Künstliche Intelligenz (KI) ist eines der revolutionärsten Technologien unserer Zeit und verspricht, Wirtschaftsstrukturen und Gesellschaften grundlegend zu verändern. Doch wie wirken sich die Fortschritte in der KI wirklich auf die gesamte Volkswirtschaft aus? Anhand einer umfassenden Analyse des renommierten Ökonomen Daron Acemoglu wird deutlich, dass die makroökonomischen Auswirkungen von KI zwar bedeutend, aber in gewisser Hinsicht auch begrenzt sind. Sein Ansatz verbindet mikroökonomische Einsichten mit einem makroökonomischen Rahmen, der auf einem sogenannten task-basierten Modell beruht, um Automatisierung und komplementäre Aufgaben systematisch auszuwerten. Dieses Modell ermöglicht eine realistische Einschätzung der Produktivitätsgewinne und der Verteilungseffekte, die durch den Einsatz von KI entstehen. Die Grundannahme von Acemoglus Analyse beruht auf Hultens Theorem, das die gesamtwirtschaftliche Produktivitätserhöhung mit den Produktivitätsverbesserungen auf der Ebene einzelner Aufgaben verknüpft.
Solange KI-Anwendungen vor allem Kostenersparnisse und Effizienzsteigerungen bei einzelnen Tätigkeiten bewirken, lassen sich die Auswirkungen auf das Bruttoinlandsprodukt (BIP) anhand der betroffenen Aufgabenanteile und der durchschnittlichen Kostensenkungen quantifizieren. Aktuelle Schätzungen legen nahe, dass KI über einen Zeitraum von zehn Jahren die totale Faktorproduktivität (TFP) um etwa 0,71 Prozent steigern könnte – ein Wert, der einer signifikanten, aber keineswegs revolutionären Verbesserung entspricht. Interessant ist jedoch die kritische Betrachtung, dass frühe KI-Erfolge vor allem bei vergleichsweise einfachen und klar definierbaren Aufgaben erzielt werden konnten. Bei komplexeren, schwer erlernbaren Tätigkeiten, die von vielen Kontextfaktoren abhängen und für die es keine eindeutigen Erfolgskriterien gibt, gestaltet sich die Automatisierung deutlich schwieriger. Daraus folgt, dass die langfristigen Produktivitätsgewinne konservativer geschätzt werden müssen.
Acemoglu veranschlagt den effektiven Zuwachs der TFP über die nächsten zehn Jahre auf weniger als 0,55 Prozent, was die Grenzen der Automatisierung durch KI in anspruchsvollen Arbeitsfeldern verdeutlicht. Diese nüchterne Prognose steht im Gegensatz zu den oft euphorisch verbreiteten Erwartungen, dass KI-Technologien in naher Zukunft massive Produktivitätssprünge auslösen und das Wirtschaftswachstum exponentiell steigern werden. Vielmehr zeigt sich, dass das Wirtschaftswachstum durch KI zwar gestützt, aber nicht dramatisch beschleunigt wird. Die Effekte sind spürbar, jedoch mit Blick auf das gesamte Wirtschaftssystem überschaubar. Dies wirft wichtige Fragen hinsichtlich der langfristigen Ausgestaltung von Wirtschaftspolitik und Arbeitsmarktstrategien auf.
Neben der Produktivität sind die Auswirkungen von KI auf Arbeitsmarkt und soziale Ungleichheit von zentralem Interesse. Acemoglus theoretische Modelle offenbaren eine ambivalente Wirkung: Selbst wenn KI die Produktivität von geringqualifizierten Arbeitskräften bei bestimmten Tätigkeiten erhöht, muss dies nicht zwangsläufig zu einer Verringerung der Einkommensungleichheit führen. Tatsächlich könnte sich die Kluft zwischen verschiedenen Gruppen sogar vergrößern, wenn KI vor allem bestehende Tätigkeiten effzienter macht, ohne gleichzeitig neue, besser bezahlte Aufgaben zu schaffen. Empirische Untersuchungen untermauern zudem, dass die Verteilungseffekte von KI differenzierter verlaufen als bei früheren Automatisierungstechnologien. Die neuen KI-Anwendungen wirken sich tendenziell gleichmäßiger über demografische Gruppen hinweg aus und führen daher nicht zu erheblich steigender Ungleichheit zwischen beispielsweise Geschlechtern oder ethnischen Gruppen.
Allerdings besteht keine Evidenz dafür, dass KI die Einkommensungleichheit insgesamt nachhaltig verringert. Eine weitere Herausforderung stellt die Verschiebung der Einkommensquellen zwischen Arbeit und Kapital dar, denn KI begünstigt eher Kapitalbesitzer, was die Verteilung zugunsten von Vermögenswerten verschieben kann. Die Diskussion um KI muss über rein ökonomische Aspekte hinausgehen. Ein besonderes Anliegen ist die Frage nach dem Wert der von KI geschaffenen neuen Aufgaben. Einige dieser neuen Tätigkeiten können durchaus einen negativen sozialen Wert haben, wie etwa die Entwicklung von Algorithmen zur Manipulation von Online-Inhalten oder zur Verstärkung von Fehlinformationen.
Diese „toxischen“ Aufgaben stellen nicht nur ethische Herausforderungen dar, sondern wirken sich auch auf die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt aus und sollten daher in makroökonomischen Modellen Berücksichtigung finden. Die Politik steht vor der Aufgabe, die Chancen der KI-Technologien zu fördern, zugleich aber negative Auswirkungen zu begrenzen. Dazu gehört es, den Wandel auf dem Arbeitsmarkt durch Weiterbildung und Umschulung abzufedern, gerechte Verteilungseffekte zu begleiten und regulatorische Rahmenbedingungen zu schaffen, die Missbrauch verhindern. Der Erhalt und Ausbau sozialer Sicherungssysteme sowie Investitionen in humankapitalorientierte Innovationen sind weitere wichtige Maßnahmen. In der Zukunft wird die makroökonomische Bedeutung von KI stark davon abhängen, wie gut es gelingt, komplexe und anspruchsvolle Aufgaben mit Hilfe von KI zu bewältigen, die bisher als „hard-to-learn“ galten.