Der Krieg in der Ukraine hat die Art und Weise, wie moderne Kriegsführung und Waffentechnologien betrachtet werden, grundlegend verändert. Besonders auffällig ist der Einfluss der iranischen Shahed-Drohnen, welche seit September 2022 eine zentrale Rolle im Konflikt spielen. Ihre Fähigkeit, als Einweg-Angriffswaffen kostengünstig und in großen Mengen eingesetzt zu werden, hat bei europäischen Verteidigungsunternehmen zu einem Umdenken und einer schnellen technologischen Reaktion geführt. An vorderster Front steht das Unternehmen MBDA, Europas größter Hersteller von Raketen und Lenkflugkörpern, das nun an der Entwicklung einer eigenen Shahed-ähnlichen Einweg-Drohne arbeitet, die auf den Namen One-Way Effector hört.Diese neuartige Drohne wurde erstmals auf der Pariser Luftfahrtausstellung vorgestellt und stellt eine Antwort Europas auf die Herausforderungen moderner Konflikte dar.
Die One-Way Effector zeichnet sich vor allem durch ihre Fähigkeit aus, in großen Mengen hergestellt zu werden, wobei MBDA sogar mit einem französischen Automobilhersteller kooperiert, um Produktionszahlen von bis zu 1.000 Drohnen pro Monat zu erreichen. Diese Skalierbarkeit ist entscheidend für die taktische Nutzung – das Ziel ist, gegnerische Luftabwehrsysteme durch schiere Menge zu überwältigen und zu erschöpfen.Wesentliche technische Merkmale heben die One-Way Effector von ihren Vorbildern ab. Während die Shahed-Drohnen meist von langsameren Kolbentreibwerksmotoren angetrieben werden und eine Höchstgeschwindigkeit von etwa 115 Meilen pro Stunde erreichen, setzt MBDA auf einen modernen Jet-Antrieb.
Dieser verschafft der Drohne eine Geschwindigkeit von bis zu 250 Meilen pro Stunde, was ihre Abfangbarkeit reduziert und die Überlebenschance im Kampf erhöht. Trotz einer geringeren Reichweite von circa 310 Meilen im Vergleich zu über 1.000 Meilen der Shahed-136 wird die MBDA-Drohne mit einem effektiven 80-Pfund-Kampfkopf bestückt, der ausreichend zerstörerische Kraft mitbringt.Das Konzept hinter der One-Way Effector basiert auf dem Prinzip der Massierung und Sättigung. Viele moderne Luftabwehrsysteme sind auf den Schutz gegen einzelne oder wenige Angriffe ausgelegt, nicht aber auf gleichzeitige, großflächige Bedrohungen aus der Luft.
Durch die Kombination von hunderten oder tausenden preisgünstiger Einweg-Drohnen mit teureren und präziseren Lenkwaffen können Angriffsszenarien erschaffen werden, die ein effektives Abschießen nahezu unmöglich machen. Dies ermüdet die gegnerischen Luftverteidigungskräfte nicht nur physisch, sondern führt auch zum Verbrauch ihres teuren Raketenbestands. In der Ukraine sieht man dieses Angriffsmodell bereits in der Praxis: Russische Streitkräfte kombinieren Shahed- und Geran-Drohnenangriffe mit konventionellen ballistischen Raketen und Marschflugkörpern, um verteidigende Kräfte zu überwältigen.Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Herstellungskostenstruktur. MBDA betont, dass die One-Way Effector nur einen Bruchteil der Kosten eines herkömmlichen Marschflugkörpers verursacht.
Dies resultiert auch aus dem Einsatz von standardisierten, im zivilen Bereich verfügbaren Komponenten sowie dem Gebrauch von Kampfstoffmunition aus Artilleriegeschossen. Die Verwendung von Bauteilen aus der Massenproduktion trägt zu schnellen Fertigungszeiten bei und ermöglicht eine flexible Anpassung an operative Anforderungen.Das Design der Drohne ist nicht auf Tarnkappentechnologie ausgelegt, was sie auf den ersten Blick leichter erkennbar macht. Dennoch ist die Geschwindigkeit und die Masse an Drohnen, die auf ein Ziel abgefeuert werden, ein strategischer Ausgleich. Zudem ist eine Modifikation des Kampfsystems und die Integration von nicht-kinetischen Kampfmitteln denkbar, was die Einsatzmöglichkeiten in zukünftigen Konflikten noch erweitert.
Im Gegensatz zu anderen modernen Projekten wie dem MBDA-Orchestrike-System, das auf KI-gestützte Koordination von Luft-Boden-Präzisionsmunition ausgelegt ist, ist die One-Way Effector auf eine simpelere Einsatztaktik fokussiert. Einzeln kommunizieren die Drohnen nicht miteinander, sie sind jedoch in der Lage, in Gruppen – sogenannten „Packs“ – gleichzeitig auf Ziele zuzusteuern. Dies erhöht ihre Wirkung durch koordinierte Angriffe ohne komplexe künstliche Intelligenz an Bord.Das Timing der Entwicklung ist ebenfalls bemerkenswert. Erst im Dezember 2024 startete das Projekt und der erste Testflug ist für Herbst 2025 geplant.
Ein schneller Markteintritt ist möglich, da der Bedarf der französischen Streitkräfte und wohl auch weiterer europäischer Nationen hoch ist. Dieser schnelle Entwicklungszyklus zeigt, wie sehr der Krieg in der Ukraine technologische Innovationen vorantreibt und den militärischen Bedarf an neuen Waffenklassen beschleunigt.Aus strategischer Perspektive reflektiert die Entwicklung dieser Drohne veränderte sicherheitspolitische Rahmenbedingungen in Europa. Das Gefühl der Unsicherheit in Bezug auf zukünftige Unterstützung durch die Vereinigten Staaten und die neue Bedrohungslage durch Russland führen zu einem „Moment der Wahrheit“ für den Kontinent, wie es MBDA-CEO Éric Béranger beschreibt. Der Wunsch nach einer „Rückkehr zur Masse“ in der Kriegführung genährt von der Erkenntnis, dass hochpräzise, aber teure Waffensysteme allein nicht ausreichen, ist ein Ergebnis dieser geopolitischen Verschiebungen.
Darüber hinaus sind solche Einweg-Drohnen nicht nur eine Frage der Effizienz, sondern auch ein Modell moderner Kriegführung im 21. Jahrhundert. Die Abkehr von massiven, teuren Waffen hin zu vielseitigen, preiswerten und schnell reproduzierbaren Angriffsvehikeln verändert das Gleichgewicht zwischen Verteidigung und Angriff grundlegend. Die Massierung von Einweg-Drohnen stellt eine neue Form der asymmetrischen Kriegsführung dar, die auch kleineren Mächten vergleichbare Schlagkraft verleiht.Die zunehmende Entwicklung von Drohnen mit vielseitigen Nutzlasten, inklusive elektronischer Kriegsführung oder Cyberattacken, deutet darauf hin, dass konventionelle Kampfmittel künftig ergänzt oder sogar ersetzt werden können.
Die Einweg-Drohne, wie die One-Way Effector, ist deshalb ein Baustein zu einem komplexeren Netzwerk aus Angriffsmitteln, die koordiniert und auf verschiedenen Ebenen operieren.Ein weiterer Faktor, der für die Akzeptanz und Verbreitung solch kostengünstiger Systeme spricht, ist die einfache Integration in bestehende militärische Infrastrukturen. Die Startvorrichtungen können mobil sein und müssen keine komplexen Abschussanlagen darstellen. Dies erhöht die Flexibilität und Reaktionsgeschwindigkeit in Gefechtssituationen erheblich.Die politische Dimension darf dabei nicht außer Acht gelassen werden.
Die Einführung großer Bestände budgetfreundlicher Angriffsdrohnen wird demokratische Entscheidungsprozesse in Ländern mit Parlamenten beeinflussen, da die Hemmschwelle zur Nutzung solcher Systeme geringer sein könnte. Gleichzeitig bleibt der Umgang mit Drohnenangriffen und deren völkerrechtlichen Auswirkungen ein kontrovers diskutiertes Thema.Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die von MBDA entwickelte One-Way Effector ein bedeutendes Beispiel für den Wandel in der Kriegsführung darstellt. Inspiriert vom blutigen, langwierigen Konflikt in der Ukraine, angepasst an europäische Produktionskapazitäten und Anforderungen des modernen Schlachtfelds, könnten diese Shahed-ähnlichen Einweg-Drohnen die Luftverteidigung in Zukunft vor enorme Herausforderungen stellen. Ihre kosteneffiziente Massenfertigung, die Geschwindigkeit und die Zusammenarbeit mit präzisen, teureren Waffensystemen zeigen, wie technologische Innovation und strategisches Denken zusammenspielen, um zukünftige Sicherheitsbedrohungen zu bewältigen.
Europas Antwort auf die iranisch-russische Drohnenbedrohung ist damit zugleich ein Ausdruck neuer Militärdoktrinen und eine Weichenstellung für den Verteidigungswettbewerb dieses Jahrhunderts.