Die politische Landschaft Israels steht vor einer der tiefgreifendsten Herausforderungen seit Jahren, ausgelöst durch den Plan von Premierminister Benjamin Netanjahu, eine umfassende militärische Offensive im Gazastreifen zu starten. Die geplante Eroberung und anschließende Besetzung von Territorium in Gaza, bei der das erklärte Ziel darin besteht, die Herrschaft der Hamas zu zerschlagen und verbleibende Geiseln zu befreien, hat weitreichende Auswirkungen – nicht nur auf die Sicherheit und Zukunft Israels, sondern auch auf die humanitäre Situation in Gaza und die weltweite Wahrnehmung des Konflikts. Die Ankündigung Netanjahus, dass Israels Verteidigungsstreitkräfte nicht nur Gaza betreten, sondern Terrain erobern und dauerhaft halten wollen, markiert eine drastische Eskalation im seit Oktober 2023 schwelenden Konflikt. Israels Regierung sieht hierbei den Kollaps der Hamas als notwendige Voraussetzung für die Sicherheit des Landes. Doch die Gefahren dieser Strategie sind sowohl für die Bevölkerung in Gaza als auch für Israels eigene Gesellschaft immens.
Diverse Stimmen innerhalb des Landes, darunter auch viele Reservisten, verweigern zunehmend den Militärdienst mit Verweis auf ethische Bedenken und die politischen Motive hinter der Offensive. Die Verlängerung des Gaza-Kriegs steht im Zentrum der Kritik vieler alliierter Staaten, insbesondere europäischer Länder wie Großbritannien, Frankreich und Deutschland. Nicht nur warnen sie vor einer humanitären Katastrophe aufgrund der Blockade, die den Zugang von lebensnotwendigen Hilfsgütern wie Nahrungsmitteln und medizinischer Versorgung seit Monaten verhindert, sondern weisen auch auf mögliche Verstöße gegen internationales Recht hin. Die Blockade wird zunehmend als Waffe interpretiert, die gezielt die Zivilbevölkerung trifft, was im schlimmsten Fall Kriegsverbrechen bedeuten könnte. Das UN-Hilfswerk hat sich bereits deutlich gegen die Verteilung humanitärer Hilfe durch nichtstaatliche Akteure ausgesprochen, da dies die Prinzipien unparteiischer Hilfe verletze.
Innerhalb Israels sorgen die Stimmen extremistischer Politiker wie Finanzminister Bezalel Smotrich für weitere Verstimmung. Seine Aussagen über die vollständige Zerstörung Gazas innerhalb von sechs Monaten und die angedeutete „Relokation“ der palästinensischen Bevölkerung erinnern an historische Debatten über Zwangsumsiedlungen und werfen ernsthafte ethische und rechtliche Fragen auf. Solche Äußerungen tragen zur Spaltung der israelischen Gesellschaft bei und nähren Ängste vor einem dauerhaften Demographiewandel zugunsten jüdischer Siedler in ehemals palästinensischen Gebieten. Die Regierung Netanjahus sieht in der militärischen Offensive den einzigen Weg, den Druck auf Hamas zu erhöhen und die Freilassung der Geiseln zu gewährleisten. Allerdings zeigen vergangene Erfahrungen, dass größere Freilassungen meist während Waffenruhen erzielt wurden und militärische Eskalationen nicht zwangsläufig zu humanitären Erfolgen führen.
Der Konflikt hat sich von einem konventionellen Krieg zu einem langwierigen Aufstands- und Guerillakrieg entwickelt, der Israel vor neue Herausforderungen stellt. Experten warnen davor, dass die heutige Strategie das Potenzial für eine anhaltende Gewaltspirale birgt, die in einer „dauerhaften Aufstandsbewegung“ münden kann. Die humanitären Kosten für die Menschen in Gaza sind enorm. Mehr als 2,5 Millionen Menschen sind durch die jahrelangen Spannungen und die aktuelle Blockade in prekären Verhältnissen gefangen. Die langfristige Nahrungsmittelknappheit, der Mangel an medizinischer Versorgung und die ständigen Bombardierungen haben zu einer Verschlechterung der Lebensbedingungen geführt und die Gesundheit von Schwangeren, Kindern und alten Menschen gravierend beeinträchtigt.
Die Blockade Israels und die Reaktionen der internationalen Gemeinschaft haben die Dringlichkeit unterstrichen, einen politischen Ausweg zu finden, der sowohl die Sicherheit Israels gewährleistet als auch die Würde und Rechte der Palästinenser wahrt. Internationale Organisationen und Länder beobachten die Situation mit wachsender Besorgnis. Der Vorwurf, Israel verletze internationales humanitäres Recht, wird von verschiedenen Stellen geprüft, darunter auch von Menschenrechtsorganisationen und Gerichten wie dem Internationalen Gerichtshof. Die Regierung Netanjahu sieht sich mit einer wachsenden Zahl von Klagen wegen möglicher Kriegsverbrechen konfrontiert, die sich vor allem auf die Blockade und den Umgang mit der Zivilbevölkerung beziehen. Gleichzeitig erschwert die politische und gesellschaftliche Spaltung innerhalb Israels das Finden eines Konsenses über eine friedliche Lösung und einen verantwortungsvollen Umgang mit der Krise.
Das politische Kalkül hinter der Fortsetzung der Offensive wird nicht nur extern hinterfragt, sondern auch im eigenen Land. Kritiker werfen Netanjahu vor, dass er aus Angst vor einem Regierungssturz durch harte rechte Kräfte die Eskalation wähle, um seine Machtbasis zu sichern. Der Brüchigkeit der Regierung und der zunehmenden Ablehnung des Krieges durch Teile der Bevölkerung steht eine politische Rhetorik entgegen, die sich an harte Sicherheitsversprechen und nationalistische Forderungen anlehnt. Diese innenpolitische Zerrissenheit hat auch Auswirkungen auf die israelische Gesellschaft auf lange Sicht. Die gesellschaftlichen Gräben werden tiefer, wenn immer mehr Bürger die Strategie des Militärs als riskant und ethisch fragwürdig empfinden.
Gleichzeitig sorgt die anhaltende Gewalt im Gazastreifen für internationale Kritik und isoliert Israel in der Welt zunehmend. Die Bilder von Leid und Zerstörung in Gaza polarisieren global und führen zu Protesten sowie zu einem Vertrauensverlust bei traditionellen Verbündeten. Die Rolle externen Einflusses, besonders von Seiten der USA, ist nicht zu unterschätzen. Die diplomatischen Bemühungen US-amerikanischer Politiker, einschließlich der angekündigten Reisen und Verhandlungen, könnten kurzfristig Einschränkungen der Offensive bewirken oder zumindest zu einer Verlängerung der Waffenruhe beitragen. Doch die Komplexität der internen politischen Konstellationen in Israel und die Zielsetzungen der beteiligten Akteure erschweren schnelle Lösungen.