Die Diskussion um das vermeintliche Ende der sogenannten Großen Stagnation gewinnt zunehmend an Bedeutung. Während sich in vielen Lebensbereichen technologische Fortschritte und Innovationen unübersehbar zeigen, bleiben die offiziellen Produktivitätszahlen überraschend schwach. Besonders auffällig ist, dass trotz des rasanten Wachstums im Bereich künstlicher Intelligenz (KI) und Digitalisierung die Totalfaktorproduktivität (TFP) nicht die erwarteten Sprünge macht. Dieses Paradox wirft die Frage auf, ob unsere Messmethoden für wirtschaftliche Produktivität noch zeitgemäß sind oder ob echte Fortschritte schlicht nicht in den Zahlen sichtbar werden. Die Debatte ist nicht neu, gewinnt aber durch den Einsatz moderner Technologien eine neue Dimension.
Die Totalfaktorproduktivität, so betonen viele Ökonomen, gilt als eine der wichtigsten Kennzahlen, um den Fortschritt einer Volkswirtschaft zu messen. Sie erfasst, wie effizient Produktionsfaktoren wie Arbeit und Kapital eingesetzt werden, um Wachstum zu generieren. Doch die jüngste Zahl von minus 3,88 Prozent Jahreswachstum im ersten Quartal 2025 ist ernüchternd und zeigt, dass auf dieser Ebene keine Erholung im Produktivitätswachstum zu erkennen ist – ganz im Gegensatz zu den sichtbaren technologischen Fortschritten im Alltag und der Wirtschaft. Viele Experten argumentieren, dass das Problem weniger im wirtschaftlichen Fortschritt selbst liegt, sondern vielmehr in der Art und Weise, wie Produktivität gemessen wird. Traditionelle Indikatoren fokussieren sich auf materielle Produktion und marktfähige Dienstleistungen, während bedeutende Fortschritte im digitalen und immateriellen Bereich oftmals unterbewertet oder gar nicht erfasst werden.
Digitale Innovationen haben zu einer Demokratisierung von Information und Wissen geführt, und viele kostensparende Technologien verbessern die Lebensqualität, ohne direkt das Bruttoinlandsprodukt (BIP) zu erhöhen. Beispielsweise kann der Lehrer, der durch den Einsatz von großen Sprachmodellen (Large Language Models, LLMs) seine Unterrichtsvorbereitung deutlich verkürzt, seine persönliche Produktivität steigern, ohne dass sich diese Ersparnis unmittelbar in offiziellen Statistiken widerspiegelt. Der Effekt ist vielmehr eine Freisetzung von Freizeit oder besserer Lebensqualität, die traditionell nicht als Produktivitätszuwachs gewertet wird. Ein weiteres Phänomen, das zu der Diskrepanz beiträgt, ist die sogenannte Dematerialisierung beziehungsweise Demonitarisierung der Wirtschaft. Digitale Güter haben oft einen nahezu null Grenzkostenwert.
Die Verbreitung von Musik, Filmen oder Software verursacht keine nennenswerten zusätzlichen Kosten pro Nutzer mehr, weshalb ihre monetäre Abbildung schwierig ist. Obwohl diese Güter erheblichen Nutzen stiften und die Zufriedenheit der Menschen steigern, schlägt sich dies nur bedingt in den Produktivitätskennzahlen nieder. Darüber hinaus sind viele moderne Innovationen stark serviceorientiert und qualitativ orientiert. Die Qualität von Dienstleistungen, wie etwa der Zugang zu umfangreichen Online-Datenbanken oder verbesserten Gesundheitsservices, kann erheblich besser werden, ohne dass dies automatisch zu einem höheren Produktionswert im engeren Sinn führt. Die Schwierigkeit, solche qualitativen Verbesserungen zu quantifizieren, führt zu einer strukturellen Unterschätzung der technologischen Fortschritte in der Volkswirtschaft.
Manche Kritiker bemängeln, dass das BIP, als Basis für viele Produktivitätsberechnungen, nicht mehr geeignete Größenordnung für das 21. Jahrhundert ist. Ursprünglich entwickelt, um industrielle Produktionsprozesse zu messen, wird das BIP den Herausforderungen einer innovationsgetriebenen, digitalen und dienstleistungsorientierten Weltwirtschaft nicht mehr vollständig gerecht. Deshalb plädieren Wissenschaftler und Ökonomen für neue, ergänzende Messgrößen, die den Einfluss von Innovationen, Qualitätsverbesserungen und Freizeitwert besser erfassen. Neben methodischen Herausforderungen gibt es auch wirtschaftspolitische Implikationen.
Unternehmen, die zum Beispiel durch Automatisierung und KI-gestützte Prozesse Personalkosten reduzieren können, stehen vor der Herausforderung, dass weniger Angestellte auch weniger Kunden bedeuten können, womit potenziell Umsatzrückgänge einhergehen. Dies führt zu einem komplexen Gleichgewicht zwischen Effizienzsteigerung und nachhaltigem Wachstum. Insgesamt zeigt die Diskussion, dass wir uns in einer Übergangsphase befinden. Die sichtbaren Anzeichen technologischen Wandels stehen einem scheinbaren Stillstand in offiziellen Produktivitätsstatistiken gegenüber. Dies legt nahe, dass wir unsere Art und Weise, Wirtschaftswachstum und Fortschritt zu messen, überdenken müssen.
Die Herausforderungen betreffen nicht nur Ökonomen und Statistiker, sondern haben auch weitreichende gesellschaftliche und politische Bedeutung. Während wir also das Ende der Großen Stagnation an vielen Stellen bereits erleben können, bleiben entsprechende Signale in den traditionellen Produktivitätskennzahlen bislang aus. Dies heißt jedoch nicht zwangsläufig, dass Fortschritt ausbleibt – vielmehr spiegeln die Statistiken die komplexe Realität einer sich wandelnden Ökonomie nur unzureichend wider. Eine genauere, ganzheitlichere Erfassung von Produktivität, die den immateriellen Wert und die Lebensqualität stärker berücksichtigt, erscheint als entscheidender Schritt, um zukünftige Entwicklungen realistisch abbilden und fundiert bewerten zu können. Der Fokus sollte daher auf der Entwicklung neuer Methodologien liegen, die der Innovationsdynamik des digitalen Zeitalters gerecht werden.
Nur so lässt sich der wahre Beitrag moderner Technologien zur gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung erfassen und eine produktive Zukunft gestalten, die über bloße Zahlen und traditionelle Indikatoren hinausgeht.