das fehlende Bindeglied in der Wachstumsstrategie des Vereinigten Königreichs darstellen. Damit sind kleine und mittelständische Unternehmen besser gerüstet, um Innovationen voranzutreiben, Arbeitsplätze zu schaffen und einen wichtigen Beitrag zur Stärkung der britischen Wirtschaft – und darüber hinaus – zu leisten.