Im Jahr 1978 ereignete sich ein historischer Moment, der die digitale Kommunikation nachhaltig beeinflussen sollte: Die erste bekannte Spam-Nachricht wurde von Digital Equipment Corporation (DEC) versendet. Diese Marketing-E-Mail war an sämtliche ARPANET-Adressen auf der Westküste der USA gerichtet und bewarb die neuen DECSYSTEM-20-Modelle, die erstmals den Arpanet-Protokoll-Support integrierten. Wie eine spontane Flut ergossen sich die Nachrichten und lösten eine breite Palette an Reaktionen innerhalb der damaligen Internet-Community aus, die in vielerlei Hinsicht erstaunlich modern anmuten. Die Ereignisse rund um dieses erste „Spam-Mailing“ gelten inzwischen als Meilenstein in der Geschichte der elektronischen Kommunikation und bieten wertvolle Einblicke in die Anfänge des digitalen Marketings und in die Mechanismen kollektiver Online-Reaktionen. Die Ausgangslage war denkbar simpel: DEC wollte seine neuen Computer-Systeme auf dem ARPANET präsentieren, einem Netzwerk, das damals hauptsächlich von Forschungseinrichtungen und Regierungsstellen genutzt wurde.
Gary Thuerk, ein ambitionierter Marketing-Mitarbeiter bei DEC, und sein Kollege Carl Gartley hatten die Idee, eine Einladung zu Produktpräsentationen in Los Angeles und San Mateo an sämtliche Kontakte auf der Westküste zu verschicken. Zu dieser Zeit gab es keine automatischen E-Mail-Listen oder komfortable Massenversand-Tools. Adressen mussten mühsam von einem gedruckten ARPANET-Verzeichnis abgetippt werden, was bereits die erste technische Herausforderung darstellte. Die eigentliche Versendung erfolgte am 1. Mai 1978 mittels des Mailprogramms SNDMSG.
Aufgrund der Limitierung des Programms auf 320 Empfänger wurden die weiteren Adressen teils in die Betreff- sowie den Textbereich aufgenommen, was die Nachricht ungewöhnlich lang und schwer lesbar machte. Die fehlende technische Erfahrung im Umgang mit dem Tool und die unzureichende Qualitätssicherung führten zu einer fehlerhaften Verteilung. Zudem erhielten viele Bestimmte Empfänger die Nachricht gar nicht, was im Nachhinein zu Beschwerden führte. Die Rückmeldungen waren schnell und vielfältig. Einer der Empfänger, Einar Stefferud, stellte klar, dass die gesamte Aktion eher einem technischen Missgeschick als einem bewussten Spam-Versand ähnelte.
Nichtsdestotrotz zeigte die Reaktion der ARPANET-Community, wie sensibilisiert die Nutzer bereits damals für den Schutz vor unerwünschten Nachrichten waren. Die Defense Communications Agency (DCA), die das ARPANET betrieb, reagierte mit scharfen Worten und bezeichnete die Aktion als „flagranter Verstoß“ gegen die Nutzungsrichtlinien, die vorsahen, dass das Netz ausschließlich für offizielle Regierungszwecke genutzt werden dürfe. Besonders bemerkenswert ist, dass die Empörung über diesen Massenversand in mancher Hinsicht der heutigen Kritik an Spam gleicht. Nutzer beklagten sich über mehrfache Zustellungen, technische Probleme durch Überlastung der Systeme und die generelle Störung des Kommunikationsflusses. Selbst ein Nutzer der Universität von Utah berichtete, dass sein System infolge mehrerer eingehender Kopien der Nachricht quasi zusammengebrochen sei.
Obgleich die technische Infrastruktur heute ungeheuer leistungsfähiger und robust gegenüber solchen Belastungen ist, erinnern diese anfänglichen Schwierigkeiten der späten 1970er Jahre an heutige Probleme mit Spam-Flut und Serverüberlastungen. Aus Sicht der damaligen Beteiligten war die Intention von Gary Thuerk keineswegs bösartig. Er sah seine Aktion als nützliche Information für die Gemeinschaft an. Die Integration eines Systems, das ARPANET-Protokolle unterstützte, war in seinen Augen eine relevante Neuerung, die kommuniziert werden sollte. Zudem hatten die Teilnehmer der Diskussionen unterschiedliche Auffassungen darüber, was im ARPANET erlaubt sein sollte.
Während die DCA streng auf die Politik der reinen Regierungsnutzung pochte, gab es auch Stimmen, die eine moderatere Sicht vertraten. Jake Feinler etwa, ein bekannter Name aus der ARPANET-Geschichte, erläuterte, dass Werbung zwar kritisch betrachtet werde, jedoch auch differenzierte Betrachtungsweisen zu gelten hätten. Er zeigte Verständnis für die Problematik, hob aber auch die Notwendigkeit hervor, den Umgang mit solchen Nachrichten im Netzwerk gemeinschaftlich zu regeln. Diese Diskussion setzte sich fort, etwa durch Beiträge von Mark Crispin und Richard M. Stallman, zwei Pionieren der Computergeschichte.
Crispin betonte die exklusive und offizielle Natur des ARPANET und lehnte Werbung prinzipiell ab, mahnte jedoch auch zur Vorsicht bei Zensurmaßnahmen, um die Offenheit und den freien Informationsfluss nicht zu gefährden. Stallman hingegen bot eine ungewohnte Perspektive, indem er einerseits das Interesse an relevanten Mitteilungen begrüßte, andererseits aber auch die Notwendigkeit der Nutzerautonomie betonte und sich gegen übertriebene Eingriffe aussprach, die auf einer problematischen Definition von „Fairness“ beruhen könnten. Diese früheren Debatten über Spam zeugen von einer erstaunlichen Reife und einer ausgeprägten Sensibilität gegenüber digitalen Kommunikationsnormen schon in sehr jungen Phasen des Internets. Die Balance zwischen Zugang und Offenheit auf der einen Seite und Schutz vor unerwünschter und störender Werbung auf der anderen, ist ein Konflikt, der bis heute aktuell geblieben ist. Die technischen Rahmenbedingungen der späten 1970er Jahre machten die Ausbreitung von Nachrichten schwierig.
Die Bandbreiten waren gering, Verbindungen teuer und die Anzahl der Netzwerknutzer vergleichsweise klein. Dennoch führte der DEC-Massenversand zu spürbarer Last im Netzwerk und wurde als belastend wahrgenommen. Die technische Ineffizienz, zum Beispiel die Überfüllung der Postfächer und Überlauf in die Nachrichtentexte, wird heute durch ausgefeilte Mail-Server und Filtermechanismen vermieden. Trotzdem bleibt der Fall DEC ein anschauliches Beispiel dafür, wie der Ursprung von Spam mehr auf einem Mangel an Know-how und technischen Mitteln beruhte als auf der bewussten Absicht, Nutzer zu belästigen. Ein wesentliches Ergebnis der Geschichte ist, dass die negativen Reaktionen auf den ersten Spam das Bewusstsein für Regeln und Standards bei E-Mail-Nachrichten geschärft haben.
Das ARPANET-Team reagierte mit klaren Richtlinien zur Nutzung, die den Schutz der Nutzer vor unerwünschten Nachrichten und die Begrenzung der Netzwerkressourcen betonten. Diese Prinzipien bildeten die Grundlage für spätere Protokolle und Filterregeln im Posting- und E-Mail-Verkehr. Noch heute erkennt man Parallelen. Spam ist ein ständiges Problem im Netz, das immer weiterentwickelte Gegenmaßnahmen erfordert. Aber viele der heutigen Spam-Abwehrmechanismen, wie sie in Filterprogrammen, Spamassassin und ähnlichen Technologien stecken, sind aus den Grundideen geboren, die sich schon bei dieser ersten Massen-E-Mail ankündigten.
Selbst einige Technologien, die das DEC-Mailprogramm 1978 nicht kannte, wie Mailinglisten-Verwaltung und automatisierte Verteiler, sind Teil der heutigen Standardpraxis und helfen dabei, Spam zu verhindern. Nicht zuletzt ist die Geschichte des DEC-Spams von 1978 auch eine Erinnerung daran, wie wichtig technisches Verständnis, Respekt vor den Nutzern und durchdachte Kommunikationsrichtlinien in digitalen Netzwerken sind. Die Balance, die es zu finden gilt, besteht darin, neue Technologieangebote und Ankündigungen einem interessierten Publikum zugänglich zu machen, ohne dabei die Grenzen des Erträglichen zu überschreiten und die Nutzer zu stören oder gar zu verärgern. Rückblickend hat der erste Spam-Versand also mehr bewirkt, als nur kurzfristige Diskussionen auszulösen. Er prägt bis heute das Bewusstsein für respektvolle und effiziente Kommunikation in Netzwerken.
Während Gary Thuerk seine „Spam-Karriere“ nach wenigen Vorfällen beendet hat und bis heute im Systemgeschäft tätig ist, wurde seine Aktion zum Ausgangspunkt für eine breite Bewegung, die sich mit unerwünschten elektronischen Nachrichten beschäftigt und sie zum Thema gemacht hat. Diese Episode zeigt durch ihre historischen Dokumentationen, E-Mail-Texte und Kommentare aus erster Hand, dass Spam zwar ein altes Problem ist, es aber auch eine Geschichte voller Lernprozesse und gemeinsamer Reflexionen mit sich bringt. Die Reaktionen auf den DEC-Newsletter von 1978 waren nicht nur Ärger und Protest, sondern auch ein frühes Beispiel für den verantwortungsvollen Umgang mit digitalen Kommunikationsmitteln und eine Vorstufe der heutigen Debatten rund um Datenschutz, Nutzerrechte und Netzethik.