Im Zuge der zunehmenden Digitalisierung und der immer komplexer werdenden Bedrohungslage im Cyberraum ist Verschlüsselung zu einem integralen Bestandteil der Sicherheitsstrategie Europas geworden. Die Europäische Kommission hat mit der Veröffentlichung ihrer neuen Sicherheitsstrategie ProtectEU den Grundstein für eine fünfjährige Roadmap zur Verschlüsselung gelegt. Diese Initiative soll nicht nur technologische Fortschritte fördern, sondern auch einen ausgewogenen Umgang mit Fragen der Privatsphäre, Cybersicherheit und den Rechten der Bürgerinnen und Bürger gewährleisten. Doch statt einer konzertierten Zusammenarbeit mit der Fachwelt machen sich bereits Bedenken breit. Technikexperten und digitale Menschenrechtsorganisationen fordern vehement, dass ihre Stimme bei den Verhandlungen und der Gestaltung der EU-Roadmap gehört wird, um einen wissenschaftlichen und praxisnahen Rahmen zu schaffen.
Die Herausforderungen, vor denen Europa steht, sind vielschichtig, doch die Rolle der Verschlüsselung als Schutzschild für die digitale Freiheit ist unbestritten. Ohne sie wäre eine sichere Kommunikation über digitale Kanäle kaum denkbar, und mit ihr werden grundlegende Rechte wie Datenschutz, Meinungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung gesichert. Allerdings zieht die Diskussion auch jene Aspekte in den Fokus, die Verschlüsselung und deren Einschränkungen betreffen – insbesondere wenn es um den möglichen Zugriff von Strafverfolgungsbehörden auf verschlüsselte Daten geht. Kritiker warnen davor, dass sogenannte Hintertüren in Verschlüsselungssystemen zu massiven Sicherheitslücken führen. Die technische Realität zeigt, dass eine schwächere Verschlüsselung oder ein Zugriff für Behörden stets auch das Risiko erhöht, dass Kriminelle oder autoritäre Regime diese Schwachstellen ausnutzen können.
Die Gruppe europäischer digitaler Rechteorganisationen, angeführt von European Digital Rights (EDRi), hat im April 2025 gemeinsam mit 43 renommierten Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Technik einen offenen Brief an die EU-Kommission unter der Verantwortlichkeit der Kommissarin Virkkunen gerichtet. Darin fordern sie nicht nur eine transparente und evidenzbasierte Herangehensweise bei der Gestaltung der Roadmap, sondern auch ein Mitspracherecht bei den Entscheidungen, um sicherzustellen, dass technische Fakten und Menschenrechte gleichermaßen Berücksichtigung finden. Die vergangenen Jahre verdeutlichen, wie brisant das Thema ist. Frühere Vorschläge, die durch das umstrittene Hohe Gremium für den Zugang zu Daten für die effektive Strafverfolgung veröffentlicht wurden, stießen auf erhebliche Kritik sowohl von Seiten der Technik-Community als auch von Datenschützern. Statt einer nachhaltigen Lösung, die den Schutz der Privatsphäre wahrt, drohen Konzepte, die bestehende Sicherheitsmechanismen aufweichen – zum Schaden aller Nutzerinnen und Nutzer.
Experten betonen daher: Es gibt kein technisches Verfahren, um eine globale, verschlüsselte Kommunikation für Strafverfolgungsbehörden zugänglich zu machen, ohne gleichzeitig Gelegenheit für Missbrauch zu bieten. Dies ist keine politisch motivierte Meinung, sondern wissenschaftlich belegte Tatsache. Der Aufruf der technischen Fachwelt an die EU-Kommission spiegelt somit die dringende Notwendigkeit wider, komplexe technische Sachverhalte kompetent zu berücksichtigen und politische Entscheidungen vor allem auf objektiven Grundlagen zu basieren. Nur so kann Europa eine digitale Sicherheitsinfrastruktur aufbauen, die weder die Sicherheit noch die Freiheit der Bürger aufs Spiel setzt. Die Rolle der EU-Kommission ist hierbei von entscheidender Bedeutung.
Nach den Erfahrungen mit der vorherigen Kommissarin, die sich mit der umstrittenen Verordnung zum Schutz von Kindern vor sexuellem Missbrauch befasste und dabei Expertenmeinungen oft ignorierte, hoffen viele auf einen neuen Ansatz unter Kommissarin Virkkunen. Ein Ansatz, der stärker auf den Dialog mit technischen und zivilgesellschaftlichen Akteurinnen und Akteuren setzt und sich an bewährten wissenschaftlichen Erkenntnissen orientiert. Dies ist gerade vor dem Hintergrund der geopolitischen Spannungen und der wachsenden Bedrohungen im Cyberraum ein ausgesprochen relevanter Punkt. Europa benötigt robuste und vertrauenswürdige Technologien, die nicht nur Sicherheitslücken minimieren, sondern auch die Grundrechte der Menschen respektieren und schützen. In diesem Spannungsfeld müssen Politik und Technik Hand in Hand gehen – denn ohne fundiertes technisches Wissen und transparente, inklusive Prozesse ist eine erfolgreiche und nachhaltige Sicherheitspolitik nicht zu leisten.
Die Forderung der technischen Experten nach einem Platz am Tisch der EU-Roadmap zur Verschlüsselung ist somit nicht nur eine Bitte um Beteiligung, sondern ein essenzieller Schritt, um die Zukunft der digitalen Freiheit mitzugestalten. Nur durch die Zusammenarbeit von Politik, Wissenschaft, Technik und Zivilgesellschaft können sichere Systeme entwickelt werden, die sowohl den Anforderungen der Strafverfolgung als auch den legitimen Datenschutzinteressen gerecht werden. Europäische Digital Rights (EDRi) und ihre Partner sehen sich dabei in der Rolle von Fürsprechern der Rechte aller Nutzerinnen und Nutzer und wollen konstruktiv an der Gestaltung der Roadmap mitwirken. Sie bieten der Kommission ihre Expertise an, um gemeinsam Lösungen zu erarbeiten, die technologische Innovationen mit den Anforderungen an Sicherheit und Menschenrechte vereinen. Die kommenden Monate werden zeigen, in welchem Maße die EU-Kommission bereit ist, diesen Dialog zu führen und die notwendigen Rahmenbedingungen für eine zukunftsfähige Verschlüsselungspolitik zu schaffen.
Angesichts der Bedeutung der Verschlüsselung für die digitale Gesellschaft darf ihr Einfluss auf Gesetzgebung und Sicherheitsstrategien nicht unterschätzt werden. Die enge Zusammenarbeit mit technischen Expertinnen und Experten ist der Schlüssel zu einer erfolgreichen und demokratisch legitimen Roadmap. Nur so lässt sich gewährleisten, dass Europa die Chancen der Digitalisierung verantwortungsvoll nutzt und gleichzeitig die Risiken effektiv mindert. In einer Zeit, in der digitale Rechte zunehmend unter Druck geraten, ist die bewusste und evidenzbasierte Gestaltung von Verschlüsselungsstrategien ein unverzichtbarer Baustein für die Sicherung der Freiheitsrechte ihrer Bürger. Die Forderung nach einem Platz am Verhandlungstisch steht für den Wunsch nach Transparenz, Beteiligung und einer nachhaltigen Sicherheitspolitik im digitalen Zeitalter, die gleichermaßen den Schutz der Privatsphäre und die öffentliche Sicherheit gewährleistet.
Europas Weg in eine sichere digitale Zukunft steht damit stellvertretend für den globalen Kampf um ein freies und sicheres Internet – eine Aufgabe, die nur gemeinsam bewältigt werden kann.